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REPRESSION/1624: AfD - um den Schein zu wahren ... (SB)



Wir stehen ohne jede Einschränkung und Relativierung zum Gewaltmonopol des Staates und lehnen Gewalt gegen Menschen wie gegen Sachen als Mittel der politischen Auseinandersetzung vollständig ab. Schon diese klaren einleitenden Festlegungen werfen die nur zu begründete Frage auf, warum man eigentlich eine solche Partei unter Verfassungschutzbeobachtung zu stellen erwägt.
Jörg Meuthen (Co-Parteivorsitzender der AfD) [1]

Spekulationen, die AfD habe den Zenit ihres Aufstiegs bereits überschritten und werde bald in der öffentlichen Wahrnehmung auf ihre reale Größe einer kleineren Protestpartei mit Hochburgen im Osten schrumpfen, könnten blauäugiger bis irreführender nicht sein. Wenn Kommentator Marco Bertolaso im Deutschlandfunk [2] in seiner Prognose für Entwarnung plädiert, weil die Politik alles tun werde, um in Zeiten der Globalisierung das Versprechen sozialer Gerechtigkeit neu einzulösen, erinnert diese Verkennung der multiplen Krisen und der akuten Gefahr einer repressiven Formierung der Gesellschaft an fatale Fehleinschätzungen an einschneidenden Wegmarken deutscher Geschichte. Sein Fazit, Wissenschaftler würden in einigen Jahren davon sprechen, daß diese Partei eine Weile als Bedrohung für die deutsche Demokratie wahrgenommen wurde, letztlich aber ein Übergangsphänomen in der Transformationskrise zu Beginn des 21. Jahrhunderts gewesen sei, ebnet die sich zuspitzenden gesellschaftlichen und globalen Mangellagen und Auseinandersetzungen zu einem Szenario bloßer Verunsicherung in stürmischen Zeiten des Umbruchs ein. Die Verwerfungen der Globalisierung machten die Menschen ängstlich und wütend, vielen gehe es gerade nicht mehr um rechts oder links, sondern um Identität und Sicherheit, verabschiedet sich der Kommentator von einer Erfassung gesellschaftlicher Widersprüche und einer politischen Einschätzung der AfD.

Womit begründet er seinen Optimismus, die AfD als das erfolgreichste Parteiprojekt in der Bundesrepublik seit den Grünen auszuweisen, ihr aber ungeachtet des Einzugs in alle Parlamente zugleich das Ende ihres Zuwachses vorherzusagen? Das Ziel der "Merkel muss weg"-Bewegung sei fast erreicht, die Kanzlerin habe ihren Rückzug eingeleitet. Der Eindruck bleierner Alternativlosigkeit schwinde, es gebe neue Gesichter und neuen demokratischen Streit: "Wir stehen vor einer aufregenden Phase im politischen Leben unseres Landes." Das Experiment der CSU, die AfD durch Nachahmung einzuhegen, sei grandios gescheitert, die Parteien lernten allmählich, daß sie die Alltagsprobleme der Menschen in den Mittelpunkt stellen müßten. Hier könne Politik das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit einer liberalen Demokratie stärken, hier könne sie die wirtschaftlichen Erfolge von morgen vorbereiten. "Wenn es gut läuft, dann werden wir demnächst eine lebendigere Bundespolitik bekommen, die sich um die Anliegen der Mehrheit kümmert."

Den durch massive Stimmenverluste der CDU erzwungenen Wechsel des Führungspersonals samt der drohenden Wiederkehr eines Friedrich Merz mit einem demokratischen Aufbruch zu verwechseln, gleicht einer Kapitulation vor der AfD auf ganzer Linie. Diese treibt die politische Konkurrenz höchst erfolgreich vor sich her, hat Bernd Lucke und Frauke Petry entsorgt, sich zunehmend radikalisiert und für die extreme Rechte geöffnet. Daß sie bei Bedarf auch Kreide fressen kann, sofern das taktische Kalkül es gebietet, ändert nicht das Geringste an ihrer Strategie, sich mit völkischen und rassistischen Positionen als die einzige Rettung der von Abstiegsängsten heimgesuchten Schichten zu präsentieren. Hans-Georg Maaßen hielt als Präsident des Verfassungsschutzes seine schützende Hand über sie, um sie von einer Beobachtung durch seine Behörde freizuhalten. Er lehnte dies ab, obgleich ihn 2017 und 2018 verschiedene Landesämter aufgefordert haben sollen, eine Materialsammlung über die AfD anzulegen. Bundesinnenminister Horst Seehofer attestierte ihm bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2017, in dem die AfD im Kapitel "Rechtsextremismus" mit keiner Silbe erwähnt wurde, vorzügliche Arbeit.

Dabei sind deren Kontakte zu rechtsextremen Strukturen wie der identitären Bewegung oder der Ein-Prozent-Initiative und anderen hinlänglich bekannt. Björn Höcke ist weiterhin Parteimitglied, Alexander Gauland hat Hitler und die Nazis als einen "Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte" bezeichnet. Nach dem rechten Aufmarsch in Chemnitz und Maaßens Offensive kann der Bundesverfassungsschutz nicht umhin, ebenso wie die Verfassungsschutzämter der Länder der Frage nachzugehen, ob die AfD eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung darstellt und deswegen observiert werden sollte. Eine Entscheidung soll bis Ende des Jahres fallen. Das nötigt der Parteiführung einige Manöver ab, die allein dem Zweck dienen, den Schein zu wahren und eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz abzuwenden.

Sie beauftragte als Rechtsgutachter den emeritierten Freiburger Staatsrechtler Dietrich Murswiek, was sich insofern als Eigentor erwies, als dessen Zeugnis verheerend ausfiel. Murswiek führt Dutzende Beispiele an, die eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz rechtfertigen würden, angefangen von den Pauschalurteilen über die "Altparteien" und die "herrschende politische Klasse", bis hin zum Blick auf die Medien und den nur zu gern verwendeten Begriff der "Lügenpresse". In den abschließenden Empfehlungen heißt es unmißverständlich: "Unbedingt notwendig ist es, Äußerungen und Verhaltensweisen zu unterlassen wie: pauschale Diffamierungen oder Herabwürdigungen von Ausländern/Immigranten/Flüchtlingen und Muslimen." Außerdem sollten "extremistische Reizwörter" wie "Umvolkung", "Überfremdung", "Volkstod" oder "Umerziehung" fortan nicht mehr verwendet werden.

Roland Hartwig, Vize der AfD-Bundestagsfraktion, nahm die Vorlage sofort auf und erklärte: "Es geht einzig und allein darum eine Grenze zu ziehen, zwischen verfassungsfeindlichen Positionen und verfassungsmäßen Positionen, für die wir als Partei stehen." Da das Gutachten nur allgemeine Empfehlungen gebe, sollte die Partei konkrete Handlungsempfehlungen erarbeiten, wie man den schmalen Grat zwischen gewünschter politischer Provokation und der Nichtbeobachtung durch den Verfassungsschutz erreichen könne. "Da werden unsere Handreichungen in die Richtung gehen, dass die Partei schnell und konsequent Einzelfälle, wenn sie denn bei uns auftauchen, aufnimmt und korrigieren bis hin zu Parteiauschlussverfahren", so Hartwig. Inzwischen habe die AfD die Bewegung "Pro Chemnitz" auf ihre Unvereinbarkeitsliste gesetzt.

Für den rechten Flügel der AfD gilt Hartwig jedoch bereits als Großinquisitor, und in dem "Stuttgarter Aufruf" lehnten mehr als tausend Parteimitglieder jegliche Denk- und Sprechverbote wie auch Parteiordnungs- und Ausschlußverfahren ab. Der jüngst mit knapp über 80 Prozent wiedergewählte thüringische Landeschef Björn Höcke warnte seine Partei vor einer Panikmache und bezeichnet die Angst vor der Beobachtung durch den Verfassungsschutz als "politische Bettnässerei". [3] Während Höcke die AfD auf die rechtsextreme Seite zieht, ist die Parteiführung um Alexander Gauland und Jörg Meuthen darauf bedacht, die Gesamtpartei von einer Beobachtung freizuhalten, um mögliche Nachteile abzuwenden. So zog vor der konstituierenden Sitzung des Bayerischen Landtags der unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehende AfD-Abgeordnete Uli Henkel seine Kandidatur für das Amt des Vizepräsidenten zurück. Stattdessen nominierte die Fraktion Raimund Swoboda, der aber lediglich 27 Stimmen erhielt, während 153 Abgeordnete gegen ihn stimmten. Wenngleich es zu keinem Eklat kam und die Partei in einer der nächsten Sitzungen Swoboda wieder oder einen anderen Kandidaten vorschlagen kann, sind negative Reaktionen in moderateren Teilen der Wählerschaft nicht auszuschließen. [4]

Auf einer Pressekonferenz verwahrte sich Jörg Meuthen gegen Überlegungen zur Beobachtung seiner Partei durch den Verfassungsschutz. Die AfD sei durch und durch eine Rechtsstaatspartei und die Forderung nach einer Beobachtung speise sich nicht aus rechtlichen Erwägungen, sondern sei eine rein politisch motivierte Vorgehensweise der Konkurrenz. Idealerweise gelinge es, Mitglieder, die nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen, dazu zu bringen, die AfD aus freien Stücken zu verlassen. Das sei in den letzten Wochen auch bei einigen gelungen. Wo das nicht möglich sei, müsse man ein Parteiausschlußverfahren anstrengen. Die AfD werde sich aber nicht in eine Welle von Ausschlußverfahren hineindrängen lassen. In der Summe sei fehlende Gesetzestreue kein Problem der AfD, sondern bei den Altparteien zu suchen. In Chemnitz hätten sich "einige rechtsextremistische Vollidioten" und "komplett indiskutable Zeitgenossen" einem Protest der Partei angeschlossen. Das zu kritisieren sei richtig, doch blieben die Medien stumm, wenn sich Linke und Grüne mit Angreifern verbrüderten, die gegen AfD-Mitglieder, deren Autos und Häuser gewalttätig würden. [5]

Roland Hartwig leitet die vom AfD-Bundesvorstand eingesetzte "Arbeitsgruppe Verfassungsschutz", die Verhaltensregeln aufstellen soll, um die Partei von einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz freizuhalten. Relativierungen des Nationalsozialismus, Geschichtsrevisionismus und das Schüren von Ängsten vor Folgen von Masseneinwanderung sollen bis auf weiteres allenfalls gedacht, aber nicht mehr öffentlich geäußert werden. Die AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative hat ihren Landesverband Niedersachsen aufgelöst. Der frühere JA-Landeschef Lars Steinke war im August abgesetzt worden, weil er den Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg in einem nicht öffentlich einsehbaren Facebook-Eintrag als Verräter bezeichnet hatte. [6]

Die Parteispitze will weder bürgerlich-konservative Wähler verprellen noch ihren bislang so erfolgreichen Kurs nach rechts beenden. Also ist ein Spagat gefragt, um die Hetzer im Zaum zu halten, ohne einflußreiche Mitglieder zu sanktionieren. So bezeichnete Alexander Gauland die jüngsten Äußerungen Björn Höckes als "falsch" und "in keiner Weise zielführend", einen Anlaß für ein Ausschlußverfahren sieht er in dieser Äußerung aber nicht.


Fußnoten:

[1] www.deutschlandfunk.de/beobachtung-durch-verfassungsschutz-afd-geht-zum.1783.de.html

[2] www.deutschlandfunk.de/alternative-fuer-deutschland-hat-die-afd-ihren-zenit.720.de.html

[3] www.deutschlandfunk.de/gutachten-zu-verfassungsschutz-staatsrechtler-stellt-afd.1773.de.html

[4] www.sueddeutsche.de/bayern/politik-bayern-landtag-afd-1.4197380

[5] www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-und-der-verfassungsschutz-joerg-meuthen-sieht-politische-motivation-a-1236781.html

[6] www.tagesschau.de/inland/afd-verfassungsschutz-137.html

6. November 2018


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