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KULTUR/0803: Joseph Fischer im pseudokritischen Spiegel des ZDF (SB)



Wenn im Auftrag des ZDF-Historytainment-Impresarios Guido Knopp eine Dokumentation über die Karriere Joseph Fischers angefertigt wird, dann darf man kurzweilige Unterhaltung erwarten. Womit man nicht rechnen sollte, sind Analysen der politischen Kräfte und Interessen, die die Karriere des Grünen-Politikers trieben. Das wäre mit dem flott geschnittenen Format zweier bereits 2008 produzierter 45-Minuten-Sendungen, die das ZDF in seinem Dokumentationskanal am 10. und 11. September ausstrahlte, zwar zu leisten gewesen, ginge jedoch zu Lasten der schnellen Verdaulichkeit, die das Geschichtsfernsehen Marke Knopp auszeichnet.

Autor Hubert Seipel hat bei dem Versuch, den ganzen biografischen Bogen vom Straßenkämpfer zum Außenminister abzuschreiten, nicht eben großen Wert auf eine angemessene Schilderung der zeitgeschichtlichen Umstände gelegt. So zeugt die Behauptung, die Frankfurter Polizei habe die Mitglieder der sogenannten Putzkolonne Fischers trotz ihrer Übergriffe auf Polizeibeamte nicht festgenommen, weil sie wichtigere Dinge wie die Verfolgung der RAF zu tun gehabt hätte, von völliger Unkenntnis des Mitte der 70er Jahre in der BRD herrschenden Repressionsklimas. Warum auch immer das von einem direkt an den Aktionen der Putzkolonne Beteiligten bezeugte Wissen der Polizei um die Identität der Straßenkämpfer nicht in häufige Verhaftungen mündete, ganz sicher war dies nicht der mangelnden Bereitschaft der Polizei geschuldet, hart gegen die radikale Linke durchzugreifen.

Auch die tiefgreifenden gesellschaftlichen Widersprüche, die die Studenten in den 60er Jahren auf die Straße und den Revolutionären Kampf in den 70er Jahren zur Arbeiteragitation trieben, werden keines Wortes gewürdigt, das nicht von virulentem Antikommunismus geprägt wäre. Während sich die Macher von "Joschka - eine Karriere" viel Mühe beim Auffinden alter Filmdokumente gegeben haben, auf denen ein noch unbekannter jugendlicher Fischer bei seinem Einstieg in die radikale Frankfurter Studentenszene auszumachen ist, bleibt die historische Analyse auf dem Niveau der neokonservativen Weltsicht, die man von Guido Knopps Produkten gewohnt ist.

Im Ergebnis entsteht das Bild eines recht durchschnittlichen Karrieristen, der seinen allerdings außergewöhnlichen Aufstieg der notwendigen Vereinnahmung oppositioneller Bewegungen für das Programm der Herrschenden zu verdanken hat. Weil Fischer sich an den gesellschaftlichen Umständen immer nur so weit rieb, wie es seinem Streben nach Höherem nützte, war er für diesen Zweck verwendungsfähig. Ein kritischer Geist, der seiner Laufbahn im Wege gestanden hätte, mußte ihm nicht ausgetrieben werden. Er war nie auf eine Weise entwickelt, die den von ihm beanspruchten revolutionären Geist als über eine schicke Pose hinausgehende Streitposition wirksam gemacht hätte. Daher verliert der spektakuläre Charakter seiner Wandlungen viel von der Brisanz, die der moralisierende Tenor Seipels ins Spiel zu bringen versucht.

Gerade weil Fischer sich, wie in dem Film häufig konstatiert, immer wieder selbst erfunden hat, haben seine Häutungen nichts zutage gefördert, was nicht seit jeher in ihm angelegt war. Die brennende Ambition, zu besonderer Bedeutsamkeit zu gelangen, und die ihm praktisch zum zweiten Namen gewordene Wandlungsfähigkeit können nur auf kritische Weise aufgearbeitet werden, wenn man der betreffenden Person eine Prinzipientreue unterstellt, die auch zum Preis sozialer und gesellschaftlicher Nachteile durchgesetzt wird. Das war bei dem ehemaligen Aktivisten des Revolutionären Kampfes ebensowenig der Fall wie bei dem frischgebackenen ersten Minister der Grünen auf Landesebene und dem späteren Außenminister der Bundesrepublik.

Dies ist keine Neuigkeit für diejenigen, die nicht wie Fischer die Rutsche zum Erfolg gewählt haben, indem sie vorschützten, auf dem langen Marsch durch die Institutionen zu erreichen, was der kurze revolutionäre Aufbruch nicht vermocht hatte. Das in Fischers Werdegang exemplarisch abgebildete Scheitern der radikalen Linken ist von einem Opportunismus getragen, der als geradezu phänotypisches Modernisierungsprodukt bezeichnet werden kann. Wer nicht abgebrüht genug war, die erklärten emanzipatorischen Ideale in ihr Gegenteil umzumünzen, um sich auf dem Rücken jugoslawischer Kriegsopfer zu weltpolitischer Bedeutung aufzuschwingen, den kann der genüßlich-ironische Unterton, mit dem die Karriere des ehemaligen Spontis zum staatstragenden Amts- und Würdenträger im ZDF geschildert wird, nur abstoßen.

So enthüllt der Blick der Kamera ein politisches Sittengemälde, in dem die zu gesellschaftlichen Gewinnern mutierten Ex-Aktivisten mit einer bourgeoisen Selbstzufriedenheit aufwarten, die den von ihnen mitverursachten Niedergang der antikapitalistischen und antimilitaristischen Linken nicht besser dokumentieren könnte. Sekundiert wird den Zeitzeugen aus dem Umfeld Fischers von den unvermeidlichen Sachwaltern einer systemkonformen Neuinterpretation der 68er-Bewegung Peter Schneider und Wolfgang Kraushaar, auf daß niemand auf den Gedanken kommt, daß Fischer womöglich gar kein repräsentatives Beispiel für die jungen Menschen ist, die vor 40 Jahren gegen die herrschenden Verhältnisse aufstanden.

Indem das ZDF Fischer als machtopportunen Wechselbalg darstellt, dem nichts heilig ist außer dem eigenen Erfolg, legt es beredt Zeugnis vom ambivalenten Umgang mit den eigenen Wertvorstellungen ab. Mit dem ehemaligen Außenminister der rot-grünen Bundesregierung tritt dem Zuschauer ein Prototyp jener Überlebensintelligenz gegenüber, die seit Jahren von Politik und Medien als das Erfolgsmodell der Zukunft propagiert wird. Berufliche Flexibilität, soziale Kompetenz, aggressiver Ehrgeiz, permanente Selbstoptimierung - Fischer kann noch so sehr den gravitätischen Habitus des elder statesman vorhalten, er war und ist ein typisches Produkt jener Modernisierung, die die Unterwerfung des Menschen für fremde Zwecke in neue Dimensionen seiner Form- und Verfügbarkeit getrieben hat.

Wo ZDF und Guido Knopp draufsteht, ist die Legitimaition kapitalistischer Verwertung und imperialistischer Kriegführung in jedem Fall drin. Auch von daher kann die an dem Grünenpolitiker vorexerzierte Belehrung über den moralisch minderwertigen Charakter eines machtpolitischen Opportunismus, der seine Chancen zu Lasten anderer Menschen und Bevölkerungen sucht, nicht überzeugen. Die Fischer unausgesprochen vorgehaltene Amoralität seiner politischen Gesinnung ist von der Verkennung herrschender Gewaltverhältnisse bestimmt, da sie ausblendet, daß auch ein so ehrgeiziger Politiker wie er ohne Protektion von oben und die Rückendeckung durch seine Partei niemals so weit gekommen wäre.

Die Grünen haben Fischer zu ihrem Leitwolf erkoren, nicht weil sie mit seinen politischen Vorstellungen unbedingt einverstanden waren, sondern weil er ihr Drängen an die Regierungsmacht am wirksamsten in die politische Praxis umzusetzen verstand. Die an seinem Beispiel vorgeführte Orientierung an der Erfolgsträchtigkeit politischer Positionen läßt sich ohne weiteres auf die Grünen als Ganzes anwenden. Dazu sind auch die von Fischer als "Fundis" stigmatisierten Politiker zu zählen, so fern sie diese Partei nicht verlassen haben, als sich abzeichnete, daß Deutschland mit ihr zu neuer kriegerischer Größe aufsteigen sollte.

Um diese geht es auch der Geschichtsredaktion des ZDF. Alles, was Joseph Fischer an machtopportunem Verhalten vorgeworfen wird, dient politischen Zielen, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen propagiert. Dem ehemaligen Vizekanzler und Außenminister mit einem psychologisierenden Blick auf den Leib zu rücken, der den Nutzen, den er für die Interessen der Herrschenden und die Schwächung der Linken hatte, unterschlägt, kennzeichnet den Betrachter als den gleichen Interessen verpflichtet wie das Objekt seiner Pseudokritik.

11. September 2009