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REPRESSION/1582: Den Funken der Rebellion austreten ... (SB)



Ausgerechnet die Ereignisse am Rondenbarg werden als Anlaß einer bundesweiten Großrazzia gegen AktivistInnen der G20-Proteste genannt. Nach allem, was bisher bekannt wurde, fand auf dieser Hamburger Straße frühmorgens am 7. Juli ein Angriff der Polizei auf einen Demonstrationszug von rund 200 AktivistInnen statt. So berichteten Mitglieder der ver.di Jugend NRW-Süd in einer gemeinsam verfaßten Stellungnahme:

Nach der ersten Nacht auf dem Camp wollten wir am Freitag den 7. Juli gemeinsam an den angekündigten Blockaden gegen das Gipfeltreffen teilnehmen. Doch soweit kam es nicht: Nach nur 20 Minuten stoppte die Polizei den Zug von 200 Menschen, dem wir uns angeschlossen hatten, dann ging alles blitzschnell. Von zwei Seiten wurde unser Demonstrationszug von gepanzerten und schwer bewaffneten Polizisten und zwei Wasserwerfern angegriffen und regelrecht zerschlagen. Für uns kam der Angriff der Polizei völlig aus dem Nichts, die Menschen flohen in Panik. Wer nicht rechtzeitig wegkam, bekam den Polizeiknüppel zu spüren, wurde auf den Boden gedrückt und zum Teil sogar dann weiter mit dem Schlagstock traktiert. (...)

Im verzweifelten Versuch, vor den um sich schlagenden Beamten zu flüchten, kletterten DemonstrantInnen in Panik über einen Zaun und stürzten anschließend eine mehrere Meter tiefe Mauer hinunter, wobei sie sich zum Teil schwer verletzten. Niemand von uns hatte so etwas je erlebt: Menschen lagen mit zum Teil offenen Brüchen auf dem Asphalt, Polizisten schlugen immer weiter auf DemonstrantInnen ein. Es waren acht (!) Rettungswagen nötig, um die verletzten Aktivisten ins Krankenhaus zu bringen. [1]

Bei den Durchsuchungen geht es laut Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer darum, "die Hintergründe und Strukturen der Krawalle offen zu legen und näher an den Kern der autonomen Szene vorzudringen". Der Leiter der Sonderkommission "Schwarzer Block", Jan Hieber, beruft sich auf Hinweise darauf, daß die Proteste gegen G20 monatelang akribisch geplant gewesen seien und es Treffen und Arbeitsgruppen gegeben habe. Hinsichtlich der Ereignisse am Rondenbarg wurde von Krawallen gesprochen, die von einem "in seiner Gesamtheit gewalttätigen Mob" ausgegangen seien [[2].

Selbstverständlich bedarf es zur Organisation der Proteste gegen ein Gipfeltreffen von weltweiter Bedeutung einer langen Vorbereitungszeit, bei der zahlreiche Treffen stattfinden und sich eine durchaus komplexe Arbeits- und Kommunikationsstruktur herausbildet. Was in Hamburg dazu auf die Beine gestellt wurde, ist schon deshalb bewundernswert, weil es zeigt, daß es keines privatwirtschaftlichen Unternehmens mit hochbezahlten Managern bedarf, um organisatorische und logistische Aufgaben zu meistern, die im Endeffekt in die Mobilisierung zehntausender Menschen mündeten. Diese Massen selbstorganisiert auf die Straße bringen, um denjenigen Gesicht und Stimme zu geben, denen das demokratische Recht auf Einmischung in sie zutiefst bestimmende Angelegenheit vorenthalten wird, mit vielfältigen dezentralen Aktionen Sand ins Getriebe einer globaladministrativen Verfügungsgewalt zu streuen, die sich mit schwerbewaffneter Polizeipräsenz von der Bevölkerung abschottet und keinerlei Interesse daran hat, daß Menschen aus der normalen Bevölkerung einen eigenen politischen Willen artikulieren, ja der massenhafte Ausbruch aus systematisch erzeugter Unmündigkeit durch sozialen Widerstand bis zu Aktionen zivilen Ungehorsams - Anfang Juli fand in Hamburg ein Aufbruch solidarischen Handelns und gemeinsamen Kämpfens statt, den es in diesem Land nicht geben darf, weil er die Behauptung widerlegt, es sei ja für alles gesorgt, daher bedürfe es keiner basisdemokratischen Interventionen.

Indem die Polizei den Eindruck erweckt, im Vorfeld der Proteste seien in Hinterzimmern unter konspirativen Bedingungen sinistre Pläne entworfen worden, schmiedet sie Verschwörungstheorien von jener Art, die immer den anderen angelastet werden. Abgesehen davon, daß auch die linke Szene von Informanten und V-Leuten durchsetzt ist, wie die mehrfache Enttarnung von Polizeispitzeln in Hamburg belegt, und die großen Vorbereitungstreffen der Organisatoren der G20-Proteste quasi öffentlich waren, verfolgen Unterstellungen, die die Existenz von "Rädelsführern" - wie es schon zu Zeiten der verbotenen SPD im Staatsschutzjargon hieß - und Kommandostrukturen suggerieren, vor allem ein Ziel. Es geht darum, den sozialen Widerstand auseinanderzudividieren, indem an angeblichen Initiatoren ein Exempel statuiert wird, auf daß das Gros der AktivistInnen mit Angst und Rückzug reagiert.

Das war in Hamburg bisher nicht zu erreichen, wie schon die United We Stand-Bewegung zur Unterstützung der G20-Gefangenen zeigt. Die G20-Proteste waren, allem medial erzeugten Eindruck zuwider, ein Lichtblick für die organisierte Linke. Viele Menschen übten sich im gemeinsamen Widerstand, es gab zahlreiche Solidarisierungen mit den AktivistInnen aus der Bevölkerung heraus, man fand zueinander und überwand im besten Fall jene Isolation, in der die Marktsubjekte gehalten werden sollen, um sich widerstandslos in die große Maschine einspeisen zu lassen. Für jene Medien, die vornehmlich die Interessen ihrer Auftrag- und Geldgeber vertreten, ist so etwas nicht unbedingt berichtenswert. Nur in einer atomisierten Gesellschaft kommt man mit billigster Propaganda durch, also stürzen sie sich auf Situationen, anhand derer die ganze Bewegung zu diffamieren und zu kriminalisieren ist. Dieses Bildes bedarf es, um denjenigen Staatsorganen, die den Menschen den Ungeist der Revolte wieder austreiben sollen, Akzeptanz und Legitimation zu beschaffen.

Das alles erfolgt vor dem Hintergrund eines zusehends militanten Rechtsradikalismus, der tatsächlich schwerbewaffnet ist und keinerlei Scheu hat, mit lebensgefährlichen Brandanschlägen auf Flüchtlingsheime fremdenfeindliche Stimmung in der Bevölkerung zu schüren. Der "gewalttätige Mob", von dem ein Hieber spricht, zeigt sich vor allem dort, wo dumpfe Ressentiments in offener Aggression zu Tage treten und der Ruf nach dem starken Staat und autoritären Führer prinzipielle Gefolgschaft signalisiert. Um so mehr zieht der Staat gegen links blank, verschärft das Versammlungsrecht bis zur Unkenntlichkeit einer Karikatur untertänigster Meinungsbekundung, verbietet mit indymedia linksunten kurz nach den G20-Protesten das wichtigste Diskussions- und Mobilisierungsmedium der radikalen Linken und sucht AktivistInnen heim, die wie die ver.di-Gewerkschaftsjugend aus NRW darauf hoffen lassen, daß vom DGB auch noch einmal andere Nachrichten zu vernehmen sind als daß inzwischen bis zu einem Drittel seiner Mitglieder mit der AfD zumindest sympathisieren.

Staat und Kapital formieren sich gegen links, weil ihre Herrschaft insbesondere in Krisenzeiten Spalten und Brüche aufweist, die die Chance eröffnen, bei entschiedenem Vorgehen und kollektiv formierten Handlungsvermögen grundlegendere gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen. Was derzeit in der Bundesrepublik von oben inszeniert und durchgesetzt wird, bestätigt die These, laut der die Geschichte eine der Klassenkämpfe ist und maßgeblich von antagonistischen Bewegungen angetrieben wird.


Fußnoten:

[1] http://www.trend.infopartisan.net/trd0917/Betroffenenbericht_g20.pdf

[2] http://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/braunschweig_harz_goettingen/G20-Krawalle-Durchsuchungen-in-fuenf-Staedten-,razzia856.html

6. Dezember 2017


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