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KULTUR/0958: 80 Jahre Reichskonkordat - Einfluß der Amtskirchen gesichert (SB)




Vor 80 Jahren, am 20 Juli 1933, unterzeichneten Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli und Vizekanzler Franz von Papen einen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich geschlossenen Staatskirchenvertrag. Mit dem als Reichskonkordat bekannten Abkommen erkaufte sich Adolf Hitler die Gefolgschaft der Bischöfe und die Gewogenheit des Vatikans, in dem Pacelli ab März 1939 als Papst Pius XII. residierte. Seither wird kirchlicherseits versucht, Pacellis Unterschrift als Manöver zum Schutz deutscher Katholiken und Versuch der Aufrechterhaltung einer gewissen Einflußnahme Roms auf den deutschen Diktator zu deuten. Man habe Hitler in den Rahmen internationalen Rechts einbinden und auf diese Weise Schlimmeres verhindern wollen, lautet die Begründung für den für beide Seiten vorteilhaften Pakt.

Beim Abschluß des Vertrages, den der päpstliche Nuntius in der Weimarer Republik vergeblich durchzusetzen versuchte, stand der Kampf der katholischen Kirche gegen den Kommunismus ebenso Pate wie die Ambitionen des Klerus, an weltlicher Macht teilzuhaben. Dem neuen Reichskanzler Hitler wurde damit ein erster außenpolitischer Erfolg gewährt, der sein Ansehen in aller Welt wie beim deutschen Kirchenvolk erhöhte. Was damals von politischem Nutzen war, ist heute nicht vergebens, belegt der kirchliche Einfluß auf die angeblich säkulare Gesellschaft der Bundesrepublik.

Bei Konkordaten handelt es sich um ein altbewährtes Mittel der römischen Kirche, ihren Einfluß auf eine Politik, die ihren Status und ihre Privilegien schützt, hegemonial zu sichern. Als geistige und weltliche Herrscher Europas noch darüber stritten, wer über wem stehe, gewährten Konkordate den weltlichen Reichen kirchliche Privilegien, die der Papst nach Belieben widerrufen konnte. Später kehrte sich das Verhältnis um und verwandelte sich in jederzeit aufkündbare Zugeständnisse an den Klerus, dem damit bestimmte tradierte Privilegien gewährt wurden.

Bis ins 14. Jahrhundert hinein hatte der Papst praktisch gottgleich über Europa geherrscht und die Kurie in eine weltliche Administration verwandelt, die das Kirchenrecht mit harter Hand durchsetzte und eine gigantische Finanzverwaltung installiert hatte. Diese wachte über den stetigen Zufluß von Geldern, zu deren Erhebung man höchst kreative Formen der Kommerzialisierung des Glaubens erdachte. Man machte sakrale Amtshandlungen gebührenpflichtig, erhob noch lange nach der letzten Exkursion ins Heilige Land eine Kreuzzugssteuer, beutete im Ablaßhandel menschliche Ängste und Schwächen pekuniär aus oder verscherbelte Kirchenämter an den Meistbietenden.

Mit der Beilegung des sogenannten Investiturstreits durch das Wormser Konkordat 1122 wurde das Kompetenzgerangel zwischen geistlichen und weltlichen Würdenträgern durch einen Kompromiß zwischen Kaiser und Papst beendet. Zwar blieben der Kirche wesentliche Privilegien erhalten, doch wurde erstmals ein deutlicher Trennungsstrich zwischen Thron und Altar gezogen. Der mit diversen weiteren Konkordaten geregelte Abgleich kirchlicher und weltlicher Interessen ließ allerdings wesentliche Bereiche kirchlichen Einflusses unangetastet. Schließlich konnte kein Herrscher auf die Mithilfe der Priester verzichten, wenn die Beherrschbarkeit von Leibeigenen, Soldaten und rechtlosen Bürgern auf dem Spiel stand.

In der napoleonischen Ära schwenkte das Pendel vollends auf die Seite staatlicher Verfügungsgewalt, da Bonaparte mit der Säkularisation Ernst machte und sich das alleinige Recht auf Ernennung der Bischöfe verschaffte. Mit der Übernahme vieler kirchlicher Privilegien in die Verwaltungshoheit des Staates begründete er ein Staatskirchentum, das auch nach der Aussetzung des dazu 1801 geschlossenen Konkordats im Jahre 1904 prägend auf das Verhältnis von Staat und Kirche nicht nur in Frankreich wirkt. Der Klerus hatte diesen Transfer in staatliche Obhut weitgehend unbeschadet mitvollzogen und machte es sich im modernen Gemeinwesen ebenso bequem wie im mittelalterlichen Feudalsystem.

In deutschen Landen schloß man sich weitgehend dem französischen Vorbild an und säkularisierte die meisten bisher kirchlich beherrschten Territorien. Mit der Auflösung des Deutschen Reichs im Jahre 1806 fand auch die Reichskirche ein Ende und machte dem modernen Staatskirchentum Platz, das mit der Enteignung der Reichskirche beim Reichsdeputationshauptschluß im Jahre 1803 seinen Anfang nahm. Damals waren 22 Bistümer, 80 Abteien und 200 Klöster in staatlichen Besitz übergegangen, wovon besonders die Königreiche Bayern und Preußen profitierten, die so das Mehrfache an Land erhielten, das ihnen durch Abtretungen an Frankreich verlorengegangen war.

Um dies zu kompensieren, sind bis heute jährlich rund 480 Millionen Euro sogenannter Staatsleistungen an die evangelische und die katholische Kirche zu entrichten, obwohl diese bereits mit einem Kirchensteueraufkommen von etwa 9,4 Milliarden Euro im Jahr gesegnet sind. Diese Staatsleistungen sind prinzipiell zweckfrei, das heißt nicht für kirchliche Wohlfahrtsträger vorgesehen. Diese werden ihrerseits zum allergrößten Teil aus öffentlichen Töpfen finanziert, seien es Pflegesätze, Krankenkassengelder oder Subventionen von Staat, Ländern und Kommunen. Auch die Gehälter der Religionslehrer und Theologieprofessoren an staatlichen Lehranstalten wie deren Ausbildung und die Bezüge für Militär- und Gefängnisseelsorger werden mit öffentlichen Mitteln bestritten. Dabei sind die beiden Amtskirchen mit Liegenschaften einer Fläche von über 5000 Quadratkilometern die größten Grundbesitzer der Bundesrepublik und verstehen es als Teilhaber an Banken, Industrieunternehmen, Finanzgesellschaften und etwa 140 Zeitungs- und Buchverlagen bestens, das Vorhandene zu mehren und gleichzeitig mit dem Nimbus selbstloser karitativer Wohltaten zu umgeben.

Das alles geht einher mit einem Einfluß auf gesellschaftliche Entscheidungsprozesse, der sich wesentlich auf die im Reichskonkordat getroffenen Abmachungen stützt und Pfründe wie Weiden der Kirchen schützt. Als Vertragspartner des Staates, der die Amtskirchen laut Reichskonkordat und seinem protestantischen Äquivalent sind, gibt es kaum ein öffentliches Gremium, in dem nicht ein oder zwei Kirchenvertreter sitzen. Diese Form der Einflußnahme reicht weit in den staatlichen Verwaltungssektor hinein und manifestiert sich insbesondere im Bereich der Schulpolitik. Die klerikale Durchdringung aller öffentlichen Bereiche der Bundesrepublik zeigt sich auch darin, daß es kaum ein behördliches Formular gibt, auf dem man nicht dazu angehalten wird, seine Religionszugehörigkeit anzugeben.

Das am 20. Juli 1933, also nach dem Ermächtigungsgesetz ohne parlamentarische Bestätigung zustandegekommene Reichskonkordat verschafft den Amtskirchen bis heute gesellschaftlichen Einfluß, von dem andere Interessengruppen nur träumen können. Dies betrifft nicht zuletzt alle Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften, die derartige Privilegien nicht in Anspruch nehmen können. Das 1957 vom Bundesverfassungsgericht in seiner Gültigkeit bestätigte Reichskonkordat sichert die tradierte Hegemonie des Christentums in Europa und dessen historisches Bündnis mit Herrschern und Machthabern aller Couleur. Angesichts der nominellen Trennung von Staat und Kirche stellen Abkommen wie das Reichskonkordat bekenntnisgebundene Privilegien dar, die im Widerspruch zum Gleichheitsgrundsatz und der Religions- wie Weltanschauungsfreiheit des Grundgesetzes stehen. Wer an diesem Glaubenskonsens nicht teilhat oder ihn ablehnt, unterliegt dennoch den Entscheidungen von Funktionsträgern und Institutionen, die ihm gegenüber auf antidemokratische Weise bevorteilt sind.

19. Juli 2013