Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


KULTUR/1024: Persona - wie wär's mit einfach Mensch ... (SB)



Die Welt der wie eine Naturtatsache begriffenen bipolaren Geschlechtlichkeit wird von verschiedenen Seiten her in Frage gestellt. So häufen sich in der humangenetischen und zellbiologischen Forschung Erkenntnisse über die Diversität biologisch vermeintlich eindeutig definierter Geschlechter auf molekularer Ebene. Die in allen körperlichen Erscheinungsformen als männlich und weiblich zu identifizierende Ordnung der XX- und XY-Chromosomen ist erschüttert, treten bislang als geschlechtsspezifisch zugeordnete Zellstrukturen doch immer wieder irregulär im jeweiligen Konterpart auf [1]. Die Zahl der Menschen mit sogenanntem Inter- oder Zwischengeschlecht mag gering sein, doch fordern diese häufig unter schwerwiegenden Diskriminierungen, die bis zur ungefragten operativen Korrektur ihrer als "unnatürlich" stigmatisierten Abweichung reichen können, leidenden Menschen inzwischen ihre rechtliche wie kulturelle Anerkennung als eigenständige Form von Geschlechtlichkeit vernehmlich ein. Die weltweit aktive LGBTIQ-Bewegung hat dafür gesorgt, daß die tradierten Geschlechterstereotypien ins Wanken geraten und zu einem bunten Kaleidoskop letztlich unzählbarer Geschlechteridentitäten zerfallen. Die antipatriarchalisch-feministische Linke hat mit der materialistischen Kritik am Zusammenhang gesellschaftlicher Natur- und Geschlechterverhältnisse das Fundament für den integralen Widerstand gegen die verschiedenen Herrschaftsverhältnisse klassengesellschaftlicher, rassistischer, sexistischer und extraktivistischer Art gelegt.

Weit darüber hinaus, daß die Kritik am binären Geschlechterverhältnis tiefverwurzelte kulturelle Zuschreibungen wie das Bild vom aktiven, starken, rationalen Mann und der passiven, schwachen, emotionalen Frau, um nur drei besonders häufig anzutreffende Kriterien zu nennen, in Frage stellt, unterminiert sie eine hierarchische Ordnung, die mit der verfassungsrechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau und politischen Konzepten wie Gender Mainstreaming lediglich an der Oberfläche tiefsitzender Gewaltverhältnisse angekratzt wird. Zudem ist die Entwicklung der auf die realsozialistischen und westlichen Industriegesellschaften beschränkten Frauenemanzipation starken Angriffen der kulturalistischen Rechten ausgesetzt. Sie will die konventionelle Kleinfamilie als Hort der Reproduktion patriarchaler Herrschaft und autoritärer Staatlichkeit restaurieren und das Prinzip selbstbestimmter Leiblichkeit insbesondere im Bereich des Abtreibungsrechts, aber auch der Gleichstellung nicht heterosexuell lebender Menschen wenn nicht kriminalisieren, dann zumindest als politische Gegenposition ausschalten.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom Herbst 2017, laut der ein zwingender Eintrag ins Personenstandsregister entweder zum männlichen oder weiblichen Geschlecht gegen Persönlichkeitsrecht und Diskriminierungsverbot verstößt, weshalb der Gesetzgeber bis Ende 2018 die Möglichkeit schaffen soll, eine dritte Option einzutragen, oder auf die Erfassung des Geschlechtes gänzlich verzichten muß, scheint dieser Entwicklung konträr gegenüberzustehen. Tatsächlich wurde diese Erweiterung der behördlichen Geschlechterkategorisierung bereits in verschiedenen Ländern verwirklicht, so daß es sich nicht um einen deutschen Sonderfall handelt. Zudem hat die von Bundesinnenminister Seehofer geplante Umsetzung des Urteils für Widerspruch beim LSVD und der Bundesvereinigung Trans* gesorgt [2]. Dort wird moniert, daß der Gesetzesentwurf nur für Intersexuelle gilt und damit nicht nur Trans-Personen, sondern auch andere in ihrer Geschlechtlichkeit falsch oder unzureichend benannte Menschen, deren Zahl sich in der Bundesrepublik auf 1,3 Millionen belaufen soll, ausschließt.

Vor allem jedoch soll ein Eintrag unter der Kategorie "anderes" an die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens gebunden sein. Das ist für die betroffenen Personen, die häufig erheblich unter ihrer medizinischen Begutachtung und Behandlung als geschlechtliche Zweifelsfälle zu leiden hatten, wie ein Schlag ins Gesicht. Auch wenn Menschen, die mit biologisch unklarer Geschlechtsidentität geboren werden, heute nicht mehr wie selbstverständlich unter das Messer des Chirurgen geraten, um auf eines der beiden gesellschaftlich als "normal" erachteten Geschlechter zurechtgeschnitten zu werden, so ist ihr Verhältnis zu einer medizinischen Wissenschaft, die allzuoft als Agentur heteronormativer Unterwerfung fungierte, indem sie intersexuelle Menschen entwürdigenden Prozeduren der Untersuchung und Behandlung aussetzte, eher angespannt. Mit der Fortsetzung der medizinischen Bewertung von Geschlechtlichkeit, die vor allem anhand biologischer Merkmale erfolgt, soll dieser so zentrale Teil der persönlichen Selbstbestimmung auch weiterhin der Verfügungsgewalt des Staates und einer patriarchalen Gesellschaft ausgesetzt werden.

Warum es nicht Sache eines jeden Menschen selbst sein soll, über die Zuordnung zu einem Geschlecht zu bestimmen oder sich dieser vielleicht ganz zu verweigern, ist weniger eine Frage der biologischen Ordnung oder des sozialen Verkehrs. So kann eine erzwungene Eintragung ins Personenstandsregister als männlich oder weiblich laut einer Stellungnahme des Deutschen Ethikrates aus dem Jahre 2012 zulässig sein,

"wenn es um den Schutz eines Gemeinschaftsgutes geht, das dem erheblichen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des intersexuellen Menschen mindestens gleichwertig ist und seine Einschränkung rechtfertigt. Als Zwecke, die eine Eintragung von nur zwei Geschlechtern und die derzeitigen Regelungen sowie die Praxis des Personenstandsrechts rechtfertigen könnten, werden genannt: die genauere Identifizierbarkeit des Menschen, statistische Erhebungen für staatliche Planungen, die Einhaltung internationaler Standards, die Erkennbarkeit von Rechten und Pflichten der Staatsbürger wie die Wehrpflicht, die Identifizierung des Geschlechts für das Eingehen einer Ehe oder Lebenspartnerschaft, sicherheitspolizeiliche bzw. ordnungspolitische Interessen und die Chancengleichheit im Sport." [3]

Alles in allem handelt es sich um eine Aufzählung staatlicher Interessen, die nicht die des betroffenen Menschen sein müssen, aber auch keine Angelegenheiten betreffen, die die Funktionsfähigkeit staatlicher Ordnung wesentlich in Frage stellen. Das moderne Personenstandsrecht wurde 1876 in einer Zeit eingeführt, als der bürgerliche Staat damit begann, die Organisation und Kontrolle reproduktiver Belange aller Art zu seiner Angelegenheit zu machen. Dieser biopolitische Zugriff war vor allem dem Zweck verschrieben, dem Industriekapital Arbeitskräfte und der Armee Soldaten zur Verfügung zu stellen. Die Kontrolle über die biologische Reproduktion betraf insbesondere Frauen, die nicht nur mit ihren Körpern die personelle Ausstattung in Fabrik und Büro, auf dem Feld und an der Front bereitzustellen, sondern auch die kostenlose Aufzucht der Heranwachsenden und Pflege der Alten zu gewährleisten hatten.

Zugleich war der rechtlich eingeschränkte und gesellschaftlich inferiore Rang der Frau ein negativ definierter Besitzstand, der nicht einfach durch die Überwindung der Geschlechtergrenzen gegenstandslos gemacht werden sollte. Bis heute ist die geschlechtliche Zuordnung von Menschen Ausdruck und Mittel patriarchaler Herrschaft, wie nicht zuletzt das Beispiel eines Sportes zeigt, der als Arena sozialdarwinistischer Selbstbehauptung und symbolisches Spielfeld der Marktkonkurrenz "Chancengleichheit" nur deshalb produziert, weil Gleichheit im Sinne einer zu Solidarität befreiten Nichtvergleichbarkeit ganz und gar nicht Zweck dieses vermeintlich Gerechtigkeit schaffenden Vorhabens ist. Im Wettbewerb werden individuelle Dominanz- und Unterwerfungsverhältnisse formalisiert und auf die Spitze getrieben. Wer die Vergleichskriterien definiert, die auch ganz andere sein könnten wie etwa die technische Bemittelung oder die Ernährungsweise der jeweiligen Sportlerin, kontrolliert den gesellschaftlichen Wertekanon, anhand dessen auch Entscheidungen von existentieller Art getroffen werden.

Ein gemeinsames Ziel aller von Geschlechterkategorisierungen betroffenen Menschen, die sich keinen Stempel - auch nicht den einer dritten Option in Form des Wortes "anderes" oder eines "x" - aufdrücken lassen wollen, könnte die vollständige Abschaffung des entsprechenden Eintrages in Geburtsdokumente und Personenstandsregister sein. Wie immer die Menschen sich zusammentun, von wem immer sie sich sexuell angezogen fühlen, wie immer sie ihr persönliches Verhältnis zur sozialen Identität und biologischen Form gestalten möchten, so bleiben sie doch stets Menschen, die sich im sozialen Mit- und Gegeneinander auf bestimmte Weise positionieren. Und auch diese Zuschreibung ist nicht unproblematisch, wie die gesellschaftlichen Naturverhältnisse und die Ausbeutung der Tiere zeigen. Sich nicht in die Angelegenheiten anderer einzumischen, ohne gleichgültig und ignorant gegenüber ihrer Freude und Not zu werden, also erst durch den anderen zu sich selbst zu kommen, ist schon so schwierig, daß leicht ersichtlich ist, wie sehr die bürokratische und administrative Kontrolle des Lebens jeder Emanzipation im Wege steht.


Fußnoten:

[1] https://www.nature.com/news/sex-redefined-1.16943

[2]https://www.lsvd.de/newsletters/newsletter-2018/seehofer-muss-beschluss-des-bundesverfassungsgerichts-zur-dritten-option-menschenrechtskonform-umsetzen.html

[3] http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/stellungnahme-intersexualitaet.pdf

29. Mai 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang