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REPRESSION/1653: Paris - Bündnis der Bewegungen ... (SB)



Wir sind entsetzt über die Entscheidung der Regierung, die Zehntausende von Teilnehmern einer angekündigten und von den Behörden bewilligten Demonstration in Gefahr gebracht hat. Dies ist ein Zeichen für eine zunehmende Bedrohung unserer Grundfreiheiten und für die Absicht der Regierung, Angst unter den Gegnern ihrer Politik zu säen und so die soziale Bewegung zu zerbrechen.
Communiqué des sozial-ökologischen Protests in Paris [1]

Unter dem Motto "Klimagerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit" wollten Klimaprotest, Gelbwesten und Gewerkschaften in Frankreich einen gemeinsamen Mobilisierungserfolg herbeiführen und auf der Straße deutlich machen, daß diese Fragen nicht voneinander zu trennen sind. Der Klimamarsch der Umweltorganisationen, die 45. Mobilisierung der Gilets jaunes und gewerkschaftliche Demonstrationen gegen die geplante Rentenreform sollten sich teils zu gemeinsamen Zügen vereinen. Der französische Staat faßte eine mögliche "Konvergenz" verschiedener Protestbewegungen in der Hauptstadt als Bedrohung auf und begegnete dieser mit Verboten, einem enormen Polizeiaufgebot und massiver Repression. Ihm geht es darum, die Menschen einzuschüchtern, die Bewegungen zu spalten, den Protest zu kriminalisieren und die Kontrolle der Straße wie auch der Deutungsmacht wiederzugewinnen.

Am Freitag waren in Paris mehr als 10.000 Jugendliche zum weltweiten Klimastreik ungehindert auf die Straße gegangen, um gewaltlos dringende Maßnahmen gegen die Erderwärmung zu fordern. Das Bild änderte sich schlagartig, als am Samstag der von verschiedenen Umweltgruppen organisierte Klimamarsch, an dem sich auch die Gelbwesten beteiligen wollten, fast von Beginn an im Zeichen chaotischer Verhältnisse stand. Bereits am Vortag waren Versammlungen und Demonstrationszüge der Gilets jaunes verboten worden, für zahlreiche Quartiere, namentlich auf der symbolischen Avenue der Champs Elysée und rund um Regierungsgebäude war ein Versammlungsverbot erlassen worden. Schon am frühen Morgen kontrollierten und durchsuchten Polizeikräfte alle Leute, die sie für mögliche Demonstranten hielten.

Die Gilets jaunes hatten erklärt, sie verstünden sich an diesem Tag als Teil der gemeinsamen Klimaproteste, weshalb sie diesmal ohne ihre gelben Westen mitmarschieren wollten. Die Polizei griff am Vormittag alle Ansammlungen von Menschen mit und ohne gelbe Schutzweste an, um sie zu unterbinden. Dabei gingen die mobilen Einsatzkräfte wie schon bei früheren Gelegenheiten mit ihrer gewohnten, aber noch europäischen Standards außergewöhnlichen Härte vor. Wie die Zeitung Le Parisien berichtete, befand sich unter den Festgenommenen auch ein höherrangiger Polizeibeamter der Motorradtruppe "Brigade de répression de l'action violente motorisée" (BRAV-m), der sich an einem Treffpunkt als Mitglied der Gelbwesten bezeichnet und seine Kollegen bei einer Kontrolle beleidigt haben soll. Angesichts dieser Episode denkt man zwangsläufig an einen Agent provocateur, was natürlich auch für manche Aktionen des Schwarzen Blocks gilt. Beweisen läßt sich das ohne weiteres nicht, wenngleich vorliegendes Bildmaterial in einigen Fällen eine solche Polizeistrategie nahelegt. Gut dokumentiert ist das Vorgehen kenntlicher Polizisten, für die gezielte Einschüchterung offenbar Teil des Einsatzes war.

Nach ersten Zusammenstößen mit dem Schwarzen Block, der auf dem Boulevard Saint-Michel Fassaden von Banken und Geschäften attackierte und Motorräder in Brand steckte, feuerte die Polizei bald wahllos Tränengas in die Menge der Demonstranten und riegelte gleichzeitig alle Seitenstraßen ab. Dadurch saßen nach dem Beginn der Kundgebung am frühen Nachmittag Tausende Menschen ohne Fluchtmöglichkeiten in der Falle. Auf Twitter forderte Greenpeace France die Leute auf, die Demonstration wenn möglich zu verlassen. Würden Familien und andere gewaltlos Demonstrierende mit Tränengas beschossen, seien die Bedingungen für einen friedlichen Protest nicht mehr gegeben. Später setzte sich der Demonstrationszug doch noch in Bewegung. Begleitet von Konfrontationen und zahlreichen Festnahmen erreichte er das Ziel in der Nähe der Bibliothek François Mitterrand. Dort besetzten Umweltaktivistinnen und -aktivisten eine Brücke, während parallel dazu die Auseinandersetzungen in verschiedenen Teilen der Stadt weitergingen. Dabei wurden auch völlig Unbeteiligte in Mitleidenschaft gezogen, da die Polizei Menschen bis in die Bahnhöfe der Metro verfolgte und selbst Kinder oder alte Leute im Tränengasnebel weglaufen mußten. Am Abend gelang es etwa 2.000 Menschen, auf dem Bastille-Platz gegen die Klimakrise zu demonstrieren, später kam es auf den Champs-Elysées noch zu Konfrontationen zwischen Gelbwesten und der Polizei. [2]

Während in der Berichterstattung Einigkeit darüber herrschte, daß allein in Paris 7.500 Polizisten eingesetzt worden waren, gingen die Angaben zu den Teilnehmerzahlen wie üblich weit auseinander. Dazu trug in diesem Fall eine gewisse Konfusion bei, da die Klimaproteste und die Gelbwesten mitunter auseinanderdividiert wurden, obgleich das angesichts der gemeinsamen Aktion gar nicht möglich bei. Die am Protest gegen die "klimapolitische Untätigkeit der Regierung" beteiligten Organisationen sprachen in der Hauptstadt von 38.000 Demonstrierenden, offiziöse Schätzungen kamen lediglich auf 15.200 Menschen. In ganz Frankreich sollen laut Organisatoren der Klimapolitikproteste mehr als 150.000 auf die Straße gegangen sein. Nach Angaben der Polizei wurden in Paris insgesamt 163 Personen vorläufig festgenommen und davon 120 inhaftiert sowie 395 kostenpflichtige Verwarnungen wegen Demonstrationen in verbotenen Bereichen der Stadt ausgesprochen.

Innenminister Christophe Castaner dankte den Sicherheitskräften. "Es wurden gewalttätige Menschen festgenommen und Ausschreitungen beendet", schrieb der Vertraute von Staatschef Emmanuel Macron auf Twitter. Auf französischen Fernsehbildern waren brennende E-Tretroller und Mülltonnen zu sehen, laut Medien gingen auch Schaufensterscheiben zu Bruch. In den Reihen der Gewalttäter, die sich unter die friedlichen Demonstranten gemischt hätten, seien auch Vermummte aufgetreten. Nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP seien die gewaltbereiten Demonstranten zunächst zusammen mit den Gelbwesten auf die Straße gegangen und hätten sich dann der Klimakundgebung angeschlossen. Daraufhin hätten Sicherheitskräfte in der südlichen Innenstadt Tränengas eingesetzt. [3]

Diese Interpretation der Ereignisse, wie sie von führenden französischen Medien und der AFP geprägt wurde, fand sich anschließend mit nahezu identischem Wortlaut in der Tagesschau und Berichten großer deutscher Zeitungen wieder. Der Bogen der Bezichtigung, gewaltbereite Akteure hätten den friedlichen Protest infiltriert und okkupiert, weshalb die Polizei zu den erforderlichen Gegenmaßnahmen gegriffen habe, marginalisiert anderslautende Rechercheergebnisse und Analysen. Das inhaltliche Anliegen der Proteste bleibt vollends auf der Strecke, am Ende dominieren die üblichen Schlagzeilen zu den Gelbwesten, die von gewalttätigen Ausschreitungen berichten.

In Paris protestierten die beteiligten Organisationen Attac, Greenpeace, 350.org, CRID, Notre Affaire à tous, Le Mouvement - Il est encore temps und ANV-COP21 & Alternatiba mit dem eingangs auszugsweise zitierten Communiqué gegen die "unerhörte Repression". Sie verwahrten sich gegen die erschreckende Bereitschaft der französischen Regierung, Menschen unmittelbar zu gefährden, die von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen. Dieser Angriff auf die Grundfreiheiten sei dem Zweck geschuldet, den Protest einzuschüchtern und die sozialen Bewegungen zu zerschlagen. Nach den Angriffen auf den Klimamarsch muß sich die Protestbewegung fragen, unter welchen Umständen sie künftig überhaupt noch demonstrieren und es wagen kann, für ihre Interessen auf die Straße zu gehen.

Die Protestbewegung der Gelbwesten demonstriert seit dem 17. November 2018 regelmäßig unter anderem gegen die Politik des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und hat damit zeitweise die größte Krise in dessen Amtszeit ausgelöst. Um die Bewegung der Gilets jaunes unter Kontrolle zu bringen und niederzuschlagen, setzt der französische Staat neben unzureichenden Zugeständnissen und einem fiktiven Dialog vor allem auf die Mittel repressiver Aufstandsbekämpfung. Die hochgerüsteten Polizeien beschießen die Demonstrierenden mit Hartgummigeschossen vom Typ LBD-40 und mit dem Sprengstoff TNT bestückten Tränengas- oder Blendgranaten, die schwere Verletzungen hervorrufen. Es werden massenhaft Menschen festgenommen, Urteile von Schnellgerichten gefällt und Haftstrafen verhängt. Ein neues Gesetz erweitert die Möglichkeiten der Polizei und droht das Demonstrationsrecht auszuhebeln.

Aus Sicht des französischen Staates herrscht Bürgerkrieg seitens der Gilets jaunes, dessen Niederschlagung jegliches Mittel rechtfertigt. Einen tendentiellen Zusammenschluß zwischen Klimaprotest, Gelbwesten und Gewerkschaften, der ökologische und soziale Kämpfe zusammenführen und gemeinsame Fronten eröffnen könnte, will die Regierung Macron unbedingt verhindern, wie das repressive Vorgehen der Polizeien gegen den Klimamarsch unterstreicht. Das hebt die Unverzichtbarkeit eines sozial-ökologischen Ansatzes um so mehr hervor, der sich nicht in geduldete, weil harmlose Kundgebungen und radikalere Formen des Widerstands spalten läßt.


Fußnoten:

[1] www.taz.de/Pariser-Klimamarsch-im-Traenengasnebel/!5627866/

[2] www.heise.de/tp/features/Paris-Die-Polizei-durchkreuzt-die-Proteste-aus-Gelbwesten-und-Klimaschuetzern-4535815.html

[3] www.tagesschau.de/ausland/paris-proteste-109.html

24. September 2019


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