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KRIEG/1312: Fundamentale Unterschiede zweier Afghanistankriege (SB)



Nachdem die letzten sowjetischen Truppen am 15. Februar 1989 Afghanistan verließen, sollte es noch über zwei Jahre dauern, bis die von ihr unterstützte Regierung Najibullah von den Mujahedin besiegt wurde. Erst in der Endphase des Krieges, der 1979 mit einem Aufstand gegen die sozialistische Modernisierung des Landes gerichteter Kräfte aus Oligarchie und Klerus begonnen hatte, konnten die Mujahedin Erfolge bei der Einnahme größerer afghanischer Städte erzielen. Die Regierung der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA) scheiterte letztendlich weniger aus militärischen Gründen als aufgrund innerer Abspaltungen sowie des Ausbleibens russischer Treibstofflieferungen an ihre Streitkräfte nach dem Ende der Sowjetunion.

Die Säkularisierung der afghanischen Gesellschaft, in der die Gleichstellung der Frauen lange vor ihrer vermeintlichen Befreiung durch westliche Streitkräfte zumindest in den Städten weitgehend realisiert war, wurde nicht zuletzt durch die US-Regierung torpediert. Indem sie Afghanistan zu einem Schauplatz für einen internationalen Jihad gegen den Kommunismus erklärte und diesen Krieg mit massiver Militärhilfe für die Mujahedin unterstützte, vernichtete sie alle aussichtsreichen Ansätze zu einer demokratischen zivilgesellschaftlichen Entwicklung in Afghanistan. Heute müssen sich afghanische Frauen vor den gleichen Kräften unter den Mujahedin fürchten, die in den 1980er Jahren auch in der Bundesrepublik als Befreier gefeiert wurden, während sie die Uhr zurückdrehten und Frauen wie zuvor männlicher Willkür aussetzten.

Indem die CIA noch vor Einmarsch der sowjetischen Truppen damit begann, in der mit ihr verbündeten islamischen Welt, also insbesondere Saudi-Arabien und Pakistan, muslimische Freischärler für einen Krieg in Afghanistan anwerben zu lassen, indem sie deren Kampf mit Milliardensummen unterstützten, die nicht zuletzt aus dem Drogenhandel stammten, setzte sie der afghanischen Nationalregierung auf eine Weise zu, die nicht mit der Offensive der Taliban gegen die von den NATO-Staaten unterstützte Regierung Karzai vergleichbar ist. Dennoch dauerte es rund zwölf Jahre, bis die Mujahedin siegten und im April 1992 Kabul übergeben bekamen.

Die NATO müßte also vergleichsweise leichtes Spiel haben, kämpft sie doch mit deutlich besserer Waffentechnik als die der damaligen Roten Armee gegen eine Guerilla, die über keinerlei äußere Unterstützung verfügt und der sogar die Rückendeckung durch die Regierung Pakistans entzogen wurde. Während die CIA in den 1980er Jahren den Krieg über den pakistanischen Geheimdienst ISI vom Nachbarland aus organisierte, wird das dortige Rückzugsgebiet der Taliban heute von pakistanischen Regierungstruppen angegriffen.

Obwohl die Staatenkoalition, die Afghanistan 2001 eroberte und die NATO als Sachwalter ihrer Besatzungspolitik einsetzte, über weit günstigere Ausgangsbedingungen verfügte, steht sie bereits im achten Jahr eines begrenzten Krieges, der in den letzten Jahren immer größere Ausmaße angenommen hat. Zu einem Zeitpunkt, zu dem der Rückzug der sowjetischen Truppen längst beschlossene Sache war, plant die US-Regierung eine deutliche Aufstockung ihrer Truppen in Afghanistan. Die Taliban und andere gegen die Besatzer kämpfende Milizen können die NATO kaum besiegen, sie können ihren Truppen allerdings das Leben langfristig so schwer machen, daß der politische Willen in der EU und den USA zur Fortsetzung dieses Krieges nicht mehr gegeben sein wird.

Es wäre daher vernünftig, das Land lieber früher als später zu verlassen. Das gilt um so mehr, als der vermeintliche Krieg gegen Terrorismus sich gegen eine von den USA selbst ins Leben gerufene Schimäre, eine besonders reaktionäre Variante des Jihadismus, richtet. Heute wird gerne vergessen, daß die erfolgreiche Inszenierung eines Glaubenskrieges in Afghanistan durch die CIA parallel zur islamischen Revolution im Iran erfolgte, die von antikolonialer Art war und zumindest zu Beginn Ziele der sozialen Gleichstellung verfolgte. Die Rekrutierung islamischer Bewegungen für imperialistische Zwecke konnte nur dort erfolgreich sein, wo die USA und ihre Verbündeten über staatliche Sachwalter ihrer Interessen verfügten, deren Herrschaft nicht nur autoritär, sondern auch mit der Politik Washingtons vereinbar war. Die Initiierung einer sich vor allem in sunnitischen Gesellschaften rekrutierenden internationalen Bewegung der Mujahedin durch die CIA war wie die Unterstützung des säkularen Iraks durch die USA gegen den schiitischen Iran gerichtet und definierte sich darüber hinaus gegen moderate, in ihren nationalen Traditionen verankerte Muslime, die der Einmischung äußerer Kräfte in ihre Angelegenheiten ablehnend gegenüberstanden.

Auch aufgrund dieser Bruchlinien in der islamischen Welt ist nicht mit einer baldigen Beendigung des Afghanistankriegs zu rechnen. Wie bei der Eroberung des Iraks und der Unterstützung der israelischen Besatzungspolitik handelt es sich bei der Besetzung Afghanistan um eine gegen jeglichen Ansatz zur Einigung der islamischen Staatenwelt, sei es unter säkularem oder religiösen Vorzeichen, gerichtete Strategie der inneren Spaltung. Macht man sich einmal klar, in welchem Ausmaß der radikale Islamismus ein Produkt der westlichen Moderne und ihrer kolonialistischen Expansion ist, dann kann es nicht erstaunen, daß man sich seiner ebenso als nützliches Feindbild wie als Instrument der eigenen Kriegführung bedient.

Insofern unterscheiden sich der Krieg, in dem die Sowjetunion in den 1980er Jahren in Afghanistan stand, und derjenige, den die NATO heute dort führt, fundamental. Ersterer bestand in der Unterstützung eines verbündeten Staates gegen einen Aufstand, der von Anbeginn durch äußere Kräfte instrumentalisiert wurde, und war durch die Interessengegensätze einer bipolaren Weltordnung bestimmt. Der Abzug der sowjetischen Truppen konnte auch deshalb erfolgen, weil man in Moskau von Anfang an keine weiterreichenden Ziele als die Sicherung der eigenen Hegemonie verfolgt hatte.

Letzterer verbirgt hinter dem Vorwand der ordnungspolitischen Regulation eines gescheiterten Staates im Rahmen der einzigen, liberalen Weltordnung den menschenfeindlichen Charakter einer Offensive der sozialen Transformation, die an vielen Fronten und mit vielen Mitteln geführt wird. Diese bestehen in der unter anderem in der Delegitimierung jeder Form nationalen Widerstands durch seine Kriminalisierung als Terrorismus, der de facto-Legalisierung völkerrechtswidriger Aggressionen, die sich, wie die militärische Zerstörung der zivilen Infrastruktur des Iraks im Krieg 1991 und das anschließende UN-Wirtschaftsembargo belegen, gegen die Lebensinteressen der betroffenen Bevölkerungen richten, dem Initiieren von Regimewechseln durch direkte militärische Intervention oder die Entfesselung von Bürgerkriegen sowie die Durchsetzung des neoliberalen Akkumulationsmodells.

15. Februar 2009