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KULTUR/0818: Antiislamische Vergeltungslogik gegen sich selbst gekehrt (SB)



Das positive Ergebnis der Schweizer Volksabstimmung zu einem Minarettverbot ebnet den Weg für Nachahmer in anderen Ländern wie für weitere Referenden in der Schweiz. Das antiislamische Ressentiment soll bedient werden, bis es für Verbote, die auch die nichtmuslimische Bevölkerung beträfen, anderer Begründungen bedarf. So hat eine der beiden Initiatoren des Referendums, die Schweizerische Volkspartei (SVP), bereits angekündigt, weitere Einschränkungen wie etwa das Tragen eines Kopftuchs am Arbeitsplatz zum Gegenstand von Volksabstimmungen zu machen. Das als feindlich ausgemachte Fremde soll ganz dem eigenen Vorbild unterworfen werden, was nur zu ununterscheidbarer Einschließung oder nicht mehr zu brückender Ausschließung führen kann. Da sich nicht ausschließen läßt, daß die ideologisch aufgeladene Kulturapologetik auf andere mißliebige Weltanschauungen, Gesinnungen oder Lebensformen ausgreift, erweist sich der aggressiv durchgesetzte Integrationsanspruch als präfaschistisches Repressionsinstrument.

Fast zeitgleich wurde in Polen der Erwerb und Besitz kommunistischer Symbole verboten. Es drohen Haftstrafen bis zu zwei Jahren sowie Geldstrafen. Alte wie neue Feindbilder zeitigen administrative Folgen, die in keinem Verhältnis zu der von ihnen ausgehenden Bedrohung stehen. Verteidigt wird ein ideologischer Liberalismus, der sich zusehends mit Zwang und Gewalt panzert, weil er mit erheblichen Einbrüchen seiner Zustimmungsfähigkeit zu kämpfen hat. Im gesellschaftlichen Ergebnis bringt die liberale Freiheitsbotschaft neoliberale Überlebenskonkurrenz und neokonservative Klassenherrschaft nach innen wie außen hervor.

Wo gestern die rote Gefahr drohte, wird heute das grüne Banner des Propheten reprojektiv zu einem Übergriff auf die christlich-europäische Vergesellschaftung aufgeblasen, um die immanenten Widersprüche dieser Gesellschaftsformation an einen Feind zu adressieren, dessen kulturelle Praktiken jeden Rückschluß auf die eigene soziale Misere unmöglich machen. Die repressive Moral eines monotheistischen, dem Christentum wesensverwandten Glaubenssystems tritt an die Stelle eines Sozialkampfs, dessen Opfer nicht merken sollen, daß sie zugunsten des lachenden Dritten gegeneinander aufgehetzt werden. Der von Thilo Sarrazin artikulierten Feindseligkeit gegenüber Türken und Arabern liegt nicht von ungefähr eine sozialrassistische Stoßrichtung zugrunde, die das "unproduktive", weil erbbiologisch unfitte und kulturell nicht zugehörige Element generell stigmatisiert und ausgrenzt.

Wenn der Vorbeter der Kirche des Antiislamismus, Henryk M. Broder, nun unter der imperativen Überschrift "Einer muss den Anfang machen" (Welt Online, 30.11.2009) behauptet, daß das Schweizer Abstimmungsergebnis sich keineswegs "gegen die Religionsfreiheit oder den Islam als Religion" richtet, sondern lediglich einer "Asymmetrie der Verbote für Religionen im Orient und Okzident" entspreche, dann blendet er andere Asymmetrien gezielt aus. Er kann das Minarettverbot als Revanche für die von ihm beklagte Diskriminerung von Christen in "arabisch-islamischen Ländern" nur gutheißen, weil er das von ihm propagierte "Tit-for-tat-Prinzip" lediglich auf die Einrichtung weltanschaulicher Institutionen oder die Liberalisierung von Frauenrechten in mehrheitlich islamischen Ländern beschränkt.

Unterschlagen wird die Bedeutung des Universalismus westlicher Freiheitsrechte und des Vorbildcharakters westlicher Gesellschaftssysteme im sogenannten Globalen Krieg gegen den Terrorismus. Die in Anspruch genommene politische, gesellschaftliche und kulturelle Überlegenheit basiert auf der Behauptung, die islamische Welt befinde sich de facto noch im Mittelalter, weil sie den Schritt der bürgerlichen Aufklärung noch nicht vollzogen habe. Abgesehen davon, daß schon der Verallgemeinerung eines positivistischen Geschichtsverlaufs auf andere Weltreligionen ein neokolonialistischer Vormachtanspruch zugrundeliegt, erlaubt die unterstellte Verwirklichung humanistischer Ideale gerade nicht, Gleiches mit Gleichem zu vergelten.

Wenn die angebliche Rückständigkeit des vom Islam geprägten Kulturkreises zuträfe, dann käme der Toleranz gegenüber Muslimen wie anderen Minderheiten der Stellenwert eines Belegs einer gefestigten kulturellen Identität und gesellschaftlichen Praxis zu. Die in Anspruch genommene Position der Stärke nähme gegenüber dem Schwächeren die Gestalt eines nichtinterventionistischen und nichtmaßregelnden Vorbilds an. Nur so könnte die angebliche Rückständigkeit in den Wunsch verwandelt werden, es den anderen gleichzutun und repressive Normen in emanzipative Ideale zu überführen.

Die von Antiislamisten als bedroht ausgewiesene westliche Kultur zieht jedoch ganz andere Saiten auf, indem sie mit militärischer Aggressivität imperialistische Interessen verfolgt und diese, um das Maß der Erniedrigung vollzumachen, mit kulturalistischer Suprematie legitimiert. Die von Broder beklagte Asymmetrie müßte dementsprechend zur Folge haben, daß die unterstellte Islamisierung Europas mit Hilfe militärischer Gewalt und ökonomischer Ausbeutung vorangetrieben würde. Wenn Soldaten aus islamischen Staaten reziprok zu Afghanistan in Deutschland und zum Irak in den USA als Besatzer fungierten, dann gäbe es allen Anlaß, sich nicht nur bedroht zu fühlen, sondern aktiven Widerstand zu leisten. Im Vergleich mit der Okkupation islamischer Gesellschaften durch Truppen der NATO verkümmern die realen Erfolge der Islamisierung der westlichen Welt zu einer Petitesse, die zu einer realen Gefahr aufzublasen alle Register der Demagogie und Suggestion zu ziehen sind.

Die Entwicklung in der Schweiz ist den Regierungen der EU lediglich deshalb unwillkommen, weil sie die Legitimität des imperialistischen Übergriffs beschädigt. Wenn in Europa Muslime diskriminiert werden, dann erschwert das die Durchsetzung westlicher Hegemonie in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens. Dieser liegt eben keine von humanistischer Vernunft getragene Rücksichtnahme auf die Freiheit anderer Menschen zugrunde, sich nach eigenen Vorstellungen zu entwickeln und zu organisieren. Sie wird bestimmt von konkreten machtpolitischen und ökonomischen Interessen, denen das Wertekorsett einer längst durch die eigenen politischen und gesellschaftlichen Praktiken diskreditierten Aufklärung zusehends zu eng wird.

2. Dezember 2009