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KULTUR/0973: PEGIDA und die imaginäre Linke (SB)




Die linke Hegemonie in den Medien, über die sich der Kommentator der Tageszeitung Die Welt echauffiert, ist ein zweckdienliches Hirngespinst. Das Postulat dieser imaginären Linken dient vielmehr einer national- und neokonservativen Feindbildproduktion, die den Primat der sozialen Konkurrenz davor schützt, seiner die Krise des Kapitals regulierenden Wirkung verlustig zu gehen. Eine Linke, der angelastet werden kann, der Moral des besseren Menschen zu frönen, kann nur im Schattenwurf eines Sozialdarwinismus existieren, der als zentrale Triebkraft marktwirtschaftlicher Ordnung auch unter Grünen und Sozialdemokraten wie auch Teilen der Linkspartei anerkannt ist. Schuld zu verteilen, ist seit jeher das Antidot der Bemühung, eine soziale Gleichheit herzustellen, die Menschen von den Gewaltverhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft befreit.

"Auf jeden Demonstranten, der in Dresden Rechtes und nicht so Rechtes skandiert, kommen Dutzende von Leitartikeln, Reportagen und Leserbriefen. Warum? Weil jeder Miniaufmarsch von allen und jedem, der einen Hauch rechts von der Mitte liegt, mit Nazi-Keulen beworfen wird, und damit eine Diskursmaschine anläuft, in der Gut und Schlecht schnell sortiert werden."[1]

Was angeblich in den Redaktionen der führenden Tageszeitungen und Politmagazine sein Unwesen treibt, ist von der Absicht getragen, die Feindseligkeit der PEGIDA-Marschierer als Folge einer Verunsicherung darzustellen, der mit einer besseren Aufklärung über die herrschende Einwanderungspolitik entgegenzutreten sei. Diese von dem Springer-Journalisten herbeihalluzinierte Linke ist von der Standortlogik und Bevölkerungspolitik der neoliberalen Marktwirtschaft geprägt, deren Sachwalter nach Kräften versuchen, Armut und Elend vor der Tür zu lassen, um dringend benötigte Fachkräfte für die hiesige Wirtschaft, finanzstarke Investoren und aus geostrategischen Gründen wichtige Informanten und Akteure ins Land zu lassen. Sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge, die angeblich die Einwanderung in die Sozialsysteme planen, um sich illegitimerweise an den Arbeitsergebnissen der deutschen Bevölkerung zu bereichern, sind ihnen ein unter allen Umständen, und sei es durch den nassen Tod im Mittelmeer, abzuwehrendes Greuel.

PEGIDA fischt in den trüben Wassern des nationalistischen und kulturalistischen Ressentiments, denen auch der SPD-Politiker Thilo Sarrazin als Held des Abwehrkampfes gegen alles Unproduktive und Leistungsunwillige entstiegen ist. Wo er angeblich die Sorgen um ihr genuines Deutschsein besorgter Bürger aussprach, bedient er vor allem das Interesse national verorteter Kapitaleliten, denen das europäische Krisenmanagement bis heute in die Tasche spielt. Sich dabei das Mäntelchen des unschuldig verfolgten Bedenkenträgers umzuwerfen, der ja nur einmal sagen wollte, was ohnehin alle denken, ist seit den 1960er Jahren beleidigter Tenor des in der politischen Praxis des deutschen Imperialismus hegemonialen Antikommunismus.

Diesen als deutsch zu bezeichnen, trifft insofern zu, als die regierungsamtliche Wettbewerbsdoktrin den Standort Bundesrepublik und den Kapitalexport dort mit Unternehmenssitz und Steuerpflicht verorteter Unternehmen zu ihrem Geschäft macht. Betrieben wird es mit der steuerlichen Begünstigung der Kapitaleigner, dem Aufbau des größten Niedriglohnsektors Europas in der Bundesrepublik und der Ausbeutung vor allem osteuropäischer Arbeitsmigrantinnen und -migranten durch Leiharbeit und Werksverträge. Wirtschaftspolitisch forciert wird es mit einem erheblichen Leistungsbilanzüberschuß in der währungstechnisch einheitlichen Eurozone und der Verpflichtung der Zielstaaten deutscher Exporte auf eine sozialpolitische Austerität, die soziales Elend produziert, wo zuvor abgewertet wurde. Als sprichwörtlicher ideeller Gesamtkapitalist refinanziert der Staat europäische Defizitkreisläufe durch Steuergelder und flankiert den Kapitalexport durch Investitionsschutz, Freihandelsverträge und Kriegspolitik. Wenn das ambivalente, von innerimperialistischer Konkurrenz und geostrategischem Schulterschluß bestimmte Verhältnis zu den USA demgegenüber als bloße Subordination unter den globalen Hegemon dargestellt wird, dann zielt dies nicht minder auf die Stärkung nationaler Hegemonie der Bundesrepublik ab.

Die islamfeindliche Stoßrichtung des unter dem Label PEGIDA mobilisierten Bürgerprotestes ist demgegenüber bloßes Surrogat nüchtern kalkulierter Strategien. Sein kulturalistischer Charakter überdeckt die Ängste jener "Wutbürger", die bisher nicht in rechten Verbindungen und Parteien organisiert waren, sich aber von diesen bereitwillig politisieren lassen. Der von Meinungsführern in Politik und Medien geltend gemachte Bedarf, die Sorgen dieser Menschen ernst zu nehmen, bedient sich der gleichen, in den 1990er Jahren zur Demontage des Asylrechts propagierten Logik, man müsse dem Volkswillen entsprechen, um das Abdriften der Bevölkerung ins rechtsextreme Lager zu verhindern. Dabei wird geerntet, was schon vor langer Zeit in Form fremdenfeindlicher Kampagnen in Wort und Schrift gesät wurde. Soziale Konkurrenz nach Maßgabe der neoliberalen Marktdoktrin auch und gerade unter denjenigen zu schüren, die am wenigsten zu verlieren haben, ist ein bewährtes Mittel der Herrschaftssicherung und wird von den gleichen angeblich linken Mainstreammedien befeuert, die den Kommentatoren von Welt und FAZ als zweckdienlicher Popanz eigener Definitionsmacht dienen.

Demgegenüber die Beteiligung der Bundesrepublik an der Eskalation des Krieges in Syrien und der Zerstörung des Iraks anzusprechen, woher das Gros der hierzulande ankommenden Flüchtlinge stammt, wird ebenso bemüht unterlassen, wie der aggressive Charakter der EU-Politik gegenüber Rußland als bloße Reaktion auf dessen Präsidenten dargestellt wird. Obwohl der Aufstieg des Islamischen Staates ohne die nicht nur von den USA, sondern allen NATO-Staaten betriebene Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens niemals erfolgt wäre, wird dessen Brutalität zum Alleinstellungsmerkmal einer Kriegführung erhoben, die in Afghanistan und Pakistan, im Irak und Syrien, in Palästina und Libyen Elend und Tod in gigantischem Ausmaß erzeugt hat. Obwohl sich die Verbindung zwischen den Attentätern des 11. September 2001 und dem irakischen Präsident Saddam Hussein als ausgemachte Propagandalüge erwiesen hat, um nur ein Beispiel zu nennen, etikettieren bürgerliche Medien nicht nur vordergründige, den moralischen Primat unabdinglicher Wahrheit einfordernde Kausalkonstruktionen, sondern auch profunde materialistische Analysen imperialistischer Politik als Verschwörungstheorien. Dabei neigen sie selbst, um nur den berüchtigten Spiegel-Titel "Gefährlich fremd" von 1997 zu nennen, nicht erst seit diesen Anschlägen zu irrationalen Pauschalisierungen. So betreiben die Verlagskonzerne, bei der Forderung nach mehr Kriegstauglichkeit ebenso wie Appellen an die Mäßigung rassistischer Ressentiments, Politik in ihrem Interesse.

Der von Teilen der neuen Friedensbewegung erhobene Anspruch, weder links noch rechts zu sein, sondern nur den Frieden einzufordern, versucht denn auch, Anschluß an die Diskurshoheit dieser Konsensproduktion zu erhalten. Nicht in Rechnung zu stellen, daß sich das kapitalistische Weltsystem in einer Phase des zugespitzten globalen Verteilungskampfes befindet, weil alle immer weniger haben, ist das zentrale Merkmal des Versuchs, linke und rechte Politik zu austauschbaren Etiketten zu degradieren. Um am Frieden der Paläste teilzuhaben, anstatt den sozialen Krieg gegen die Hütten der Weltbevölkerung zu beenden, wird der neofeudale, die Verfügungsgewalt über den Lebenserwerb und die Daseinsvorsorge der Menschen aus immateriellen Gütern und Gebühren, aus Schuldverschreibungen, Finanzprodukten und der Privatisierung öffentlichen Eigentums, aus Grundrente und Immobilienspekulation schöpfende Charakter herrschender Verhältnisse nicht angegriffen. Indem der Widerspruch zwischen einer Lohnarbeit, die längst nicht mehr genug Mehrwert erzeugt, um die Verschuldung der Staaten und öffentlichen Haushalte auch nur annähernd zu decken, was diese dazu veranlaßt, den lohnabhängigen und versorgungsbedürftigen Menschen immer mehr von ihrer notdürftigen Überlebenssicherung zu nehmen, nicht am Beginn gesellschaftskritischer Analysen steht, bleibt er auf der Strecke personifizierter Bezichtigungen, die nichts erklären, aber spezifische Feindbilder nähren.

"Wutbürger gegen das System" - diese argumentative Stoßrichtung [2] führt zielgerichtet in die Irre. PEGIDA und Konsorten üben keine Systemkritik, sondern empören sich über das ihnen angeblich zugefügte Unrecht. Die Forderung, das aus dem Lot geratene Recht der bürgerlichen Verfassungsordnung wiederherzustellen, verkennt den klassengesellschaftlichen Charakter eines Grundgesetzes und einer EU-Verfassung, deren Liberalität stets daran gebunden ist, daß der Mensch sie sich auch leisten können muß. Wäre es anders, dann wäre die Durchsetzung exekutiver Maßnahmen vom Parteiverbot der KPD und den Notstandsgesetzen über das Vereinigungstrafrecht und bewaffnete Einsätze der Bundeswehr in Aus- und Inland bis zum ausgebliebenen konstitutionellen Prozeß nach dem Anschluß der DDR an die BRD niemals parlamentarisch und verfassungsrechtlich anerkannt worden. Bis heute haben Arm und Reich das gleiche Recht, unter Brücken zu schlafen, und doch wird es nur von armen Menschen in Anspruch genommen.

Somit könnte es nicht besser laufen für die Betreiber einer Staatenkonkurrenz, denen die Bevölkerungen eine durch nationalistische und kulturalistische Ressentiments leicht verfügbare Manövriermasse hegemonialstrategischer Frontstellungen sind. Um gesellschaftliche Widersprüche zu regulieren, die die Grundsubstanz herrschender Verfügungsgewalt in Frage stellen, um Proteste gegen Freihandelsabkommen, Spardiktate und gesellschaftliche Zwangsverhältnisse aller Art zu verhindern, wird ein Friede gestiftet, der prinzipiell gegen andere Menschen gerichtet bleibt. Die als sozialverträglich begründete enge Kontingentierung der Flüchtlingsströme und ihre Kontrolle durch restriktive Einrichtungen und Verfahrensformen ist integraler Bestandteil einer Außenpolitik, die maßgeblich zur Entstehung unerträglicher Zustände in den Herkunftsländern führt. Die EU-weit ausgespannte Arbeitskonkurrenz dient dem Erhalt der Profitrate deutschen Kapitals und wird im Konsens der Selektion in nützliche und abzuwehrende Migrantinnen und Migranten befestigt. Den im Land aufbrechenden Klassengegensätzen wird durch die kontroverse Diskussion über kulturalistisch formierte Verdrängungskämpfe entsprochen, anstatt Roß und Reiter beim Namen zu nennen und die Legitimität der neofeudalen Klassengesellschaft zu erschüttern. Die sogenannte politische Mitte spielt dabei die Rolle eines virtuellen, autoritäre Staatlichkeit und neoliberale Sozialkonkurrenz als gesellschaftliche Produktivfaktoren anerkennenden Orientativs, mit Hilfe dessen sich genuin nationalistische und rassistische Positionen integrieren lassen, während antikapitalistische und antimilitaristische Bewegungen wirksam ausgegrenzt werden.

Von daher ist PEGIDA nicht das Problem einer imaginären Linken, deren humanitär begründete Rassismuskritik nicht wirklich daran rüttelt, daß die eigene materielle Existenz auf Gedeih und Verderb an das sogenannte Erfolgsmodell Deutschland geknüpft ist. PEGIDA wie auch die Entpolitisierung von Teilen der neuen Friedensbewegung sind das Produkt einer Widerspruchsregulation, die im Ergebnis zur Formierung eines Nationalkollektivs führen könnte, mit dem sich Kriege gegen die Bevölkerung anderer Länder wie auch soziale Bewegungen im eigenen Land führen lassen. Die im nationalistischen und kulturalistischen wie marktwirtschaftlichen und sozialliberalen Konsens verankerte Übereinstimmung mit dem Erfolg der Bundesrepublik und EU auf dem Weltmarkt und im internationalen Vergleich der Gesellschaftsordnungen aufzukündigen, um einer auf immer mehr Gewalt gegen Mensch und Natur hinauslaufenden Kriseneskalation entgegenzutreten, wäre demgegenüber die Sache von Menschen, deren Ohnmacht kein Privatproblem ist und die sich bei ihrer Überwindung jeder sozialdarwinistischen Argumentation versagen.


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/presseschau-aus-deutschen-zeitungen.433.de.html

[2] http://www.deutschlandfunk.de/pegida-proteste-wutbuerger-gegen-das-system.724.de.html?dram:article_id=306871

22. Dezember 2014


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