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REPRESSION/1663: Polizeistaatlichkeit - in verdaulichen Schritten ... (SB)



Mit etwa 48.700 Beschäftigten, von denen mehr als 40.000 Polizeivollzugsbeamte sind, ist die Bundespolizei eine bundesweit verfügbare Polizei von hohem Einsatzwert. Sie ist an mehr als einhundert Standorten vertreten und an allen wichtigen Verkehrsinfrastrukturpunkten in Deutschland präsent. Dadurch kann die Bundespolizei flexibel auf Großlagen reagieren und ihre polizeilichen Aufgaben in ganz Deutschland erfüllen. Sie leistet somit einen wichtigen Beitrag für den Erhalt der inneren Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland.
"Unser Auftrag" (Webseite der Bundespolizei) [1]

Weit davon entfernt, auf dem politischen Abstellgleis ein Schattendasein zu fristen, treibt Bundesinnenminister Horst Seehofer emsig das Vorhaben voran, den Polizeistaat zu komplettieren. Er will die Bundespolizei Zug um Zug zu jenem repressiven Instrument ausbauen, das ihr Name seines Erachtens verspricht, nämlich einer landesweit uneingeschränkt tätigen polizeilichen Institution. Da Polizei in der Bundesrepublik jedoch im wesentlichen noch Ländersache ist, bedarf es einiger Zwischenetappen, um die Befugnisse der Bundespolizei sukzessive zu erweitern und politisch durchzusetzen. Zugleich sägen die Innenminister der Länder ihrerseits beharrlich am föderalen Prinzip, indem sie die ohnehin weitgehend aufeinander abgestimmten neuen Polizeigesetze erklärtermaßen auf Bundesebene nivellieren wollen.

Seehofer knüpft mit seinem Vorstoß an eine langfristige Entwicklung an, die bereits 1972 begann, als der damalige BGS im Bundesgrenzschutzgesetz als eine Polizei des Bundes bezeichnet wurde. Im Rahmen des Schengener Abkommens und mit der deutschen Wiedervereinigung im Jahre 1990 änderte sich dann das Einsatzspektrum des BGS grundlegend, grenzpolizeiliche Aufgaben gingen stark zurück, bahnpolizeiliche und Flughafensicherungsaufgaben kamen hinzu. 1998 kam es zu einem Normenkontrollverfahren im Hinblick darauf, ob der BGS die Aufgaben der Bahnpolizei und Sicherung der Flughäfen übernehmen durfte, was letztendlich bestätigt wurde. In ihrer Entscheidung benutzten die Richter zur Beschreibung der Aufgaben des BGS die Begriffe Sonderpolizei, Polizei mit begrenzten Aufgaben und schließlich Polizei des Bundes.

2005 strebte die rot-grüne Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder und Innenminister Otto Schily die endgültige Umbenennung an. Dies führte zu einer intensiven politischen Diskussion besonders auch zwischen den Ländern und dem Bund. Anlaßgebend war zum einen die Sorge der Länder, daß der Bund versuche, länderpolizeiliche Kompetenzen zu übernehmen, zum anderen auch eine unterschiedliche Interpretation des Polizeibegriffes. Letztendlich stimmte der Bundestag mehrheitlich für den Antrag der Bundesregierung, und der BGS wurde zum 1. Juli 2005 in Bundespolizei umbenannt.

Die im Frühjahr 2010 von Bundesinnenminister Thomas de Maizière eingesetzte Kommission zur Evaluierung der Sicherheitsbehörden des Bundes (Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Bundeszollverwaltung) unter der Leitung des ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Eckart Werthebach gab Anfang Dezember 2010 in ihrem Bericht die Empfehlung, Bundespolizei und Bundeskriminalamt zu einer Polizei des Bundes unter dem Namen Bundespolizei (neu) zusammenzufassen. De Maizière bezeichnete den Vorschlag der Kommission als überzeugend, bedenkenswert und verfolgenswert. Das Vorhaben, eine Art deutsches FBI zu schaffen, scheiterte jedoch vorerst an Widerständen von verschiedener Seite.

Hier legt nun Seehofer nach, der die Kompetenzen der Bundespolizei erheblich ausweiten will, vor allem im Kampf gegen Schleuser und bei Abschiebungen, was jedoch beileibe nicht die einzigen Neuerungen der Gesetzesüberarbeitung sind. Obgleich die Zahl der Asylanträge das dritte Jahr in Folge rückläufig ist, dringt vor allem die Union darauf, daß Menschen ohne Aufenthaltsberechtigung schneller außer Landes gebracht werden. Der Bundesinnenminister will dafür jetzt die Zuständigkeit der Bundespolizei für Abschiebungen ausweiten. Zu diesem Zweck sollen sich die Bundespolizisten im Rahmen ihrer Aufgaben künftig auch für bestimmte Fälle zuständig erklären können, die bislang Sache der Länder sind. So heißt es im Entwurf des Ministeriums für ein neues Bundespolizeigesetz, die Zuständigkeit der Bundespolizisten für Fälle von unerlaubter Einreise solle sich künftig nicht nur auf Bahnhöfe und den 30-Kilometer-Bereich an der Grenze beschränken. Sie soll in Zukunft auch sogenannte Hauptverkehrsrouten umfassen, falls "aufgrund von Lageerkenntnissen anzunehmen ist, dass diese Verkehrswege zur unerlaubten Einreise genutzt werden". Das beträfe beispielsweise Parkplätze an der Autobahn oder Haltepunkte von Fernbussen, an denen bislang die Polizeibehörden der Bundesländer zuständig sind.

Die Bundespolizei soll sich, wo sie ihre Aufgaben wahrnimmt, auch um die Abschiebung von Ausreisepflichtigen kümmern dürfen, die nicht erst kürzlich eingereist sind, sondern sich schon länger im Land aufhalten: Wenn ihr also beispielsweise bei einer Kontrolle am Bahnhof oder am Flughafen jemand auffällt, dessen Touristenvisum schon vor Jahren abgelaufen ist. Der Entwurf sieht vor, daß die Zuständigkeit nach spätestens sechs Monaten auf die Ausländerbehörde übergeht, wenn der Bundespolizei eine Abschiebung bis dahin nicht gelungen ist.

Als Argument für diese neue Befugnis führt Bundespolizeipräsident Dieter Romann bezeichnenderweise gerne den Fall des späteren Weihnachtsmarktattentäters Anis Amri an. Der abgelehnte Asylbewerber aus Tunesien war im Juli 2016 in Friedrichshafen von Bundespolizisten in einem Fernbus angetroffen worden. Der polizeibekannte Islamist trug zwei gefälschte italienische Personaldokumente bei sich und wurde festgenommen. Zuständigkeitshalber übergaben ihn die Beamten später der Landespolizei. Die Ausländerbehörde Friedrichshafen ordnete zwar Abschiebehaft an. Da man jedoch davon ausging, eine Abschiebung könne wegen fehlender Papiere nicht innerhalb von drei Monaten bewerkstelligt werden, kam er später wieder frei. Am 19. Dezember 2016 tötete Amri in Berlin zwölf Menschen. Wenngleich die Umstände dieses Anschlags nach wie vor höchst umstritten sind und vieles für eine Intervention des Geheimdienstes spricht, wird abermals die Version eines Behördenversagens kolportiert, die dem Ruf nach einer Ausweitung der Kompetenzen - in diesem Fall der Bundespolizei - Tür und Tor öffnet.

In der Gesetzesnovelle Seehofers geht es indessen auch um ganz andere Fragen. Der Entwurf, der aktuell zwischen den Ressorts der Bundesregierung abgestimmt wird, erlaubt Beamten der Bundespolizei die Verwendung von Elektroimpulsgeräten, sogenannten Tasern. Diese Geräte, die schon in einigen Bundesländern genutzt werden, verschießen Strompfeile, die über dünne Drähte mit der Waffe verbunden sind. Die elektrischen Impulse sollen einen Angreifer vorübergehend außer Gefecht setzen. Die Spezialeinheit GSG 9 hat die Waffe bereits erprobt. [2]

Das Innenministerium will außerdem, daß eine rechtliche Grundlage für den "finalen Rettungsschuß" in besonderen Situationen wie Geiselnahmen und Terroranschlägen geschaffen wird. Die Frage, ob ihren Einsatzkräften dieser gezielte Todesschuß zur Abwehr einer akuten Gefahr, etwa bei Geiselnahmen, gestattet ist, betrifft vor allem, aber nicht nur, die GSG 9. [3]

Neu ist auch der Vorschlag, die Bundespolizei solle verdeckte Ermittler in Zukunft auch präventiv einsetzen dürfen. Bisher ist ihr das nur im Zuge von Ermittlungsverfahren gestattet. Denkbar wäre ein solcher Einsatz etwa, um Schleuserbanden auf die Schliche zu kommen.

Für eine heftige Kontroverse hatte der Entwurf bislang aus einem anderen Grund gesorgt. In einer früheren Fassung war die Möglichkeit der Verwendung von Systemen zur automatisierten Gesichtserkennung an Flughäfen und Bahnhöfen enthalten. Dabei können Aufnahmen aus Videokameras sozusagen live mit Gesichtsbildern aus Datenbanken der Polizei abgeglichen werden. Kurz vor Beginn der Ressortabstimmung hatte Seehofer diesen Passus allerdings gestrichen, doch wollen Innenpolitiker der Union im parlamentarischen Verfahren dafür sorgen, daß er wieder eingefügt wird.

Der FDP-Innenexperte Konstantin Kuhle kritisierte den Entwurf Seehofers. "Durch die Hintertür sollen die Länder ihrer Kompetenzen im Sicherheitsbereich beraubt werden. Kein Landesinnenminister, der bei Trost ist, kann das gutheißen", sagte er. "Besser wäre es, eine transparente Föderalismuskommission einzurichten, mit der die Aufgabenverteilung im Bereich der Inneren Sicherheit insgesamt evaluiert und neu aufgestellt wird." Wenn Kuhle in dieser Frage einen fundamentalen Widerspruch zwischen Bund und Ländern konstruiert, so hebt er ihn umgehend selbst wieder auf, indem er sich für eine innovative Abstimmung der Kompetenzen und Zusammenarbeit stark macht.

Die Abschiebepraxis der Bundespolizei wird von einigen Menschenrechts- und Flüchtlingsgruppen wie etwa Pro Asyl seit Jahren kritisiert. Im Jahr 2013 erhielt die Bundespolizei den Big Brother Award für "diskriminierende und rassistische Identitätsfeststellungen und körperliche Durchsuchungen im Zuge verdachtsunabhängiger Personenkontrollen". Pro Asyl spricht von einem institutionellen Rassismus bei der Bundespolizei, dessen Ursache militärische Struktur und Korpsgeist seien, die eine systematische interne Aufklärung der Vorwürfe verhinderten.

Während die Existenz der Spezialeinheit GSG 9 mit ihrer geschätzten Personalstärke von rund 400 Beamten in der Öffentlichkeit weithin bekannt ist, gilt das weit weniger für die Mobile Fahndungseinheit. Unter den bundesweit neun verschiedenen Einheiten operieren die meisten sehr individuell. Einige ähneln den Mobilen Einsatzkommandos (MEK) der Polizeien der Länder und verantworten auch Festnahmen grundsätzlich selber, andere arbeiten nur im absoluten Ausnahmefall offen und überlassen die eigentlichen Festnahmen uniformierten Polizeibeamten, um ihre Tarnung bei öffentlich sichtbaren Einsätzen nicht zu gefährden.

Aufschlußreich, doch zugleich in der öffentlichen Wahrnehmung ebenfalls eher ausgeblendet sind auch die Aufgaben der Bundespolizei im Auftrag der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und anderer internationaler Organisationen. Sie unterstützt zudem das Auswärtige Amt beim Schutz deutscher diplomatischer und konsularischer Vertretungen. Nach Angaben der Behörde sind mehr als 2.200 Beamte in Osteuropa, dem Nahen Osten, in Afrika und in weltweiten Krisengebieten als Berater und Experten im Einsatz. Als 2011 einem Medienbericht zufolge Bundespolizisten im Auftrag der EADS Beamte der saudischen Polizei vor Ort in der Bedienung von Geräten zum Grenzschutz ausgebildet haben, sahen Kritiker darin eine unzulässige Vermischung privatwirtschaftlicher Interessen und hoheitlicher Aufgaben.

Erwähnenswert ist zudem, daß das Referat 56 der Bundespolizei funktechnische Aufklärung im Rahmen bundespolizeilicher Zuständigkeiten betreibt und gem. § 10 BPolG auch das Bundesamt für Verfassungsschutz auf dem Gebiet der Funktechnik unterstützt. Diese und andere Aspekte dokumentieren, daß das Einsatzspektrum der Bundespolizei differenzierter und die Grenze zu anderen Sicherheitsorganen poröser ist, als es im gängigen Diskurs über Kompetenzgerangel und Effizienzbremsen kommuniziert wird. Wenngleich es zutreffen mag, daß parteipolitische und polizeiliche Rivalitäten wie auch verfassungsrechtliche Bedenken eine vereinheitlichte Architektur der inneren Sicherheit bislang verzögert haben, wäre es doch trügerisch, darin ein wirksames Hindernis für die letztendliche Durchsetzung des Polizeistaats zu vermuten. Was de Maizières Frontalangriff nicht beschieden war, will Seehofer zehn Jahre später portionsweise verdaulicher machen.


Fußnoten:

[1] www.bundespolizei.de/Web/DE/05Die-Bundespolizei/01Unser-Auftrag/Unser-Auftrag_node.html

[2] www.welt.de/politik/deutschland/article205698815/Abschiebungen-Mehr-Kompetenzen-fuer-die-Bundespolizei-geplant.html

[3] www.zeit.de/politik/deutschland/2020-02/bundespolizeigesetz-seehofer-abschiebung-asylbewerber

10. Februar 2020


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