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KULTUR/0762: Neue Impulse für die Entwicklung kritischer Intelligenz (SB)



Der Erfolg der israelischen Regierung bei der Durchsetzung ihrer Angriffsdoktrin hat eine Schattenseite, die der Gleichschaltung der Berichterstattung in den Konzernmedien und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gemäß außerhalb der Bewertung des Krieges gegen die Palästinenser bleibt. Indem die Berichterstattung lediglich die Bandbreite zwischen der platten Legitimation des angeblichen Verteidigungskrieges Israels und der beiden Seiten gleichermaßen zugelasteten Verantwortung zuläßt, werden alle Menschen, die aufgrund ihres Instinkts oder der Nutzung alternativer Nachrichtenquellen dadurch nicht erreicht werden, wirksam von der Instrumentalisierung der Nachrichten- und Unterhaltungsindustrie zugunsten des Aggressors und seiner Verbündeten überzeugt.

Dabei müssen wesentliche Informationen zur israelischen Kriegführung wie die hohen Opferzahlen, die humanitäre Katastrophe im Angriffsgebiet oder der Einsatz verbotener Waffen gar nicht unterdrückt werden. Man kann sie den Berichten deutscher Medien entnehmen, allerdings unter strikter Wahrung eines sterilen Raums der Nachrichtenproduktion, in der bestimmte Begriffe, die Rückschlüsse auf das im Gazastreifen exekutierte Gewaltverhältnis zulassen, nicht fallen. So ist fast nie von der "Besatzungspolitik" Israels die Rede, die seit 42 Jahren anhaltende Drangsalierung der Palästinenser wird ebensowenig in Rechnung gestellt wie die Tatsache, daß das Gebiet schon seit zwei Jahren ausgehungert und von Israel immer wieder mit militärischen Angriffen überzogen wird, die zahlreiche Opfer unter den Palästinensern zur Folge haben. Dafür wird der Zusatz "radikalislamisch" bei der Nennung der Hamas fast nie vergessen, und der Verweis, daß die Organisation auf der Terrorliste der EU steht, wird ebenso häufig gegeben, wie ihre demokratische Mandatierung durch die Palästinenser unterschlagen wird.

Kurzum, man beschränkt sich auf ein dürres Skelett von Informationen, schmückt dies mit die Regierung in Tel Aviv unterstützenden Stellungnahmen von Politikern aus, vermeidet die Nutzung verstörender Bilder arabischer TV-Sender aus dem Kriegsgebiet und bringt statt dessen Reportagen über die Folgen des palästinensischen Raketenbeschusses. Die allgemeine Berichterstattung wird von einer regelrechten Dissoziation zwischen Sachstand und Bewertung geprägt, so daß sich Menschen, die die Leiden und Schmerzen der Betroffenen nicht ignorieren können, das Bild einer gespenstischen, an diktatorische Verhältnisse gemahnenden Gleichschaltung des Medienbetriebs aufdrängt.

Gerade auch viele Israel aus Gründen der deutschen Vergangenheit wohlwollend gegenüberstehende Menschen können mit der Unterdrückung aller Empathie, die ein solches Massaker mobilisiert, nicht gut umgehen. Ihr Wunsch, aus dem Schwur "Niemals wieder!" erwüchsen humanere Umgangsformen zwischen den Staaten und zivilere Praktiken in der Politik, wird durch das dogmatische Rekapitulieren haltloser Stellungnahmen wie derjenigen, daß die Palästinenser die Israelis dazu getrieben hätten, sich auf diese Weise gegen sie zu verteidigen, brüsk negiert. Das Problem, die Parteinahme für die Opfer der Judenvernichtung nicht mit der Parteinahme für die Opfer der israelischen Kriegführung zusammendenken zu dürfen, läßt sich am besten dadurch lösen, indem man sich von offiziellen Sprachregelungen verabschiedet und beginnt, eine eigenständige Urteilsfähigkeit zu entwickeln.

Um so deutlicher erweist sich die von Bundeskanzlerin Angela Merkel proklamierte Staatsräson der einseitigen Parteinahme für Israel als Staatsdoktrin, die nicht zu beherzigen soziale Verachtung bis berufliche Nachteile zur Folge hat. Die der Israel begünstigenden Berichterstattung implizite Forderung, den gesunden Menschenverstand auszuschalten und sich einer Indoktrination auszusetzen, die an der gerechten Bestrafung der Palästinenser vormacht, was allen droht, die sich dieser Unterwerfung verweigern, kann denn auch als aktives Instrument politischer Regulation verstanden werden. Es geht nicht nur darum, den Palästinensern vor aller Augen mit menschen- und völkerrechtswidrigen Mitteln den Garaus zu machen, man übt auch eine neue Qualität der Subordination der eigenen Bevölkerung ein, indem man sie nötigt, offenkundige Widersprüche zu integrieren, die nur dadurch weiterzuentwickeln sind, indem man sich auf eine Seite stellt und streitbar Position bezieht.

Der mit der Abkopplung der medialen Verwertung des Geschehens in Gaza von der Möglichkeit politischer Stellungnahme und demokratischer Einmischung erbrachte Kontrollverlust entzieht sich der gouvernementalen Evaluation und Regulation. Schwarze Löcher in positivistischen Konzepte können nicht ausgelotet, sondern lediglich ausgespart werden. Das darin heranwachsende Potential der eigenen Bevölkerung, sich dieser Vereinnahmung zu entziehen und womöglich Formen des Widerstands gegen diese Anmaßung zu entwickeln, kann mit den Mitteln der Terrorismusbekämpfung nur unzureichend geortet und eliminiert werden. Im besten Fall stimuliert die mediale Gleichschaltung das Heranwachsen einer kritischen Intelligenz, die sich der gegen sie gerichteten Maßnahmen entzieht, weil sie ihnen bereits voraus ist.

13. Januar 2009