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KULTUR/0943: Die Eigentumsfrage stellen ... auch für Christen von Interesse (SB)




24/7 - die Formel dafür, daß sich der postmoderne Arbeitskraftunternehmer rund um die Uhr die ganze Woche lang den Wünschen der Käufer seiner Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen hat, wenn er nicht ohne Aussicht auf Rückkehr in der vollständig abgehängten Outer Class verschwinden will, erklärt sich in ihrer Kürze quasi selbst. Dabei verhält sich die Verdichtung der Arbeitsintensität in der Regel umgekehrt proportional zum Ergebnis der Plackerei - im Verhältnis zu den Einkommen aus Kapitalerlösen nehmen die Einkommen aus Lohnarbeit immer mehr ab und sind auch im inflationsbereinigten Mittel rückläufig.

Die Ergebnisse der Zurichtung des Menschen auf seine allseitige und permanente Verfügbarkeit für die Arbeitsgesellschaft sind bekannt - zunehmende psychische Erkrankungen, materielle Armut trotz Vollzeitarbeit, Aufstockung der Hungerlöhne durch den Staat, Selbstausbeutung in scheinselbständiger Beschäftigung, anwachsende Konkurrenz zwischen den Lohnarbeitern - Mobbing -, Demotivation und chronische Erschöpfung - Burn Out. Der allgemein beklagte Druck, die Lebenszeit immer produktiver zu machen und den Anspruch auf ein selbstbestimmtes Leben zugunsten eines Überlebens aufzugeben, dessen Gewährleistung maximale Anpassungs- und Leistungsbereitschaft einfordert, ohne es damit auch zu garantieren, ist Ausdruck eines Gewaltverhältnisses, das der katholische Sozialethiker Friedhelm Hengsbach als "neuen Mega-Schub an Beschleunigung" [1] versteht. Im Interview mit dem Deutschlandfunk verortet er die Ursache für die zunehmende Unterwerfung des Menschen unter das Zeitdiktat mit der Abkopplung der Finanzmärkte von der Realwirtschaft und der Etablierung automatisierter, durch Rechner gesteuerter Handelssysteme. Die zeitliche Verdichtung des High Frequency Trades mit Wertpapieren und Finanzderivaten schlage über die Orientierung am Shareholder-Value und die Bemessung der Unternehmensentwicklung in Quartalsabschnitten auf die Arbeitsverhältnisse und darüber wieder auf die Privathaushalte durch.

Damit stellt der für seine kapitalismuskritische Haltung bekannte Jesuit den Verlauf der Dinge allerdings auf den Kopf. "Zeitrebellen" [1] gibt es, seit sich Arbeiterinnen und Arbeiter gegen die Durchsetzung des unternehmerischen Interesses wehren, den Anteil an unbezahlter Arbeit, die über den für die Reproduktion ihrer Arbeitskraft bezahlten Lohn hinaus geleistet wird, zu ihren Lasten zu vergrößern. Was in der verwissenschaftlichten Arbeitsorganisation durch die Vermessung körperlicher Abläufe am Fließband, dessen Geschwindigkeit seinerseits an die Grenze der Belastbarkeit der Arbeiter getrieben wird, mit dem Ziel vollzogen wird, die Lohnabhängigen ins Prokrustesbett ihrer maximalen Ausbeutbarkeit zu pressen, setzt sich im datenelektronisch optimierten Kapitalismus in der Ausdehnung des Effizienzdiktates auf alle Bereich der Erwerbsarbeit fort. Die Überwachung der individuellen Tätigkeit, der Verweildauern, Wege und Pausen des Lohnabhängigen wie die Evaluation der Arbeitsergebnisse erfolgt in Echtzeit, um auf kürzestem Weg aussteuern und sanktionieren zu können. Die Konkurrenz zwischen den Lohnabhängigen wird geschürt auch außerhalb der Fabrik an den heimischen Rechnern, wo soziale Netzwerke als neue Arbeitsmärkte verschärfte Formen des Wettbewerbs schaffen. Zudem werden die Kosten der Aus- und Fortbildung im Rahmen der Doktrin des lebenslangen Lernens auf die angeblichen Unternehmer ihrer selbst respektive den Staat, also die Steuerzahler, umgelastet.

All dies dient nicht nur der Steigerung der Rendite, sondern erfüllt als Angriff auf die verbliebenen Reste noch nicht verwertbar gemachter Subjektivität auch den Zweck, möglichen Widerstand gegen das Arbeitsjoch zunichtezumachen. Zum Betriebsstoff der großen Maschine zugerichtet fügt sich der Mensch nahtlos in die Ziele unternehmerischen Handelns ein, so die Hoffnung der Käufer seiner Arbeitskraft. Die verdichtete Ausbeutung ist jedoch kein bloßes Ergebnis finanzkapitalistischer Expansion, sondern im System kapitalistischer Lohnarbeit angelegt. Daß das Kapital jede technologische Innovation zur Sicherung seiner Verwertbarkeit einsetzt, indem er das erhebliche Rationalisierungspotential der mikroelektronischen Produktionsweise in seinem Sinne anzapft, ist keine Neuigkeit, sondern manifestiert sich auf dem jeweiligen Stand der Produktivkraftentwicklung im Rahmen ihrer gesellschaftlichen Durchsetzung. Dem wird in der neoliberalen Marktwirtschaft viel Raum gegeben, doch auch dort ist man auf die materielle Basis der Mehrwertproduktion angewiesen, um die Kaskaden des auf dem Finanzmarkt akkumulierten Kapitals mit dem Schein seiner möglichen Realisierung durch den Kauf von Waren zu umgeben.

Die Zeit als solche ist ganz und gar unbeteiligt an dieser Entwicklung, sie bietet lediglich das Maß, anhand dessen die Unterwerfung des Menschen unter die Verwertbarkeit durch Arbeit miteinander vergleichbar und darüber steigerbar gemacht wird. Wenn Hengsbach sein Buch mit "Die Zeit gehört uns" betitelt, dann wird dieser Parameter zum Kampffeld einer Auseinandersetzung erklärt, die im Kern um die Frage des Eigentums geführt wird, und zwar nicht nur des kapitalistischen Privateigentums, sondern des stets gegen den anderen Menschen gerichteten Vorbehalts, für den eigenen Verbrauch sichern zu müssen, was diesem fehlt. Wie die als Ware abstrakt verallgemeinerte Arbeit Gewaltverhältnisse zwischen Menschen schafft, ist allemal der weiteren Untersuchung wert, um nicht auf schnelle Lösungen hereinzufallen, die diese Verhältnisse aufzuheben nicht in der Lage sind. Zur Rebellion gibt es allen Anlaß, doch allein gegen die Finanzmärkte anzutreten, indem "die Institutionen, also die Regierenden oder die Gewerkschaften oder zivilgesellschaftliche Bewegungen aufgerufen werden, wirkliche Zeitrebellen zu werden" [1], hieße das Heft des Handelns einmal mehr aus der Hand zu geben.

Fußnote:

[1] http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1951881/