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KULTUR/1030: Europa - und wieder ein Allheilmittel unterwegs ... (SB)



Europa hat zwei Feinde: die Rechts- und Linkspopulisten innerhalb Europas sowie Trump und Putin außerhalb. Mein Theaterstück setzt ein "Nein" gegen diese auflösenden Kräfte.
Bernard-Henri Lévy [1]

Der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy will sein Europa retten vor dem "Gesindel", vor einem "verrückten Dummkopf", vor "ungebildeten Banditen", vor "Trotteln und Halunken", wie er im Gespräch mit dem Deutschlandfunk unterstreicht. Sein Sprachduktus, Kritik jeder Couleur am europäischen Zusammenschluß als Projekt der führenden Nationalstaaten und ihrer Kapitalfraktionen in ein und denselben Topf bloßen Abschaums zu werfen, zeugt vom Gestus elitär-kulturalistischer Suprematie, die er wie kaum ein anderer prominenter Intellektueller seines Landes verkörpert. Zeitlebens in eine gesellschaftliche Sphäre gebettet, die Wohlstand und Bildung der besseren Kreise zu einer Melange des Geisteslebens zu verschmelzen weiß, die ein auf seinen materiellen wie immateriellen Besitzstand bedachtes Großbürgertum aufsaugt wie ein Lebenselixier, ist der 70jährige als telegener Star in der öffentlichen Debatte nahezu omnipräsent und dürfte bis heute zu den weltweit bekanntesten Franzosen zählen.

Als Mitbegründer der "nouvelle philosophie", die sich gegen marxistische Denker wie Jean-Paul Sartre abgrenzten, hat er die 68er-Bewegung im Dienst der herrschenden Verhältnisse verarbeitet und sich damit einen Namen gemacht. Immer wieder hat er sich für militärische Interventionen ausgesprochen, so auch im Bosnien-Krieg, in Libyen und in Syrien. In Sarajewo, der Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina, ist auch sein neues Theaterstück "Looking for Europe" verortet, mit dem er derzeit durch 22 europäische Städte reist und zur Halbzeit seiner Tournee gerade Station in Berlin macht. Der Monolog ist eine politische, philosophische und literarische Beschwörung der gemeinsamen Werte des Kontinents, die der Autor von innen und außen bedroht sieht.

Warum ein Theaterstück? Warum keine Rede, keine Debatte, kein Podiumsgespräch, kein Aufruf in Zeitungen oder anderen Medien? Dieses Stück reise von Stadt zu Stadt, und er sehe sich als ein Pilger, der durch Europa zieht. Überall habe er zu seiner großen Freude eine echte Begeisterung für Europa erlebt. Ein Theaterstück sei etwas, das man mitnehmen kann und das sich immer wieder verändert, bedient sich Lévy einer traditionellen Kunstform, die er dank seiner prominenten Autorenschaft in den Rang eines vielbeachteten Medienereignisses erhebt. Er mache keine Werbung für Europa im eigentliche Sinne, sondern wolle die schweigende Mehrheit der Europäer aufwecken und ihr klarmachen, daß es Zeit ist, die Stimme zu erheben und denjenigen, die Europa zerstören, ein Nein entgegenzusetzen.

Wer sind die inneren Feinde? Marine Le Pen oder die AfD, Jean-Luc Mélenchon oder die "linksextremen Krawallmacher in Deutschland", setzt Lévy als erklärter Protagonist der Extremismusthese Kritik und Angriffe von linker und rechter Seite kurzerhand gleich, ergänzt um die radikalen Islamisten als "dritte Kategorie von Populisten", denen man nicht das Terrain überlassen dürfe. Mit keinem Wort geht er auf die koloniale und imperialistische Geschichte der europäischen Mächte ein, deren Konstrukt von Demokratie, Frieden und Wohlstand auf der unablässigen Ausbeutung anderer Weltregionen und der Auslagerung kriegerischer Auseinandersetzungen gründet. Ihn scheren auch nicht die inneren Mißverhältnisse der Europäischen Union zu Lasten der Peripherie und andere Konflikte, welche zum drohenden Zerfall der Union beitragen.

Der Philosoph bedient statt dessen die Wertedebatte seines Standes und der Nation wie er auch die Diversität der kulturellen Referenzen pflegt, in Spanien ausführlicher auf Cervantes, in Dänemark mehr auf Kierkegaard und in Deutschland stärker auf Edmund Husserl und Immanuel Kant eingeht. Richtet sich diese Theateraufführung nicht doch vor allem an eine Elite, an das gebildete Bürgertum? Das sei doch der ewige Vorwurf an Europa, daß es sich um ein Elitenprojekt handle, wendet Dlf-Gesprächspartner Dirk Fuhrig eher rhetorisch als ernstgemeint ein. Die Vorlage greift Lévy dankbar auf: "Elitär? Nein, warum?" Man biete günstige Tickets für Studenten an und erlaube es den Zuschauern, Fotos und Videos mit ihren Mobiltelefonen zu machen und sie in die sozialen Netzwerke einzuspeisen. Der Text gehöre allen, jeder und jede könne ihn für sich beanspruchen, verkauft der Autor seinen Tribut an zeitgenössische Mechanismen der Werbung und Vermarktung als eine Art vergemeinschaftetes Basisprojekt. Die Leute seien nicht dazu verdammt, "wie Drogenabhängige am Internet zu hängen und allem Schönen, kulturell Wichtigen und Humanitären den Rücken zu kehren".

Was die äußere Bedrohung betrifft, sieht Lévy Europa von fünf Mächten umzingelt: "radikaler Islamismus, erwachender Imperialismus des Iran, ebenso wie der in der Türkei, in China und in Russland". "Wenn Imperialisten wie die Chinesen uns erobern wollen und jemand wie Putin uns schwächen will", während Trump "uns aufgibt", liege die Lösung auf der Hand. "Lassen wir uns von diesen fünf Mächten erobern? Oder schließen wir uns zusammen? Darum geht es heute." Europa sei nahezu daran gescheitert, einen gemeinsamen Markt herzustellen und eine gemeinsame Währung einzuführen. Und dabei reiche das längst noch nicht aus. Die USA würden von einem "verrückten Dummkopf" geführt, der die Europäer als seine Feinde sehe und sich mit dem "Testosteron-gesteuerten Erdogan" stets besser verstehen werde, als mit einem Franzosen oder Deutschen. Dem Widerstand entgegenzusetzen schaffe man nur zusammen mit einem gemeinsamen Budget, einer gemeinsamen Außenpolitik und einer gemeinsame Verteidigung, läßt Lévy die Katze aus dem Sack.

Nachdem er Europa de facto mit der Europäischen Union gleichgesetzt und sie als allseits bedrängte Unschuld dargestellt hat, die sich der inneren und äußeren Angriffe erwehren müsse, ruft er im Sinne Macrons zu einer stärker zentralisierten und militarisierten EU auf. Er schmiedet mit an der Doktrin europäischer Großmachtambitionen, als gelte es den Ansturm der Barbarenhorden abzuwehren. Zur Aufgabe Deutschlands fällt ihm die Symbolik von Tyrannei und Versklavung ein, damals im Krieg und später "in der DDR vor dem Fall der Mauer". Wenn ein Volk verstehen könne, in welchem Maße Europa ein Segen war, dann sei es das deutsche Volk. Die Deutschen müßten ihre rigorose Blockade aufgeben und einen wesentlichen Schritt nach vorne tun, doch die politische Klasse könne sich nicht entscheiden. Er habe Frau Merkel unendlich bewundert, aber die Reaktion ihrer Nachfolgerin auf Macrons Brief an die Europäer als tiefe Enttäuschung empfunden.

Lévy, der in der Vergangenheit mehr oder minder eng mit Nicolas Sarkozy assoziiert war, hält große Stücke auf Emmanuel Macron. Der habe seine Präsidentschaft trotz Europa gewonnen, weil er jung und kühn war. Dabei habe er politische Größe gezeigt, weil er sich selbst treu geblieben sei und seine Werte verteidigt habe. Er besaß "die Größe, seine blaue Europa-Fahne nicht in seiner Hosentasche ganz tief unter dem Taschentuch zu verstecken". Sein öffentlicher Diskurs mit den Bürgern im ganzen Land sei die richtige politische Antwort auf die Bewegung der Gelbwesten und ein großer Moment der Demokratie gewesen, ganz so wie bei Sokrates das Vermitteln philosophischer Einsicht durch den Dialog. Daß dieser angebliche Bürgerdialog Macrons eine Farce mit ausgewählten kommunalen Amtsträgern unter massivem Polizeischutz und Ausschluß der Gelbwesten war, sollte Lévy eigentlich nicht entgangen sein.

Vielleicht ist es ihm aber auch schlichtweg gleichgültig, hält er die Gelbwesten doch für ein Spektakel aufbrandenden Hasses, voller Mordphantasien und Verachtung der Republik, was nicht mit dem französischen Volk gleichgesetzt werden dürfe. Sie wollten soziale Verbesserungen, aber ihre Rhetorik knüpfe an alte faschistische Traditionen an. Die Gilets jaunes seien weit davon entfernt, die politische Agenda zu bestimmen, diese Bewegung werde in Kürze wieder verschwinden. Sie habe die ungewöhnliche Toleranz der Medien und die Meinungsfreiheit überstrapaziert, kolportiert Lévy den Diskurs der intellektuellen Stichwortgeber, die in den Gelbwesten den Pöbel sehen, den sie fürchten und verachten. Natürlich ist auch der Sproß einer reichen Unternehmersfamilie wie Bernard-Henri Lévy, der die besten Schulen besucht und bei Jacques Derrida und Louis Althusser studiert hat, nicht daran gehindert, über den Schatten seiner Herkunft zu springen. Alles deutet jedoch darauf hin, daß Lévy, dessen Vermögen heute auf 150 Millionen Euro geschätzt wird, nicht nur materiell seiner Klasse treu geblieben ist, sondern als deren offensiver Repräsentant die Ideologie der französischen Eliten an vorderster Front mitprägt, die eine tiefe und unüberbrückbare Kluft von den verachteten niederen Ständen und Klassen trennt.

Sollte das der Prophet sein, der den Weg ins gelobte Land eines geeinten und starken Europa weist? Und was noch wichtiger ist: Wer wollte in diesem Europa leben, wie es Lévy und Konsorten vorschwebt?


Fußnote:

[1] www.deutschlandfunk.de/tournee-von-bernard-henri-levy-ueberall-habe-ich-echte.911.de.html

15. April 2019


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