Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


REPRESSION/1628: Sicherheit - Rechtsextreme bei der Polizei ... (SB)



Wir werden das lückenlos aufklären, und es wird - ohne Ansehen der Person - jedem noch so geringen Verdachtsmoment umfassend nachgegangen werden. [...] Ich lasse nicht zu, dass mehr als 14.000 Polizeibeamte unter den Verfehlungen einiger Kollegen leiden müssen.
Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) [1]

Wie der hessische Innenminister Peter Beuth in der Sondersitzung des Landtags-Innenausschusses betont hat, sehe er keine Anhaltspunkte für ein "rechtes Netzwerk" in der Polizei. Diese Aussage mutet erstaunlich an, scheint er doch vorab über sicheres Wissen zu verfügen, was bei den gerade erst angelaufenen Ermittlungen zu den Verdachtsfällen am Ende herauskommen wird. Daß er um seine politische Karriere fürchten muß, liegt auf der Hand, wenn man sich die Chronologie der Ereignisse samt seiner Beteiligung vor Augen führt. Alles deutet darauf hin, daß er genauso gehandelt hat, wie zahlreiche Politiker vor ihm, wenn es galt, strukturelle Verflechtungen der Geheimdienste, Polizeien und Bundeswehr mit rechtsextremistischen Kreisen zu bestreiten, zu verheimlichen, zu vertuschen oder als Ausnahmefälle zu verharmlosen.

Am 2. August erhielt die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz die Mitteilung: "Dieses kostenlose Fax wurde Ihnen von Uwe Böhnhardt geschickt". Unterschrieben war das Fax mit "NSU 2.0" und es enthielt Morddrohungen gegen die Juristin und ihre kleine Tochter, die man "schlachten" werde. Besonders erschreckend war der Umstand, daß ihre Privatadresse und der Vorname ihrer zweijährigen Tochter genannt wurden, obgleich man diese Informationen nicht aus öffentlichen Quellen recherchieren kann. Die Anzeige der Rechtsanwältin landete zunächst beim Hessischen Landeskriminalamt in Wiesbaden und wurde von dort zur Bearbeitung an die Frankfurter Polizei weitergeleitet. Danach hörte das LKA monatelang nichts mehr von der Sache. In Frankfurt konnte man das Fax nicht zurückverfolgen, da es offenbar aus dem Darknet verschickt worden war, doch führte die Frage, wer die privaten Daten der Anwältin gekannt haben könnte, direkt zu einem Computer im 1. Frankfurter Polizeirevier. Unmittelbar vor dem Verschicken des Faxes waren dort die Datenbanken mit der Kennung einer Beamtin nach Basay-Yildiz abgefragt worden.

Im Rahmen einer Durchsuchung bei der Beamtin wurde Anfang September ein Handy sichergestellt, worauf sich eine Chatgruppe befand, die im Oktober 2015 eingerichtet und bis etwa Oktober 2016 intensiv betrieben worden war. Darin fanden die Ermittler etwa 50 Nachrichten, die strafrechtlich relevant sein und beispielsweise den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen könnten, auch Nazi-Symbole wurden verschickt. Neben einer Privatperson gehörten der Chatgruppe noch vier weitere Beamte des 1. Polizeireviers in Frankfurt an, deren Arbeitsplätze und Wohnungen am 25. Oktober durchsucht wurden. Später stießen die Ermittler noch auf einen weiteren Beamten, der inzwischen in Mittelhessen arbeitet. Alle sechs Polizisten sind Beschuldigte in einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Frankfurt.

Die Frankfurter Polizei informierte das hessische Innenministerium über die Ermittlungen, doch wurde dort entschieden, den Fall in Frankfurt zu belassen und nicht das LKA damit zu betrauen. Dies stand in Widerspruch zu der Vorschrift, daß für disziplinarische Ermittlungen gegen Polizeibeamte in Hessen immer das Landeskriminalamt zuständig ist, sofern der Fall größere öffentliche Aufmerksamkeit auszulösen droht. Damit soll der Verdacht entkräftet werden, die Polizei vor Ort könnte ihre Kollegen möglicherweise decken. Die fragwürdige Entscheidung wurde nach eigenen Angaben von Landespolizeipräsident Udo Münch getroffen, der Landesinnenminister Beuth zuarbeitet. Münch versichert, er habe die Entscheidung "ohne jede Rücksprache mit dem Minister" getroffen, was die Opposition im Landtags allerdings bezweifelt.

In der Sondersitzung wurde zudem bekannt, daß Beuth bereits seit dem 6. August von der Anzeige der Rechtsanwältin Basay-Yildiz wußte und seit dem 28. September Kenntnis von den verdächtigen Chats der Frankfurter Beamten hatte. Er habe darüber geschwiegen, um keine Ermittlungen zu gefährden, so die fadenscheinige Erklärung des Ministers. Daß eine Weitergabe der Informationen an das ohnehin zuständige LKA die Aufklärung behindert hätte, ist nicht nachvollziehbar. Eher schon drängt sich der Verdacht auf, daß umfassende Ermittlungen verhindert werden sollten. So hatte Landespolizeipräsident Münch das BKA erst eingeweiht, nachdem erste Medienberichte über die rechte Chatgruppe erschienen waren. [2]

Das LKA nahm umgehend eine Spur auf stieß am Wohnort eines der beschuldigten Beamten im mittelhessischen Kirtorf auf weitere Strukturen mit rechtsextremem Hintergrund. Es gebe Hinweise, daß auch Polizeibeamte aus anderen hessischen Dienststellen in diese Strukturen involviert seien. So sollen zwei Beamte aus den Polizeipräsidien West- und Osthessen den "Reichsbürgern" nahestehen. Nach Hausdurchsuchungen sei Material sichergestellt wurden, beide wurden suspendiert. In einem anderen Fall war kürzlich in Offenbach bei einer Schlägerei, bei der ausländerfeindliche Gesänge zu hören gewesen sein sollen, auch ein 21 Jahre alter Polizeikommissaranwärter festgenommen worden. Zudem sollen Beamte des Polizeipräsidiums Südosthessen 2016 in einer geschlossenen WhatsApp-Gruppe vier Bilder mit rechtsextremem Inhalt ausgetauscht haben. [3]

Seda Basay-Yildiz hat als Nebenklageanwältin die Familie des NSU-Mordopfers Enver Simsek und unter anderem auch den widerrechtlich nach Tunesien abgeschobenen Sami A. vor Gericht vertreten. Ebenfalls wegen eines mit "NSU 2.0" unterzeichneten Drohbriefs hat der Kölner Anwalt Mustafa Kaplan Anzeige erstattet. Er war beim NSU-Verfahren als Opferanwalt tätig und vertritt den türkischen Präsidenten Erdogan im Rechtsstreit mit dem Satiriker Jan Böhmermann. Kaplan vermutet dieselbe Quelle wie bei den Drohungen gegen seine Kollegin. Die nun allseits geforderte rückhaltlose Aufklärung dürfte weitere Fälle und Zusammenhänge zu Tage fördern, schon um den Eindruck zu erwecken, man zögere nicht länger, schwarze Schafe zu identifizieren, welche die Reinheit der weißen Herde in Mißkredit brächten.

Neben dem hessischen Innenminister zeigte sich auch sein christdemokratischer Parteikollege Horst Klee, Vorsitzender des Innenausschusses im hessischen Landtag, besorgt um das Ansehen der Polizei. Diese stehe nun unter Generalverdacht, der so schnell wie möglich ausgeräumt werden müsse. [4] Auch der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour von den Grünen, die in Hessen gemeinsam mit der CDU regieren, verteidigte die Polizei. Er warnte vor einer "Vorverurteilung". "Die Arbeit von Tausenden Polizisten, die sich oft bis weit jenseits der Belastungsgrenze einsetzen, darf nicht in Verruf gebracht werden." Die gesamte hessische Polizei sei sehr betroffen von den im Raum stehenden Vorwürfen, so der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Andreas Grün. "Die Kollegen sind wirklich erschüttert." Jetzt gehe es um nichts anderes, als schleunigst den kompletten Fall aufzuklären, damit weiterer Schaden von der Polizei ferngehalten werden könne. Daß vom Schaden der Opfer rechtsextremistischer Angriffe eher nicht die Rede ist, hat Tradition.

So befanden sich im engsten Umfeld des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), der zwischen 2000 und 2007 neun Migranten und eine Polizistin ermordete, mindestens zwei Dutzend Informanten von Verfassungsschutz und Polizei, deren Rolle nie aufgeklärt wurde und die selbst vor Gericht nicht aussagen durften. Beim Mord an Halit Yozgat in einem Kasseler Internetcafé war sogar ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes, Andreas Temme, vor Ort. Er wurde vom damaligen Innenminister und heutigen Ministerpräsidenten Volker Bouffier geschützt. Zu nennen ist auch die Eskalation polizeilicher Gewalt beim G-20-Gipfel in Hamburg, die es nach Aussage des damaligen Ersten Bürgermeisters und heutigen Vizekanzlers Olaf Scholz nicht gegeben hat. Zahlreichen dokumentierten Übergriffen auf Demonstranten und in der Gefangenensammelstelle, drakonischen Strafen gegen Jugendliche, einer systematischen Hetze gegen "Linksextremisten" und der Verfolgung durch die SOKO "Schwarzer Block" stehen dürftigste Ermittlungsverfahren gegen Polizisten gegenüber.

Oder denken wir an den Berliner Polizeikommissar Andreas T., der sich Nazisymbole auf den Oberkörper tätowieren ließ und in seiner Wohnung gerahmte Fotos von Adolf Hitler und Rudolf Heß aufhängte. Er wurde 2007 vom Dienst suspendiert, bezog aber weitere zehn Jahre lang sein volles Gehalt, weil er nach richterlicher Auffassung in zwei Instanzen seine Pflichten als Beamter nicht verletzt habe. Der Berliner Kripobeamte und Staatsschützer Edmund H. kam mit einer geringen Geldstrafe davon und durfte im Dienst bleiben, nachdem er 2014 an 21 Kollegen Weihnachtsgrüße mit Nazisymbolen und -parolen verschickt hatte. Auch unter den Funktionären und Abgeordneten der AfD finden sich zahlreiche Polizisten. So war der Fraktionsvorsitzende der AfD im mecklenburg-vorpommerschen Landtag, Nikolaus Kramer, zuletzt Polizeioberkommissar, und in Thüringen sitzt der Pressesprecher des Landeskriminalamtes, Ringo Mühlmann, seit zwei Jahren im AfD-Landesvorstand. Der Solinger Polizeikommissar Dietmar Gedig ist stellvertretender Landesvorsitzender der Jungen Alternative in Nordrhein-Westfalen, womit nur einige prominente Beispiele genannt sind. [5]

Hatte Peter Beuth persönliche Gründe, den drohenden Skandal unter den Teppich zu kehren? Das ist anzunehmen, da Ende Oktober Landtagswahl in Hessen war und sein Posten als Innenminister in der neuen schwarz-grünen Regierung keineswegs sicher ist. Da die mutmaßlich geplante Vertuschung nach hinten losgegangen ist, wird ihn der Bannstrahl wohl treffen. Daß er aus dem sogenannten NSU-Skandal dieselben Konsequenzen wie eine Phalanx staatstragender Akteure vor ihm gezogen hat, prädestiniert ihn nun zum Bauernopfer, dessen Kopf rollen muß. Jenseits individueller Motive erzwingt die Staatsräson, die Reihen der Zwangsapparate geschlossen zu halten und deren Schnittmengen mit rechtsextremistischen Positionen zu verschleiern.

Auf die Kollaboration mit der AfD und die offene Parteinahme des damaligen Verfassungsschutzchefs Hans-Georg Maaßen für den rechtsextremen Aufmarsch in Chemnitz folgte der Ruf nach einer weiteren Zentralisierung und Stärkung des Geheimdienstes. Und während die hessische Polizeiaffäre Fahrt aufnimmt haben CDU und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen, in den kommenden fünf Jahren 1.000 neue Stellen für die Polizei schaffen. Angesichts wirtschaftlicher Verwerfungen, wachsender sozialer Spannungen und internationaler Konflikte setzen die herrschaftsrelevanten Machtkomplexe auf Aggression nach außen und Repression nach innen. Daß sie im Zweifelsfall eher die rechten Kettenhunde loslassen als die Sozialrevolte hinnehmen, nimmt über ein bloßes strategisches Kalkül hinaus längst Kontur an.


Fußnoten:

[1] www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_84968064/-nsu-2-0-skandal-rechte-auffaelligkeiten-bei-drei-weiteren-polizeipraesidien.html

[2] www.spiegel.de/panorama/justiz/polizei-frankfurt-warum-die-affaere-um-rechtsextreme-chats-den-innenminister-unter-druck-setzt-a-1244681.html

[3] www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_84973976/frankfurter-polizei-nsu-2-0-hessischer-minister-beuth-nennt-details.html

[4] www.deutschlandfunk.de/rechtsextremismusverdacht-es-muss-an-jeder-stelle-geguckt.694.de.html

[5] www.wsws.org/de/articles/2018/12/19/pers-d19.html

21. Dezember 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang