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KULTUR/0991: Dem "sauberen" Sport unterworfen ... (SB)



Die Frage, wie "sauber" die Olympischen Spiele in Brasilien verlaufen, betrifft nicht mehr nur die als betrügerisch verworfene Praxis des Dopings. "Sauber" soll das Ereignis auch durch das Verbot politischer Meinungsbekundungen im Stadion werden, so die Organisatoren [1]. Weder T-Shirts noch Transparente oder Schilder mit entsprechenden Parolen sind dem Publikum erlaubt, und wer diesem Verdikt zuwiderhandelt, wird von den allgegenwärtigen Soldaten mit Gewalt entfernt. Zwar hat ein Bundesrichter in Rio nun entschieden, daß friedlicher Protest dieser Art auch in den Wettkampfstätten erlaubt sein muß, aber das IOC hat bereits Berufung gegen diese Entscheidung eingelegt.

Deutlicher noch als im Fall des Dopings zeigt die hier in Anspruch genommene und durchgesetzte Ordnung, wes autoritären Geistes Kind sie ist. Die Idealisierung des Sportes als reiner, von allen äußeren Einflüssen befreiter Wettkampf von Gleichen hat noch nie gestimmt und tut es unter den Bedingungen internationaler Krisenkonkurrenz weniger denn je. Der als friedlich gelobte Wettkampf der Nationen vereinnahmt die Sportlerinnen und Sportler seinerseits für nationale Ziele, für deren Zweck es gleichgültig ist, ob sie sich mit ihnen identifizieren oder nicht. Allein die unterschiedlichen Voraussetzungen, unter denen die Wettkämpferinnen und Wettkämpfer sich auf die Spiele vorbereiten, führen die unterstellte Chancengleichheit ad absurdum. Dies trifft um so mehr zu, als die Verwissenschaftlichung des Sportes, die analog zur Forschung und Entwicklung industrieller Herstellungsverfahren die Produktivität und damit Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt erhöhen soll, den einzelnen Athletinnen und Athleten auf höchst unterschiedliche Weise zugute kommt.

Wie friedlich der Wettbewerb auch immer sein soll, als Idealisierung der internationalen Staatenkonkurrenz legitimiert er deren Elends- und Mangelproduktion ebenso, wie diese als das systematisch von der reinen Funktion des Sportes Ausgeschlossene seine notwendige Voraussetzung darstellt. Insofern ist die in Anspruch genommene "Sauberkeit" des Sportes nicht von den "Säuberungen" zu trennen, die im Vorfeld des Spektakels in den Elendsvierteln der Austragungsorte stattfinden. Wie die neoliberale Ideologisierung des Marktes als angeblich optimales Regulativ aller geldförmigen Tauschprozesse und Wertbestimmungen von der privatwirtschaftlichen Eigentumsordnung und allen damit einhergehenden Gewaltverhältnissen abstrahiert, so soll der "saubere" Sport die kulturelle Essenz menschlicher Selbstbehauptung und Selbstverwirklichung vom Schmutz all dessen befreien, was im sozialdarwinistischen Gegeneinander an Ohnmacht und Aggression alltäglich erfahren wird. Bleibt der ästhetische Imperativ des "sauberen" Sportes unwidersprochen, erhält er durch die Abstraktion seiner Maßstäbe und vermeintlich unendlichen Steigerungslogik einen quasi religiösen Nimbus, der, wie sollte es anders sein, auf dem Friedhof seine höchste Erfüllung findet.

Da der Unterschied schon formallogisch Voraussetzung jedes Vergleichs ist, werden mit der beanspruchten Gleichheit der Ausgangsbedingungen eines jeglichen Kampfes Gewaltverhältnisse legitimiert, denen Menschen auf höchst schmerzhafte Weise ganz real und materiell unterworfen sind. Wenn das Aufbegehren gegen die Ohnmacht, denen sich Menschen durch politische, ökonomische und soziale Herrschaft ausgesetzt sehen, bei sportlichen Wettkämpfen manifest wird, deren technische, biomedizinische und evaluatorische Bemittelung optimale Vergleichbarkeit und damit Gerechtigkeit suggeriert, dann nimmt dieser Ein- und Widerspruch den Charakter einer höchst vitalen Antithese zur klinischen Sterilität der Meßanordnungen und Kontrollverfahren des Sportes an.

Bestehen dessen Funktionseliten auf die "Sauberkeit" ihres Events, dann verteidigen sie nichts als die tödlichen Auswirkungen ihrer Klassenprivilegien gegen das Leben, das der chaotischen Vielfalt und dem voraussetzungslosen Reichtum menschlicher Subjektivität schon immer eigen war. Wer beim Klang des Wortes "sauber" innerlich zusammenzuckt und sich an "Säuberungen" grausamster Art erinnert fühlt, den trügt der Instinkt nicht, daß es sich hier nicht nur um die Sprache, sondern auch die Praxis von Herrenmenschen handelt.


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/olympische-spiele-in-rio-meinungsfreiheit-ja-aber-nicht-bei.890.de.html?dram:article_id=362679

10. August 2016


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