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KULTUR/0843: Fußball-WM ... Stadionpublikum als Staffage unter Monopoldiktat (SB)



Man mag es als Fußnote des Spektakels um die Fußball-WM verbuchen, doch die Entfernung von 36 weiblichen Fans der niederländischen Mannschaft bei deren Spiel gegen Dänemark aus dem Soccer-City-Stadion in Johannesburg wegen angeblichen Guerilla Marketings läßt ein Ausmaß der ökonomischen Verregelung des Sports erkennen, das in krassem Gegensatz zu dessen unterstellten sozialen Qualitäten steht. Den Frauen wird zum Vorwurf gemacht, Kleider in identischem Orange, das nicht nur die Farbe der niederländischen Mannschaft, sondern auch die der Brauerei Bavaria ist, getragen und damit gegen den Monopolanspruch auf Stadionwerbung der Brauerei Budweiser verstoßen zu haben. Die Betroffenen wurden des Stadions verwiesen und drei Stunden lang in Räumlichkeiten des Fußballverbandes FIFA festgehalten, um dort von der südafrikanischen Polizei verhört zu werden.

Selbst wenn der inkriminierte Einheitslook auf eine Initiative der Brauerei Bavaria zurückgegangen sein sollte, die diese Kleidung auf den Markt gebracht habe, so daß Eingeweihte sie als markenspezifische Werbung identifiziert haben sollen, stellt eine Zwangsmaßnahme mit der Androhung strafrechtlicher Folgen für das Tragen einer bestimmten Farbe eine Form der Intervention dar, die sich mit dem Freiheitsanspruch demokratischer Gesellschaften kaum in Übereinstimmung bringen läßt. Wenn der Markenfetischismus, der die Käufer teurer Ausstattungen in freiwillige Werbeträger verwandelt und damit demonstriert, daß der eigentliche Fetisch im Ausmaß erzwungener Arbeit all derjenigen besteht, die diese Artikel fertigen, ohne sie sich selbst leisten zu können, auf bestimmte Farben ausgeweitet wird, müßten arme Menschen nackt herumlaufen, weil sie sich die Lizenzgebühren für ihre Hemden und Hosen nicht leisten können.

Zudem verweist die Maßregelung des Publikums wegen Verstoßes gegen die Geschäftsinteressen des Veranstalters und seiner Werbekunden darauf, daß die Zuschauer im Stadion integraler Bestandteil der Produktion dieses kulturindustriellen Erzeugnisses für den weltweiten telemedialen Konsum sind. Als lautstarke und farbenfrohe Staffage, ohne die das spezifische Erregungsniveau der Live-Übertragung ausbliebe, müßten sie eigentlich bezahlt werden, anstatt daß man ihnen Eintrittsgeld abverlangt. Das allerdings stellte die Ausschließung armer südafrikanischer Fußballfans, die sich keine Tickets leisten können, in Frage, bestände ansonsten doch kein Grund, ihnen freien Zugang zu den Stadien zu gewähren.

Indem dieses weltweit wahrgenommene Sportereignis unter dem Diktat seiner privatwirtschaftlichen Verwertung steht, bildet der Wettkampf der Nationen letztlich die Konkurrenz von Wirtschaftsmächten ab. Die für das Vorgehen gegen die Frauen kritisierte FIFA ist nur ein Akteur in der Kette eines globalen Verwertungsanspruchs, der in den Slums Südafrikas enthüllt, was mit dem illustren Gepränge der WM übertüncht werden soll. Die sogenannte Völkergemeinschaft scheint nicht in der Lage zu sein, internationale Sportereignisse anders denn als geschäftliches Unterfangen zu organisieren, das Profit abwerfen muß. Damit ist das sie allgemein verbindende als Verwertungsanspruch gekennzeichnet, der nicht anders als in Fabrik und Büro auf Konkurrenzbasis organisiert ist. Der internationale sportliche Wettbewerb, angeblich die ideelle Sublimation ansonsten mit roher Gewalt aufeinander losgehender Staaten, tritt als Werkzeug und Werkstoff eines Kapitalinteresses in Erscheinung, dessen wertbildende Dynamik nicht aus der beanspruchten Freundschaft der Völker schöpft, sondern deren Feindschaft zumindest im Bereich gegenseitiger Raubinteressen voraussetzt.

So beschert das Spektakel der südafrikanischen Bevölkerung nicht einmal befristete Vergünstigungen in Form neuer und gutbezahlter Arbeitsplätze, wie Proteste des an der Austragung der WM beteiligten Personals gegen eine zu geringe Entlohnung zeigen. Die von transnationalen Akteuren bestimmten Wertschöpfungsketten enden in den Ländern des Nordens und werden ansonsten von einer einheimischen Oligarchie kontrolliert, denen die sozialökonomische Disaparität ihres Landes wesentlicher Produktionsfaktor ist.

Die drakonische Durchsetzung von Markenrechten in den Stadien, die auch schon bei früheren Fußballweltmeisterschaften zu Kleiderverordnungen geführt hat, die man üblicherweise in gleichgeschalteteten Diktaturen vermutete, dementiert den zentralen Legitimationsfaktor kapitalistischer Vergesellschaftung, die bürgerliche Freiheit des Individuums, auf überzeugende Weise. Wenn die persönliche Erscheinungsform gegen Monopolansprüche von Unternehmen verstößt und sanktioniert werden kann, dann bleibt der Mensch auf der Strecke seiner Funktionalisierung durch die herrschende ökonomische Ordnung.

Das ist nicht, wie die an diesem Vorfall entzündete Kritik am Weltfußballverband FIFA glauben macht, bloßes Symptom rücksichtslosen Profitstrebens, sondern Ausdruck staatlichen Interesses an der kapitalistischen Organisation der Gesellschaften. Es wäre ein leichtes, internationale Sportereignisse im Sinne ihres ideellen Gehalts auf nichtkommerzieller Basis auszurichten. Die davon ausgehende Botschaft, daß Menschen auch ohne oder gar gegen die Triebkräfte des Kapitals gemeinschaftlich aktiv werden können, ist gerade in Zeiten, in denen die Krise dieses Verwertungsanspruchs offensichtlich wird, unerwünscht. So könnten Menschen auf die Idee kommen, auch in anderen Belangen kooperativ und solidarisch zusammenzuarbeiten, um ein Miteinander zu entfalten, das im Fall des an Nationen ausgerichteten Leistungswettbewerbs bloßer Schaum zum Einseifen eines gutgläubigen Publikums ist. Zudem könnte die Frage aufkommen, wieso man überhaupt in einen Leistungswettbwerb der Nationen treten sollte, anstatt sich an Bewegungskünsten und Mannschaftsspielen zu erfreuen, die nicht auf Sieg oder Niederlage hinauslaufen.

Die auf Raub und Konkurrenz basierende Steigerung kapitalistischer Produktivkraftentwicklung kommt im kommerziellen Leistungssport so sehr zu sich selbst, daß derartige Überlegungen außerhalb jeglicher Debatte um allgemein beanstandete Auswüchse wie den dominanten Einfluß von Wirtschaftskonzernen auf den Sport und die durch gnadenlose Leistungsanforderungen entstehenden körperlichen Schäden der Sportler verbleiben. Weil insbesondere der Fußball ein zivilreligiöser Legitimationsfaktor ersten Ranges ist, soll er nicht zum Gegenstand einer Kritik werden, die von sportimmanenten auf Systemfragen schließt. Um so mehr Bier braucht der Fan, das ihm einzuflößen Budweiser wie Bavaria in durchaus identischem Interesse bereitstehen.

16. Juni 2010