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REPRESSION/1537: 60 Jahre BND - Merkels Geburtstagsgeschenk (SB)



In diesen Zeiten eskalierender ökonomischer, ökologischer, politischer und sozialer Krisen, die jede für sich die Mittel und Möglichkeiten der Staaten und ihrer Bündnisse zu überfordern drohen, grassieren Unsicherheit und Furcht. Während die globalen Ressourcen schwinden, die Wirtschaftsweise an ihre Grenzen gestoßen ist und die Sphären stabil anmutender Lebensspannen schrumpfen, nimmt das Hauen und Stechen auf allen Ebenen die Züge eines Pandämoniums an. Der unlöschbar anmutende Flächenbrand des Krieges hat eine Ratio der Vernichtung um ihrer selbst willen hervorgebracht, die eine unmittelbare Konfrontation der Großmächte bis hin zur nuklearen Zerstörung Europas nicht länger ausschließt.

Wo nach traditioneller Deutung gesellschaftlicher Verhältnisse die etablierten Herrschaftsstrukturen ein stabiles System weltweit durchgesetzter Verfügung und Ausbeutung etablierten, scheint heute selbst den strategischen Entwürfen des Machterhalts der Leim perspektivischer Versprechen abhanden gekommen zu sein. Vielerorts treten Protagonisten rassistischer und sozialdarwinistischer Säuberungen auf den Plan, das Gefüge Europas bröckelt, man mißtraut alten Bündnispartnern und schielt nach neuen. Von Angst getrieben, im erbitterten Streit um die Restbestände existentieller Fristen abgehängt zu werden, setzen die Machteliten um so aggressiver auf den Ausbau eben jener Gewaltverhältnisse und Zwangsmittel, die das Verhängnis herbeigeführt haben.

So auch die Bundesregierung, die angesichts globaler Erschütterungen nicht nur am langgehegten Plan deutscher Hegemonie festhält, sondern seine Umsetzung forciert. Wenn alles in Scherben fällt, sollen unsere Stiefel darüber marschieren, zieht man hierzulande die einzige Lehre aus der Geschichte, es immer wieder zu versuchen, und koste es den Untergang. Die Verdopplung des Kriegsetats binnen weniger Jahre ist beschlossene Sache, auch die Geheimdienste können sich einer beispiellosen Aufwertung und Alimentierung erfreuen. Deren klandestinen Umtriebe waren im Zuge aufgedeckter Affären im Kontext des NSU und der NSA ans Licht der Öffentlichkeit gezogen worden. Die Konsequenz daraus ist eine Reform des Verfassungsschutzes und des Bundesnachrichtendienstes, die ihre finanziellen und personellen Mittel aufstockt, ihre Befugnisse offiziell erweitert und ihre Kontrolle suggeriert.

"Deutschland kann sich nicht leisten, die Hände in den Schoß zu legen und auf die Anstrengungen anderer zu warten", gab die Kanzlerin dem BND volle Rückendeckung, als dieser ausgerechnet in Berlin-Kreuzberg und von der dortigen autonomen Szene weitgehend unbemerkt seinen 60. Geburtstag feierte. Die Nachrichtendienste leisteten "unverzichtbare" Arbeit für die Sicherheit Deutschlands, und so trage der BND dazu bei, daß die Politik "gute und fundierte Informationen" als Entscheidungsgrundlage für ihre Arbeit erhalte. [1] "Mit 60 Jahren ist der BND noch lange nicht an das Ende seiner Entwicklung gelangt, und so wie sich die Welt entwickelt, sieht es da auch wirklich nicht danach aus." [2] Mit dem Irak und Syrien, der Ostukraine, der Flüchtlingskrise, dem Cyber-Raum und dem Kampf gegen den Terror nannte Merkel konkrete Felder, auf denen der deutsche Auslandsgeheimdienst insbesondere aktiv bleiben soll - nicht zuletzt in Zusammenarbeit aller deutschen Dienste und darüber hinaus in der internationalen Kooperation. Alles bleibt beim alten, doch ab sofort offiziell legitimiert und noch effektiver als in der Vergangenheit, so die Botschaft der Regierungschefin.

Wie aber steht es um die Kontrolle der Geheimdienste, die in der jüngeren Vergangenheit ein so heiß umstrittenes Thema war? Auch in dieser Hinsicht stellte die Kanzlerin unmißverständlich klar, wo es langgehen soll: "Der Bundesnachrichtendienst kann stolz auf seine Arbeit sein und muss zugleich weiter empfänglich sein für eine ebenso kritische wie faire Begleitung seiner Tätigkeit." Kontrolle und Geheimhaltung seien zwei Seiten einer Medaille: "Geheimes muss geheim bleiben", so die Merkelsche Dialektik, andernfalls verlören die gewonnenen Erkenntnisse ihren Wert für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Die Untersuchungsausschüsse sorgten für die parlamentarische Kontrolle und machten klar, "welch unverzichtbaren Dienst Nachrichtendienste leisten". Wer anders als die Kanzlerin könnte mit schlichteren Worten umschreiben, daß die Kontrollorgane dem Zweck zu dienen haben, die Geheimdienste nicht nur gewähren zu lassen, sondern überdies deren Tätigkeit in den Augen der Öffentlichkeit aufzuwerten.

Merkel versäumte in ihrer Lobrede nicht, auch die Gestapo des NS-Staats und die Stasi der DDR zu streifen, um diesen Rekurs auf die deutsche Vergangenheit mit den demokratischen Fundamenten der Bundesrepublik zu kontrastieren, in der es auf das rechte "Augenmaß" für Freiheit und Sicherheit ankomme. Wir sind die Guten, lautet das Credo der hiesigen Dienste, bekräftigt durch die demonstrative Unterfütterung seitens der Kanzlerin, die als gelernte Physikerin im Kreuzberger Umspannwerk, einer früheren Generatorenhalle, zu assoziativer verbaler Höchstform auflief. Dieser Ort habe wie der BND eine facettenreiche Geschichte, hier sei buchstäblich "unter Strom" gearbeitet worden. Auch der BND arbeite oft "unter Hochspannung" und habe wie die Halle, die heute Teil des modernen Berlins sei, einen "Transformationsprozess" durchlaufen. [3]

Ihr Plädoyer, die Akzeptanz des BND in der Bevölkerung zu befördern, bekräftigte der Geheimdienstexperte Sönke Neitzel von der Universität Potsdam als zweiter Redner des Festakts. Er wundere sich über den erstaunlich eindimensionalen Dialog, da vom BND entweder gar nicht oder nur negativ gesprochen werde. Damit nicht genug, empfahl er gar eine Transparenzoffensive nach britischem Vorbild, wo Geheimdienstler schon vor Jahrzehnten Memoiren oder gar Romane geschrieben hätten. Das droht uns zwar noch nicht, doch will der Auslandsgeheimdienst mit Hilfe einer Unabhängigen Historikerkommission, die vor kurzem ihre ersten Bände über die Frühzeit des BND veröffentlicht hat, sein Image aufpolieren. Überdies soll es im neuen Hauptquartier am Rande des Regierungsviertels, das bald bezugsfertig ist, sogar ein Besucherzentrum für neugierige Bürgerinnen und Bürger geben. Zu zeigen, was ohnehin nicht geheim ist, um letzteres nachhaltiger denn je zu verbergen, postuliert eine neue Offenheit als Antidot zu der leidigen Affäre, die der von Merkel wohlweislich nicht erwähnte Edward Snowden angestoßen hatte.

Der "unverzichtbare Bestandteil unserer Sicherheitsarchitektur" mit seinen rund 6000 Mitarbeitern, die zum Teil unter Einsatz ihres Lebens ihren "Dienst für unser Land" täten, wie es die Kanzlerin ausdrückte, soll für seine wachsenden Anforderungen üppig dotiert werden. Wie viel Geld die dem Kanzleramt unterstellte Behörde genau bekommt, ist zwar ein gut gehütetes Betriebsgeheimnis, aber daß es etwa eine halbe Milliarde Euro allein für die technische Aufrüstung sind, erwähnte Merkel ganz ungeniert.

Bruno Kahl, der erst im Juli die Nachfolge Gerhard Schindlers als BND-Präsident angetreten hat, zeigte sich erfreut angesichts der Wertschätzung, die Bundesregierung und Parlament der Arbeit des Dienstes entgegenbrächten. Daß man sich auf die Expertise des BND verlasse, mache nicht nur der Bundeshaushalt deutlich, der den Anforderungen an finanzielle und personelle Verstärkung Rechnung trage. Ganz ohne Kammerorchester, Nationalhymne und Deutschlandfahne wie beim 50. Jubiläum vor zehn Jahren, gibt sich der BND heute nüchtern und selbstbewußt. Der abrupte Wechsel an der Spitze ist kein Thema mehr, der NSA-Ausschuß dürfte bald Geschichte sein, der Haushalt wird kräftig aufgestockt. Vor allem aber hat der Bundestag im Oktober das neue BND-Gesetz verabschiedet, das von der Opposition als eine Lizenz zum grenzenlosen Ausspionieren kritisiert wird. [4]

Der BND war vordem ein Geheimdienst, dessen Arbeit in aller Stille oftmals dazu führte, seine Effizienz sträflich zu unterschätzen. Das wird künftig nicht mehr geschehen, setzt die Regierungskoalition doch auf eine umfassende Legitimation und Affirmation des BND im Dienst deutscher Ambitionen, im Sturm multipler Krisen aufzurüsten, um die Fahrt in den Abgrund mit fliegenden Fahnen anzuführen.


Fußnoten:

[1] http://www.focus.de/politik/deutschland/60-jahre-bnd-merkel-deutschland-kann-sich-nicht-leisten-die-haende-in-den-schoss-zu-legen_id_6266024.html

[2] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-11/bundesnachrichtendienst-bnd-angela-merkel-geheimdienste-60-jubilaeum

[3] http://www.dw.com/de/merkel-bnd-arbeitet-unter-hochspannung/a-36559265

[4] Siehe dazu im Schattenblick:
REPRESSION/1530: Geheimdienst deutsch - allgegenwärtig und legal (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1530.html

29. November 2016


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