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KULTUR/0812: Kahlschlag beim Kommerzfernsehen überfällig ... (SB)



Auf den Münchner Medientagen, einem profilierten Branchentreffen nicht nur der Veranstalter des öffentlich-rechtlichen wie kommerziellen Rundfunks, sondern auch der Zeitungsverlage und Online-Unternehmen, geht es einmal mehr ums Geld. Dabei ist allerdings vor voreiligen Ankündigungen zu warnen, wie die Aufregung belegt, die ausbrach, als der Vorstandsvorsitzende der ProSiebenSat.1 Media AG, Thomas Ebeling, laut darüber nachdachte, ob der Wechsel zu einem "Hybridmodell aus Werbung und Gebühren für die Privatsender" nicht eine gute Idee wäre, um sein stark verschuldetes Unternehmen zu sanieren. Schon bald nach Bekanntwerden der Nachricht dementierte Welt Online (28.10.2009) mit der Schlagzeile "Bei ProSiebenSat.1 bleiben aktuelle Sender gratis". Allerdings war dem Artikel neben der Absicht, daß ProSiebenSat seine werbeunabhängigen Einnahmen bis 2014 auf 30 Prozent des Gesamtertrags durch neue Pay-TV-Sender im Ausland verdoppeln wolle, zu entnehmen, daß Branchenkenner auch mit Gebühren für die Sender ProSieben, Sat.1 und Kabel 1 rechnen, so diese im HD-Format übertragen würden.

Interessant an der Entwicklung, daß sich kommerzielle TV-Sender nach dem Vorbild der Zeitungsverlage auf die Suche nach neuen Verwertungsmodellen machen, ist vor allem die Einschätzung ihrer Manager, für werbefinanzierte Programmangebote auch noch Gebühren verlangen zu können, ohne massive Einbrüche in den Zuschauerzahlen hinnehmen zu müssen. Wenn der Präsident des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT), Jürgen Doetz, in München die Sendervielfalt bei komplett freien Angeboten für akut gefährdet hält, so keine zusätzlichen Einnahmen generiert werden, dann ist dies durchaus als Wink mit dem Zaunpfahl an die Adresse der Zuschauer zu verstehen. Daß diese tatsächlich darunter litten, wenn einige der bekannten Kommerzsender vom Bildschirm verschwänden, ist angesichts der hochgradigen Austauschbarkeit ihrer Programmangebote allerdings kaum zu vermuten.

Der Trugschluß in der Darstellung kommerzieller Sender als "frei" oder "gratis" besteht ohnehin darin, daß dem mitnichten so ist. Die Finanzierung eines Vollprogramms wie RTL oder Sat.1 durch Werbung kommt die Zuschauer mindestens so teuer wie das Entrichten der Rundfunkgebühr für das Einschalten öffentlich-rechtlicher Sender, da sie die Kosten der Werbung beim Einkauf der beworbenen Produkte tragen. Daß Zuschauer, die nur öffentlich-rechtliche Sender anschalten, die Kommerzsender gezwungenermaßen mitfinanzieren, wird beim Lamento über das Erheben von Rundfunkgebühren gerne unterschlagen. Die Bürger werden eben nicht nur mit staatsnahen Abgaben belegt, um gesetzlich verankerte Kulturleistungen zu ermöglichen. Sie müssen auch den Schwund bezahlen, der die kapitalistische Warenwelt grellbunt illuminiert, um vergessen zu machen, daß sie für ihre konsumistische Zurichtung auch noch zur Kasse gebeten werden.

Um so abenteuerlicher ist die Vorstellung, man könne für TV-Sender, die mit Dutzendware und Serienkonserven aus US-amerikanischer Herstellung als verlängerte Werkbank des telemedialen Fordismus fungieren und deren in Eigenregie produzierte Shows häufig den Eindruck erwecken, man stehe mit anderen Anbietern im Wettbewerb um das niedrigste Niveau an Geist und Witz, einen Betrag etwa in der Höhe von 9,99 Euro im Monat verlangen. Diese Summe zu bezahlen sollen Ebeling seine Programme wert sein. Allerdings wollte er dies nicht als mögliche Höhe einer künftigen Gebühr verstanden wissen, so der Medienmanager, dem bewußt zu sein scheint, daß er auf dünnem Eis wandelt.

Die Nöte der Anbieter kommerziell vermarkteter Unterhaltungsware sind angesichts der Wirtschaftskrise, die denjenigen Teil der Bevölkerung, der Zeit und vielleicht sogar Lust hat, diese Programme zu sehen, akut verarmen läßt, offensichtlich. Wieso jedoch das von ihnen propagierte marktliberale Credo nicht darin resultieren sollte, daß die angebliche Vielfalt des sogenannten Free TV einer radikalen Schlankheitskur unterzogen wird, ist nicht ganz einsichtig. Den Schuldzuweisungen an die öffentlich-rechtlichen Sender, die ihnen durch eine unzulässige Ausweitung ihres Angebots die Butter vom Brot nähmen, wird schließlich nicht dadurch entsprochen, daß die Privatsender deren Versorgungsauftrag mit politischen und kulturellen Inhalten auch nur annähernd übernähmen.

Zwar hat die Einführung des Dualen Systems im Rundfunk zu einer erheblichen Verflachung des Angebots der öffentlich-rechtlichen Sender geführt, was nicht nötig gewesen wäre, wenn man nämlichen Auftrag dort nicht als Mission zur populistischen Befriedung gesellschaftlicher Widersprüche durch extensive Sportangebote, dumpfbackige Vorabendserien oder propagandistisches Historytainment verstanden hätte. Der verbliebene Rest an noch nicht stromlinienförmig auf bloßen Unterhaltungskonsum zugerichteter Sendungen repräsentiert jedoch zumindest einen Qualitätsanspruch, den sich die kommerziellen Sender nie zu eigen gemacht haben, weil damit keine hohen Einschaltquoten erreicht werden. Sie schwimmen also durchaus in einem von ihnen freiwillig bezogenen Haifischbecken und werden nicht darum herumkommen, sich, ganz wie die Kandidaten ihrer sozialdarwinistischen Survivalformate, zu kannibalisieren.

Daß dies zu einem großen Verlust an "Sendervielfalt" führte, ist eher zu bezweifeln. Vielleicht könnte man eine solche Entwicklung auch, ganz im Sinne der sozialen Kahlschlaglogik, mit der die als Interessenvertreter der Privatsender bekannten Unionspolitiker aufwarten, als längst überfällige Entlastung des Kulturbetriebs von einer künstlich erzeugten Produktivität verstehen, so daß Platz für Medienschaffende entsteht, die sich nicht als eine Art Drogenhändler für angeblich nach Ablenkung von ihrer Misere lechzende "Unterschichten" verstehen.

28. Oktober 2009