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REPRESSION/1589: Katalonien - Zentralismus de jure ... (SB)



Der Entwurf zum Rahmenbeschluß über den Europäischen Haftbefehl wurde zeitgleich mit dem Rahmenbeschluß zur Terrorismusbekämpfung am 19. September 2001 veröffentlicht. Was von offizieller Seite kurz nach den Anschlägen des 11. September 2001 als Antiterrormaßnahme präsentiert wurde, hatte der Europäische Rat im Grundsatz schon im Oktober 1999 beschlossen. Die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen unabhängig von ihrem strafrechtlichen Inhalt betont mithin die Unterschiede zwischen nationalen Strafnormen, anstatt, was eine sinnige Alternative hätte sein können, die einzelstaatlichen Gesetzgebungen auf EU-Ebene zu vereinheitlichen. Es handelt sich mithin nicht um eine EU-weite Harmonisierung des Strafrechts, sondern die Anerkennung nationaler Unterschiede bei Aushebelung bislang gültiger Schutzrechte von Betroffenen.

Wie im Rahmen der EU-Terrorismusdefinition wurde der Freizügigkeit exekutiver Handlungsvollmacht der Vorrang gegenüber der verfassungsrechtlichen Rückbindung staatlicher Zwangsmaßnahmen gegeben. Mit der Abschaffung des Grundsatzes beiderseitiger Strafbarkeit in konventionellen Auslieferungsverfahren und der praktisch automatischen Anerkennung des Auslieferungsersuchens anderer EU-Mitgliedstaaten fielen eine ganze Reihe rechtswirksamer Prüfverfahren und Kontrollbefugnisse dem Interesse der Regierungen am schnellen Vollzug angeblich terrorismusrelevanter Verfahren zum Opfer.

Bei 32 Katalogstraftaten, die das Gros möglicher Gründe für eine Strafverfolgung abdecken, entfällt die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit. Zwar gilt in allen andern Fällen nach wie vor, daß ein Staat, der einen Bürger ausliefern soll, dies nur kann, wenn dessen im Ausland begangene Tat auch nach eigenem Recht strafbar ist. Insgesamt jedoch erkennen die EU-Mitgliedstaaten gegenseitig die Rechtsnorm des anderen an. Im Endeffekt trifft man sich auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner und schafft auf diese Weise generell schärfere Strafnormen und neue Straftaten für Länder, die bislang weniger repressiv als andere agierten.

Der Europäische Haftbefehl wurde vom damaligen spanischen Ministerpräsidenten Aznar als Maßnahme gegen die baskische ETA vorgestellt. Der Rahmenbeschluß wurde während der spanischen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2002 eingebracht und trat am 1. Januar 2004 in den Mitgliedstaaten der EU in Kraft. Die laut dem Amsterdamer Vertrag von 1997 geforderte Schaffung eines "Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" hatte nicht nur zur Folge, daß mit der anläßlich dessen euphorisch gefeierten engeren Zusammenarbeit der Gerichte, Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden in der EU der Grundsatz der Gewaltenteilung relativiert wurde. Er setzte auch die mögliche Auslieferung deutscher Bürger auf Ersuchen spanischer Behörden in ein Land, in dem baskische Separatisten von den Sicherheitsbehörden gefoltert werden, frei.

Es half nichts, daß 120 deutsche Strafrechtsprofessoren 2003 mit einer gemeinsamen Erklärung gegen die Umsetzung des extrem bürgerrechtsfeindlichen Europäischen Haftbefehls in deutsches Recht protestierten. Da der Straftatenkatalog in der Abgrenzung der einzelnen Tatbestände betont indifferent gehalten ist, können Menschen wegen einer Vielzahl weitreichender Interpretationen von teils erheblicher politische Sprengkraft kriminalisiert werden. Der Auslieferung von politischen Flüchtlingen, die innerhalb der EU Asyl in einem anderen Land gefunden haben, steht auch bei Gefahr, daß sie im ersuchenden Staat gefoltert werden, seitdem nichts mehr im Wege. Daß der frühere katalanischen Regionalpräsident Carles Puigdemont nun mit einem Instrument der Terrorismusbekämpfung in der Bundesrepublik dingfest gemacht wurde, das maßgeblich der Auseinandersetzung zwischen Madrid und den baskischen Separatisten entspringt, läßt tief blicken.

26. März 2018


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