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KULTUR/0837: Juan Antonio Samaranch ... wie Olympia zum Schaufenster der Kapitalmacht wurde (SB)



Ganze 21 Jahre stand der Spanier Juan Antonio Samaranch an der Spitze des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), eine der einflußreichsten nichtstaatlichen Organisationen der Welt. Unter der Ägide des am heutigen Mittwoch im Alter von 89 Jahren in seiner Geburtsstadt Barcelona verstorbenen Katalanen verwandelte sich diese Institution von einer zumindest vom Anspruch her idealistischen, Fairness, Freundschaft, Gesundheit und Frieden propagierenden Bewegung in eine Leistungsschau der kapitalistischen Globalisierung. Hatte der Begründer der modernen Spiele, Baron Pierre de Coubertin, mit dem von ihm geschaffenen Olympismus eine völkerverbindende "Religion des Sports" geschaffen, so wurde das rituelle Gepränge um die fünf Ringe, um Flamme, Friedenstaube, Eid und Fahne unter Samaranch vollständig zu einem Instrument herrschender Interessen. Zwar wurden die olympischen Spiele stets von den Staaten, in denen sie ausgetragen wurden, zur Beweihräucherung nationaler Größe mißbraucht, zudem wurde das Feld des friedlichen Wettbewerbs im Kalten Krieg von höchst unfriedlichen Ambitionen okkupiert. Doch ihre Kommerzialisierung, sprich der Ausverkauf ihres idealistischen Charakters, wurde zwischen 1980 und 2001, der Amtszeit des Verstorbenen, in eine dem Sieg der kapitalistischen über die sozialistische Staatenwelt entsprechende Dimension getrieben.

Mit Samaranch verwandelte sich das IOC, nun ausgestattet mit der Finanz- und Durchsetzungskraft eines internationalen Wirtschaftskonzerns, zu einer gelungenen Symbiose aus politischer Macht und ökonomischer Potenz. Die Verfügungsgewalt über das wohl wichtigste Ereignis der internationalen Zivilgesellschaft erstreckt sich nicht nur auf die Rechte der medialen Vervielfältigung des Spektakels, das für die Sender aufgrund der dabei generierten Werbeeinkünfte hochprofitabel ist, oder auf die lokalen Umstände, unter denen die Spiele ausgetragen werden und zu deren Durchsetzung mitunter tief in die Rechte der davon betroffenen Bevölkerungen eingegriffen wird. Das IOC stellt auch die Bürgerrechte der Athleten in Frage, indem es einen Regelkatalog vorhält, der etwa bei mißliebigen politischen Stellungnahmen oder dem Mißbrauch leistungssteigernder Substanzen die berufliche Existenz von Profisportlern bedrohende Sanktionen zeitigen kann. Es kontrolliert die Bedingungen der Vermarktung unter anderem durch Auflagen, mit denen Werbekunden zu Lasten der Wettbewerbsfreiheit Vorteile verschafft werden, und verlangt den Austragungsorten infrastrukturelle und finanzielle Leistungen ab, die ihre Haushalte regelrecht auszehren können.

Im postdemokratischen Zeitalter fungieren die Olympischen Spiele zudem als Labors sozialer Kontrolle, werden sie doch unter erheblichen Sicherheitsauflagen ausgetragen, die den damit betrauten Behörden als Anlaß zur Schärfung ihrer Durchsetzungsgewalt hochwillkommen sind. Repressalien gegen unterprivilegierte Teile der Bevölkerung bis hin zu ihrer Umsiedlung sind keine Seltenheit, paßt ihre Delinquenz doch nicht ins Bild einer nach Maßgabe der Ersten Welt formierten Zivilgesellschaft, die nur so lange human erscheint, als es der Ideologie neoliberaler Marktwirtschaft zuträglich ist.

Dieser Entwicklung gegenüber wirkte Juan Antonio Samaranch, wie sein Spitzname "Sonnenkönig" ahnen läßt, fast schon wieder wie ein Relikt aus überkommenen feudalistischen Zeiten. Sein Hofstaat beim IOC war von zahlreichen Aristokraten und Honoratioren aus traditionsreichen Dynastien des europäischen Adels und Großbürgertums bevölkert, was sich erst seit dem die Organisation Ende der 1990er Jahre tief erschütternden Korruptionsskandal zu ändern beginnt. Das hing nicht zuletzt damit zusammen, daß der IOC-Funktionär als Anhänger des spanischen Diktators Francisco Franco fest in den rechtskonservativen Eliten der alten Welt verankert war. In Samaranch, seit seinem 16. Lebensjahr begeistertes Mitglied des Movimiento Nacional, der aus den Falangisten hervorgegangenen Regierungspartei, verfügte der Kastilier Franco über einen katalanischen Gewährsmann, der stets bemüht war, auch gegen seine eigene Herkunft gerichtete Anweisungen durchzusetzen. So vollzog Samaranch seine politische Karriere in Barcelona, dem Zentrum der katalanischen Kultur, in dem man diese romanische Sprache nicht mehr sprechen durfte und wo Francos Hinrichtungskommandos besonders heftig wüteten, um die linke Opposition dieser rebellischen Metropole mit Stumpf und Stiel auszurotten.

Als treuer Parteigänger Francos stieg Samaranch über das Amt des Stadtrats von Barcelona bis zum Präsidenten des Regionalrats von Katalonien auf und betrieb im Rahmen seiner Karriere als Sportfunktionär die Rückkehr Spaniens, das aufgrund seiner Vorkriegsallianz mit Hitlerdeutschland weitgehend geächtet und von internationalen Wettbewerben ausgeschlossen war, in den Weltsport. Insbesondere die Mittelmeerspiele 1955 in Barcelona trugen zu diesem Ziel bei. Daß der Anrainerstaat Israel nicht zuletzt auf Betreiben Spaniens ausgeschlossen wurde, hat Samaranch in den von ihm verfaßten Lobeshymnen auf das Ereignis tunlichst ausgespart.

Seinen Aufstieg bis zur Ernennung zum Sportminister durch den Caudillo, mit dessen Familie Samaranch über seine Ehefrau eng verbunden war, im Jahre 1967 beschreiben Andrew Jennings und Vyv Simson in ihrem 1992 erschienenen Buch "Geld, Macht und Doping". Zwar wirken manche der gegen Samaranch erhobenen Vorwürfe eher profan, in ihrer Gesamtheit zeichnen die Autoren jedoch das Bild eines geschickten und machtbewußten Opportunisten, der sich seinen Weg mit großzügigen Geschenken an die richtigen Personen und einem perfekten PR-Management bahnte. Dabei war es nicht allein dem Einfluß seiner Partei auf die zensierte spanische Presse zu verdanken, daß ungezählte Lobeshymnen über Samaranch in seinen diversen öffentlichen Ämtern erschienen. Als Sproß einer reichen Textildynastie hatte er alle Mittel zur Hand, sich einen eigenen Troß ihm ergebener Journalisten heranzuziehen.

Der seit 1956 dem Nationalen Olympischen Komitee Spaniens, das ausschließlich von Gefolgsleuten Francos besetzt war, angehörende Samaranch hatte wesentlichen Anteil daran, daß die jährliche Session des IOC 1965 in Madrid stattfand und vom spanischen Staatsoberhaupt eröffnet werden konnte, so daß sich der Generalissimus als Schutzherr der olympischen Idee präsentieren konnte. Daß Samaranch 1967 Mitglied des IOC wurde, hatte er vor allem diesem Erfolg zu verdanken. Seine Karriere als Sportminister währte hingegen nur bis 1970, da er Opfer einer parteinternen Intrige wurde. Dennoch saß er weiterhin für die franquistische Staatspartei im Parlament, das der Diktator zur Verbesserung des nationalen Ansehens eingerichtet hatte, indem er 83 Prozent der Abgeordneten selbst ernannte, während die restlichen 17 vor ihrer Kandidatur eine Loyalitätserklärung an ihn zu unterzeichnen hatten.

Samaranchs Aufstieg im IOC ging jedoch unaufhaltsam voran. 1974 wurde er IOC-Vizepräsident, und obgleich Spanien zu dieser Zeit immer noch als antidemokratischer Staat verschrien war und Samaranch dem Caudillo bei Parteiversammlungen mit Blauhemd und gerecktem rechten Arm Tribut zollte, nahm kein Olympier daran Anstoß. 1973 war Samaranch von Francos Premierminister Admiral Carrero Blanco zum Präsidenten des Regionalrats von Katalonien ernannt worden und als solcher für zwei Jahre blutiger Vergeltung verantwortlich, nachdem sein Förderer einer Bombe der baskischen Separatistenorganisation ETA zum Opfer fiel. "In den Jahren 1974 und 1975 nahm die Repression in Form zahlreicher Verhaftungen, Folterungen und Hinrichtungen ein Ausmaß an, wie es seit den späten vierziger Jahren nicht mehr vorgekommen war. Dazu gehörte auch der bereitwillige Einsatz von Feuerwaffen durch die Polizei und die Nationalgarde", so Andrew Jennings unter Berufung auf einen spanischen Historiker über die dunkle Seite des seit langem hehren olympischen Idealen verpflichteten Samaranch.

Als Franco am 20. November 1975 starb, zeigte sich Samaranch noch mit Blauhemd und gerecktem Arm in den Straßen von Barcelona. Doch schon sechs Wochen später, bei der Jahresfeier zur Befreiung der Stadt von den republikanischen Truppen im Bürgerkrieg, hatte er die Parteiuniform ab- und gedecktes Zivil angelegt. Nun sprach er auch wieder in der Öffentlichkeit katalanisch, was seinem Nachfolger, den nach Francos Tod gewählten Präsidenten Kataloniens Jordi Pujol, einst sieben Jahre Haft einbrachte, als er bei einem Konzert anläßlich eines Besuchs Francos in Barceolona die katalonische Nationalhymne singen ließ.

Als Samaranch die Olympischen Spiele von Barcelona 1992 eröffnete, konnte er sich als lupenreiner Katalane präsentieren und aller Welt die zu Francos Zeiten unterdrückte Kultur seines Landes präsentieren. Auch sein schmählicher Abgang anderthalb Jahre nach Francos Tod, als hunderttausend Menschen vor dem Gebäude des katalanischen Regionalrats in Barcelona gegen ihn demonstrierten und in Sprechchören "Samaranch, hau ab!" forderten, war nun, wenn nicht vergessen, so doch durch das von kontroversen Ressentiments befreite olympische Protokoll und die Rolle des IOC-Präsidenten beim Zustandekommen der Entscheidung für Barcelona jeder öffentlichen Erinnerung enthoben.

Wie geschmeidig sich Samaranch den jeweiligen politischen Erfordernissen anpassen konnte, bewies der militante Antikommunist, als er in Moskau die gespaltene olympische Bewegung zu kitten versuchte und erreichte, daß die dort abgehaltenen Spiele des Jahres 1980 nicht gänzlich durch den Boykott der USA zusammenbrachen. Sein Geschick als Repräsentant vor und Strippenzieher hinter den Kulissen sorgten nicht nur dafür, daß die Spiele von Moskau, wenn auch in abgespeckter Form, abgehalten werden konnten, sondern verschafften ihm auch die notwendigen Stimmen der osteuropäischen IOC-Mitglieder für seine Wahl zum Präsidenten der Organisation.

Vom 16. Juli 1980 an, als Samaranch dieses Amt antrat, prosperierte die olympische Bewegung in ungeahntem Ausmaß. Die Kommerzialisierung der Spiele war wesentlich seinen guten Kontakten zur Großindustrie und dabei insbesondere zu dem 1987 verstorbenen Horst Dassler geschuldet. Die sogenannte sportpolitische Abteilung von Adidas hatte in den 1980er Jahren mit Hilfe des IOC-Präsidenten die wichtigsten Ämter des internationalen Sports mit ihren Männern besetzt und so die oberste Entscheidungsebene des Weltsports unter ihre Kontrolle gebracht. Neben FIFA-Präsident Joseph Blatter oder Leichtathletik-Boß Primo Nebiolo gehörte auch IOC-Exekutivmitglied Thomas Bach, der zwei Jahre in dieser Schaltstelle zwischen Wirtschaft und Sport gearbeitet hat, zum Netzwerk des damaligen Adidas-Chefs Horst Dassler.

Ganz wie der Präsident eines demokratischen Staates, der sich kraft seines Amtes offiziell nicht vorgesehene Machtbefugnisse verschafft, verwandelte Samaranch die einstmals eher repräsentative Funktion des ersten Olympiers in eine administrative Schlüsselstellung. Er entließ den Direktor der IOC-Bürokratie und verband alle vorher von diesem getroffenen Entscheidungen mit seiner Person. So besaß er auch erheblichen Einfluß auf die 107 regulären Mitglieder des IOC, werden sie doch auf Vorschlag der bereits in diesem Gremium sitzenden Funktionäre gewählt. Der eingeschworene Charakter dieses Clubs ergibt sich aus dem Statut, daß seine Mitglieder nicht die Interessen ihrer Herkunftsländer im IOC vertreten, sondern dort als Emissäre des IOC fungieren. Als erfahrener Politiker verstand es Samaranch, sich die ergebene Gefolgschaft vieler IOC-Mitglieder und darüber seine häufige Wiederwahl, die ihn zum IOC-Präsidenten mit der zweitlängsten Amtszeit nach Pierre de Coubertin machte, zu sichern. Zu seiner Führungsriege im IOC zählten einflußreiche Wirtschafts- und Finanzmanager, die die millionenschweren Deals mit Lizenznehmern und Medienkonzernen anbahnten, und auch Vergabe der Spiele hing maßgeblich von seiner Gutheißung ab.

Samaranch, der den Stab 2001 an Jacques Rogge weitergab und zum Ehrenpräsidenten auf Lebenszeit ernannt wurde, behauptete einmal, seine Organisation sei "die wichtigste und zugleich angesehenste soziale Bewegung in der heutigen Welt". Das mag insofern zutreffen, als die sozial kohäsive Wirkung der Olympischen Spiele wohl kaum zu überschätzen ist, versehen diese alle zwei Jahre stattfindenden Megaevents den Sport doch nach wie vor mit einer sinnstiftenden, ja zivilreligiösen Qualität, die im angeblich postideologischen Zeitalter dringender denn je für die Befriedung des kapitalistischen Weltsystems benötigt wird. Wird das in Gestalt des Athleten idealisierte Menschenbild auch durch die unter Samaranch eingeführten Paralympics relativiert, trug und trägt die Verherrlichung des Starken und Schönen, hervorgebracht durch Konkurrenz und Wettbewerb, mit der Aufhebung des Amateurstatus zugunsten der Profisportler und der Privatisierung der Olympischen Spiele durch kapitalstarke Konzerne doch um so wirksamer zur Legitimation des herrschenden Verwertungssystems bei. Indem sich die modernen olympischen Spiele der Staats- und Kapitalmacht andienen, knüpfen sie wieder an das maskulin-kriegerische Ertüchtigungsgebot antiker Olympioniken an. So, wie das neoliberale Leistungsprimat Sozialchauvinismus produziert, so bedingen Kapitalismus und Krieg einander.

21. April 2010