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KULTUR/0765: "Wir sind Papst!" Bekenntnis zu Kirche und Nation bleibt gültig (SB)



Die Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz zur Leugnung des Holocausts durch den von Papst Benedikt XVI. rehabilitierten britischen Bischof Richard Williamson unterstellt einen Klärungsbedarf, von dem man nicht vermutet hätte, daß er existiert. Die Leugnung des Holocausts sei inakzeptabel und gehöre nicht zur Lehre der katholischen Kirche, erklärte der Sprecher der Bischofskonferenz, Matthias Kopp, gestern im ZDF. Wer hätte das gedacht. Am Vorabend des Holocaust-Gedenktags muß die Führung einer der beiden deutschen Amtskirchen bestätigen, daß am 27. Januar einer historischen Tatsache und keines Produkts blühender Fantasie gedacht wird.

Sogar im Vatikan meinte man plötzlich, Selbstverständliches aussprechen zu müssen. Laut Kurienkardinal Walter Kasper sei die Leugnung des Holocausts "absolut nicht die Position der katholischen Kirche". Da es für eine dem eigenen Verständnis nach der Wahrheit verpflichtete Glaubensgemeinschaft schlechterdings unmöglich ist, irgend etwas zu leugnen, was man nicht bestreiten oder widerlegen kann, hat man es offensichtlich mit dem Versuch der Schadensbegrenzung zu tun. Der Schadensfall besteht allerdings nicht nur darin, daß mit Williamson ein Bischof mit judenfeindlichen Ansichten in den Schoß der Kirche zurückkehren durfte. Er umfaßt die Wiedereingliederung eines ganzen Flügels rechtskatholischer Priester und Gläubiger, die von Johannes Paul II. 1988 exkommuniziert wurden, weil sie die Errungenschaften des Zweiten Vatikanums rundheraus ablehnten und damit in mehrfacher Hinsicht gegen gültiges Kirchenrecht und die Autorität des Papstes verstießen.

Die Anhänger des verstorbenen Bischofs Marcel Lefevbre waren so sehr vom alleinseligmachenden Charakter der katholischen Glaubensdoktrin überzeugt, daß sie sich jeglicher Annäherung der römischen Kirche an andere Konfessionen und Religionen widersetzten. Ihr Antikommunismus ging so weit, daß sie jede Liberalisierung der Kirche als Produkt einer marxistischen Verschwörung brandmarkten. Als Sachwalter bourgeoiser Herrschaft selbst dann, wenn sie so blutig durchgesetzt wurde wie in den bürgerlich-katholischen Militärdiktaturen Lateinamerikas, gehörten sie zu den sozial reaktionärsten Kräften, die der Katholizismus aufzubieten hatte.

Zudem handelt es sich bei den vier Bischöfen, die Benedikt XVI. als solche anerkannte, um widerrechtlich von Lefevbre geweihte Amtsträger, so daß der deutsche Papst die Autorität seines polnischen Vorgängers mit diesem Schritt indirekt in Frage stellt. Williamson, der der Ansicht ist, daß lediglich 200.000 und nicht sechs Millionen Juden durch den NS-Staat ermordet wurden, markiert lediglich die Spitze des klerikalkonservativen Rollbacks, mit dem Joseph Ratzinger einmal mehr deutlich macht, daß es ihm um die Restauration autoritärer Herrschaft nicht nur in seiner Kirche geht.

Als der Papst im September 2006 eine Attacke gegen den Islam ritt, indem er ihn eines fragwürdigen Verhältnisses zu Vernunft und Wahrheitstreue bezichtigte, das seine Anhänger sogar zu Verstößen gegen die eigene Glaubensdoktrin ermächtigen könne, war man sich hierzulande einig darin, daß die empörten Reaktionen von Muslimen in aller Welt weit überzogen wären. Führende europäische Politiker wie EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso verurteilten die Proteste als "völlig inakzeptabel" und konnten sich dabei großer Zustimmung unter deutschen Katholiken sicher sein.

Benedikt XVI. selber tat so, als verstehe er die ganze Aufregung nicht, und erklärte alles mit einem "Mißverständnis" seitens der Betroffenen, was auf einen weiteren Affront hinauslief, behauptete er damit doch, daß sie den feindseligen Charakter der Rede zu seinen Lasten lediglich unterstellten. Kurz darauf zitierte er in einer Sonntagspredigt auf italienisch aus dem 1. Korintherbrief des Paulus: "Wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit".

Die Suprematie der katholischen Kirche und ihrer Glaubensdoktrin ist dem ehemaligen Oberinquisitor Ratzinger ein besonderes Anliegen, das bekamen in der Folgezeit Befreiungstheologen, die indigenen Einwohner Lateinamerikas, Homosexuelle und immer wieder auch Juden zu spüren. Zu vermuten, hier handle es sich lediglich um das Konkurrenzverhalten eines Seelenfischers, greift zu kurz. Benedikt XVI. geht es immer um eine Umwandlung der ganzen Gesellschaft unter der moralischen Führerschaft seiner Kirche. Mit der in seiner Regensburger Rede hervorgehobenen "Begegnung zwischen Glaube und Vernunft, von rechter Aufklärung und Religion" beansprucht er nichts geringeres als die Autorität der Kirche auch in weltlichen Belangen, und zwar in einer auf ganz Europa ausgreifenden und gegenüber dem Rest der Welt eurozentrischen Weise. So habe "das Christentum trotz seines Ursprungs und wichtiger Entfaltungen im Orient schließlich seine geschichtlich entscheidende Prägung in Europa gefunden" und sei dort für einen Gründungsakt verantwortlich gewesen, der ihn heute noch zu der Behauptung berechtigt, daß das Christentum "Europa geschaffen" habe und "Grundlage dessen, was man mit Recht Europa nennen kann", bleibe.

Als ob es die protestantische Reformbewegung und die antiklerikale Aufklärung nie gegeben habe, erhebt dieser Papst einen ideengeschichtlichen und moralphilosophischen Vormachtanspruch, der seinem Einsatz für die reaktionärsten Kräfte des Katholizismus, wobei insbesondere an den Orden Opus Dei zu denken ist, einen gesellschaftspolitisch militanten und aggressiven Anstrich verleiht.

Das wäre nicht weiter von Bedeutung, wenn es sich bei Joseph Ratzinger um den Chef einer Kirche unter vielen handelte. Er ist jedoch der auf Lebenszeit eingesetzte, mit dem Imperativ unbezweifelbarer Autorität in Glaubensfragen ausgestattete Anführer einer Weltreligion, die in Deutschland über staatskirchliche Privilegien verfügt. In der Bundesrepublik, wo weltanschauliche Gemeinschaften wie die Zeugen Jehovas oder Scientology von den Erben der Heiligen Inquisition unheiligster Machenschaften bezichtigt werden, jubelte man im April 2005 gemeinsam "Wir sind Papst!". Als sinnvolle Ergänzung zur Kampagne "Du bist Deutschland", mit der der Jugend die Bescheidenheit neoliberaler Leistungsgerechtigkeit eingetrimmt wurde, hat man diesen sympathischen alten Herren, der kein Wässerchen trüben kann, im August 2005 auf dem Weltjugendtag in Köln wie einen Popstar gefeiert.

Die Frage, ob die Jugend heute schlauer ist und "wir" immer noch Papst sind, stellt sich nicht. Zweifellos wird man die Proteste jüdischer Organisationen nicht mit der gleichen Selbstgerechtigkeit, mit der man die Kritik am antiislamischem Affront Ratzingers abbügelte, zurückweisen. Schließlich weiß jeder, daß so etwas nicht unüberlegt getan wird, sondern die zu erwartenden Reaktionen längst in das strategische Kalkül einbezogen wurden. Überhaupt damit anzufangen, die politische Agenda dieser Kirche öffentlich unter die Lupe zu nehmen, bedeutete, nicht mit der Leugnung des Holocausts unter einzelnen Katholiken aufzuhören, sondern das ganze reaktionäre Gedankengut dieses Papstes und die ihm dabei gewährte Zustimmung führender gesellschaftlicher Kreise zu exponieren. Daran besteht selbst in einer offiziell säkularen Gesellschaft kein Interesse, denn auch dort wird die Religion noch gebraucht, um virulente Widersprüche zu entschärfen.

27. Januar 2009