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REPRESSION/1602: Platzhalter Bayern - polizeirechtliches Nachrücken ... (SB)



Wir leben ja in einem Rechtsstaat, wo man sicher sein kann, dass der Staat mit den Daten sorgfältig umgeht.
NRW-Innenminister Herbert Reul zum geplanten Polizeigesetz [1]

Baden-Württemberg und Bayern haben vorgelegt, weitere Bundesländer folgen. Darunter auch Nordrhein-Westfalen, wo das neue Polizeigesetz nach dem Willen der Regierung in Düsseldorf noch vor der Sommerpause verabschiedet werden soll. Die erste Lesung im Landtag ist absolviert, es folgt eine Anhörung von Sachverständigen, eine Auswertung im Innenausschuß, dann die zweite und schließlich die dritte Lesung mit der Abstimmung - so das geplante parlamentarische Prozedere. Nach einer Woge heftigen Protests in Bayern, bei dessen Höhepunkt am Himmelfahrtstag allein in München bis zu 40.000 Menschen die Innenstadt lahmgelegt hatten, steht auch in NRW Widerstand zu erwarten. Dort hat sich vor wenigen Wochen das zivilgesellschaftliche Bündnis "Nein zum neuen Polizeigesetz" als Netzwerk gegründet, das bei der ersten Lesung vor dem Landtag präsent war. Innenminister Herbert Reul von der CDU gab sich gelassen, stellte sich beim Betreten des Gebäudes den Demonstrierenden zum kurzen Gespräch und kokettierte anschließend bei der Eröffnung der Plenardebatte sogar mit der Aufmerksamkeit, die ihm draußen zuteil geworden war. [2] Das dürfte sich ändern und in Nervosität umschlagen, sollte die öffentliche Kritik ähnliche Ausmaße annehmen wie in München und anderen bayerischen Städten. Das Protestbündnis in NRW will den Gesetzgebungsprozeß mit Veranstaltungen, Aktionen und einer großen Demonstration am 7. Juli in Düsseldorf kritisch begleiten und auf diese Weise stoppen, um damit ein klares Zeichen für den Erhalt der Freiheits- und Bürgerrechte zu setzen. [3]

Daß sein Bundesland die bayerische Steilvorlage aufnehmen will, stellte der Innenminister bei der ersten Lesung des Entwurfs zum neuen Polizeigesetz im Landtag klar: "Null-Toleranz-Politik statt einer weichen Welle Nordrhein-Westfalen, wie es in der Vergangenheit gewesen ist! Das sind die Kerne unserer Politik." Wie schon in Bayern wurde aus dem BKA-Urteil der Begriff der "drohenden Gefahr" übernommen, den die Verfassungsrichter lediglich für den Bereich des Terrorismus vorgesehen hatten. Die Polizei soll künftig nicht wie bisher nur bei einer "konkreten Gefahr" präventiv handeln, sondern bereits bei einer "drohenden Gefahr" aktiv werden können, womit der Willkür endgültig Tür und Tor geöffnet ist. Ausgehend vom undefinierten Begriff des "Gefährders" wird die Verdächtigung und Bezichtigung über den Kreis potentieller "Terroristen" hinaus auf andere Personen oder Gruppen ausgeweitet. Wenngleich die Protagonisten des neuen Polizeigesetzes diesen Vorwurf als absurd zurückweisen und als Desinformationskampagne diskreditieren, zeichnet sich doch die systematische Entgrenzung polizeilicher Ermächtigung als zentrale Stoßrichtung in aller Deutlichkeit ab.

In NRW drohen unter anderem Freiheitsentzug von bis zu einem Monat für vermeintliche "Gefährder", die Telekommunikationsüberwachung ohne konkreten Tatverdacht und die Schleierfahndung - aus Rücksichtnahme auf den Koalitionspartner FDP "Strategische Fahndung" genannt: Ohne jeglichen Verdacht soll die Polizei künftig jeden Menschen an allen öffentlichen Orten nach der Identität befragen und durchsuchen dürfen, Fahrzeuge eingeschlossen. Vorgesehen ist auch die Videoüberwachung von öffentlichen Orten ohne zeitliche Begrenzung, die Verhängung eines Aufenthalts- und Kontaktverbots für "Gefährder" ohne konkreten Tatverdacht wie auch der Einsatz einer elektronischen Fußfessel. Zudem rüstet die Polizei mit Elektroschockpistolen auf.

Alle Bundesländer sind verpflichtet, ihre Polizeiaufgabengesetze an die neuen Datenschutzrichtlinien der Europäischen Union und an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz anzupassen. Sie nutzen diese Vorgaben, um den Ausbau exekutiver Befugnisse der Polizeien auf breiter Front voranzutreiben. So arbeiten mit Ausnahme Thüringens sämtliche Landesregierungen an Verschärfungen der jeweils geltenden Polizeigesetze und -verordnungen. Wie sich dabei abzeichnet, wird dieser Prozeß in weitgehender inhaltlicher Übereinstimmung vorangetrieben, gleich wer die jeweils regierende Partei oder Koalition stellt. Zwar hat die CSU in Bayern die bislang schärfste Fassung durchgesetzt, doch lassen sich die Unterschiede dazu in Baden-Württemberg (Grün-Schwarz), NRW (Schwarz-Gelb), Niedersachsen (Schwarz-Rot), Hessen (Schwarz-Grün) oder Sachsen (Schwarz-Rot) allenfalls in Nuancen darstellen. Die Länderregierungen spielen einander den Ball zu und versuchen offenbar mittels Varianten etwa bei der Dauer der Präventivhaft oder der Aufrüstung der Polizei den Eindruck zu erwecken, es handle sich um jeweils eigenständige gesetzgeberische Entscheidungsprozesse.

Die Positionierung der Parteien außerhalb der Union zu den Polizeigesetzen hängt auf Landesebene in gewissem Ausmaß davon ab, ob die Fraktionen der jeweiligen Regierung oder der Opposition angehören. So haben die Grünen im Stuttgarter Landtag die Umsetzung maßgeblich mitgetragen, während sie in München zu den schärfsten parlamentarischen Kritikern des Gesetzes gehören. Die Sozialdemokraten haben in Bayern lange gezögert, sich schließlich aber doch dem Protestbündnis angeschlossen. Hingegen treiben sie als Koalitionspartner beispielsweise in Niedersachsen die Verschärfung voran. Ähnlich die FDP, die in Bayern dagegen, jedoch im Düsseldorfer Landtag dafür ist. Wenngleich der Verdacht also nicht trügen dürfte, daß die Parteipolitik bei Bedarf ihr Fähnchen in den Wind der Regierungsbeteiligung hängt, ist doch auf Länderebene in dieser Frage zumindest noch Manövrierraum in Kreisen der Opposition anzutreffen.

Der unverhoffte Widerstand in Bayern hatte die CSU zwar im Vorfeld zu gewissen Zugeständnissen veranlaßt, letzten Endes aber nicht daran gehindert, das repressivste Polizeiaufgabengesetz in der Geschichte der Bundesrepublik durchzusetzen. Und dies obwohl ein beispiellos breites Bündnis von nahezu 100 Parteien und Organisationen dagegen zu Felde zog, die ansonsten mehr oder minder tiefe ideologische Gräben voneinander trennen. Angefangen von Grünen, SPD und FDP über Gewerkschaften, Verbände, NGOs, Münchner Kreisjugendring, Humanistische Union und selbst Fußballfans war bis hin zu Antifa-Gruppen, Rote Hilfe e.V., Antikapitalistische Linke, DKP und MLPD ein breites Spektrum vertreten, das sich auch von Angriffen aus dem Lager der CSU, es seien "linke Chaoten" mit im Boot, nicht spalten ließ. [4]

Die Auseinandersetzung hatte sich in Bayern auch deshalb zugespitzt, weil die CSU bei den Landtagswahlen im Herbst wieder die absolute Mehrheit anstrebt und die düstere Perspektive ihrer Alleinherrschaft die oppositionellen Kräfte vorerst verbindet. Das heißt aber nicht, daß die relative Stärke des bayerischen Bündnisses und dessen auch nach der Verabschiedung anhaltender Widerstand ein Ausnahmefall bleiben muß. Ebensogut könnte dies auch als Initialzündung genutzt, in anderen Bundesländern aufgegriffen und Zug um Zug zu einer bundesweiten Bewegung aufgebaut werden. Wohl trifft es zu, daß sich kaum noch zurückschrauben läßt, was einmal in Gesetze gegossen ist. Gerade deswegen ist der Kampf gegen jedes weitere verschärfte Polizeigesetz unabdingbar. Zugleich sind die Ländergesetze aber auch Komponenten eines Gesamtkonzepts, denn obwohl die Polizei verfassungsrechtlich Sache der Bundesländer ist, wollen Innenminister und Bundesregierung in Gestalt eines sogenannten Musterpolizeigesetzes eine einheitliche Sicherheitsstruktur schaffen. Daher ist die Stärke des Widerstands an jedem Glied dieser Kette relevant, zumal mehrere Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht vorbereitet werden.

So unverzichtbar es sein mag, die rechtlichen und parlamentarischen Möglichkeiten bis an ihre Grenzen zu treiben, steht und fällt eine Bewegung gegen die Polizeigesetze doch mit dem Widerstand, der mit Wucht auf die Straße getragen wird. Noch vor kurzem setzte sich allenfalls ein kleiner Kreis von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Linken mit dem Ausbau des repressiven Sicherheitsstaats und der Ausweitung exekutiver Befugnisse der Polizeien auseinander. Daß diese Verschärfungen nicht länger unter dem Schirm allgemeinen Desinteresses durchgesetzt werden können, sondern ins Visier öffentlicher Wahrnehmung gerückt wurden, ist schon für sich genommen ein bemerkenswerter Schub, den es nun weiterzuentwickeln gilt.

Überwachung und Kontrolle werden verschärft, Grundrechte wie die persönliche Freiheit, die informationelle Selbstbestimmung und die Demonstrationsfreiheit unmittelbar eingeschränkt wie auch langfristig untergraben, die Bevölkerung ist unter Generalverdacht gestellt. Wie NRW-Innenminister Reul es im Gespräch mit dem Deutschlandfunk euphemistisch formulierte, bestehe ein Nachrüstbedarf in moderner Technologie. Es gebe eine ganze Menge an Technik, die es den Polizisten oder Sicherheitsbehörden leichter mache. Dann müsse man aber auch bereit sein, solch eine Software zu erlauben und Bedenken aus Datenschutzgründen ein Stück zurückzustellen: "Denn wir leben ja in einem Rechtsstaat, wo man sicher sein kann, dass der Staat mit den Daten sorgfältig umgeht." Der Ausbau des "präventivpolizeilichen Befugnisinstrumentariums", wie es im Amtsjargon heißt, ist demnach in guten Händen. Wer solche Freunde hat ...


Fußnoten:

[1] www.deutschlandfunk.de/ueberwachung-von-gefaehrdern-wir-haben-einen.694.de.html

[2] www.deutschlandfunk.de/vorbild-bayern-auch-nrw-sucht-ein-neues-polizeigesetz.862.de.html

[3] www.jungewelt.de/artikel/333148.bürger-unter-generalverdacht.html

[4] www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1596.html

28. Mai 2018


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