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KRIEG/1326: Flüchtlingselend in Pakistan Folge der Besetzung Afghanistans (SB)



Zwar nannte Kilian Kleinschmidt vom UN-Flüchlingshilfswerk (UNHCR) Roß und Reiter nicht beim Namen, doch gab er in seinem Bericht (Deutschlandfunk, 26.05.2009) über die humanitäre Notlage der Kriegsflüchtlinge aus dem nordpakistanischen Swat-Tal zu verstehen, daß die Stimmung in der Bevölkerung sich gegen die dort kämpfenden Truppen der Regierung Pakistans - und damit auch gegen die der NATO in Afghanistan - wenden könnte. Kleinschmidt beklagte nicht nur das viel zu geringe Ausmaß an finanzieller Hilfe für die Versorgung der rund zwei Millionen Flüchtlinge, er forderte die mittelbar an dem Krieg in Pakistan beteiligten westlichen Regierungen dringend dazu auf, nicht den gleichen Fehler wie in Afghanistan zu machen, vor allem auf die Macht der Waffen und nicht die Befriedung durch ziviles Engagement zu setzen.

Davon, daß diese häufig zitierte Lektion aus acht Jahren Krieg in Afghanistan in Pakistan beherzigt würde, kann keine Rede sein. Der Krieg in der Nordwestlichen Grenzprovinz (North-West Frontier Province - NWFP) ist das Ergebnis des Einflusses der US-Regierung auf die Regierung in Islamabad, von der sie ultimativ verlangte, die Autonomiebestrebungen der Paschtunen mit aller militärischen Macht zu unterdrücken. In Washington will man die Rückzugsgebiete der afghanischen Taliban unter Kontrolle bekommen, grenzüberschreitende Bündnisse unter den paschtunischen Stämmen verhindern und den Einfluß islamistischer Kräfte auf die Politik Pakistans zurückdrängen. Um dies zu bewirken, hat die Regierung Obama gedroht, die milliardenschweren Finanzhilfen an die pakistanische Regierung einzustellen. Das veranlaßte Präsident Ali Asif Zardari, sein von den USA finanziertes Militär, das die Basis jeder zivilen Regierungsmacht in Pakistan stellt, in die Paschtunengebiete in Marsch zu setzen.

Damit riskiert Zardari, die ohnehin virulenten Sezessionsbestrebungen unter den pakistanischen Paschtunen, die seit jeher besondere Autonomierechte besitzen und die seinem Land im Falle des Distrikts Swat erst 1969 nach Zusicherung besonderer politischer und religiöser Rechte beigetreten sind, weiter anzuheizen. Die rund 20 Millionen Paschtunen Pakistans und die rund 13 Millionen Paschtunen Afghanistans streben seit jeher die Überwindung der künstlichen Grenze an, mit der die britischen Kolonialherren ihr Stammesgebiet Ende des 19. Jahrhunderts auseinandergerissen haben, um ihr indisches Empire gegen Afghanistan abzugrenzen.

Daher trifft der hierzulande verbreitete Eindruck, die Taliban Afghanistans wie Pakistans kämpften darum, ihre fundamentalistischen religiösen Vorstellungen durchzusetzen, nur bedingt zu. Diese dienen der Durchsetzung ihrer nationalen Interessen ebenso, wie sie als Abgrenzung gegenüber dem Einfluß säkularer Regierungen gemeint sind, die ihre Eigenständigkeit nicht akzeptieren wollen. Vor allem entbehrt die Unterstellung, die Taliban hätten es darauf abgesehen, die Regierung in Islamabad zu stürzen und Kontrolle über die pakistanischen Atomwaffen zu erlangen, jeder faktischen Grundlage. Dazu sind sie weder militärisch noch politisch in der Lage, stehen ihre wenigen tausend Kämpfer doch einer schlagkräftigen und modern ausgerüsteten pakistanischen Armee gegenüber, während ihre Parteien niemals mehr als zehn Prozent der Wähler des Landes auf sich vereinigen können.

Der US-Regierung wie den anderen NATO-Staaten geht es nicht darum, die Menschen in den Paschtunengebieten von einer repressiven religiösen Orthodoxie zu befreien, sondern ihren geostrategischen Einfluß auf diese von zahlreichen, weit nach Zentralasien ausgreifenden Bruchlinien durchzogene Region geltend zu machen. Dies erfolgt in Pakistan mittels einer HighTech-Kriegführung, der seit September 2008 rund 700 Zivilisten zum Opfer gefallen sind. Wenn aus heiterem Himmel Raketen von ferngesteuerten Drohnen abgefeuert werden, die ganze Familien auslöschen, obwohl die Urheber dieser Angriffe mit Pakistan verbündet sind, dann braucht man sich über den destabilisierenden Effekt, den diese Attacken auf die gesamte Gesellschaft Pakistans haben, nicht zu wundern.

Mit der Ausweitung des Krieges, der sich bisher auf die direkt an der Grenze nach Afghanistan gelegenen Stammesgebiete unter Bundesverwaltung (Federally Administered Tribal Areas - FATA) beschränkte, auf die Region der wesentlich größeren Nordwestlichen Grenzprovinz erfüllt sich die von US-Präsident Barack Obama bereits im Wahlkampf angekündigte Einbeziehung Pakistans in die militärische Befriedung Afghanistans auf absehbare Weise. Der Einsatz der pakistanischen Streitkräfte gegen Teile der eigenen Bevölkerung setzt eine Entwicklung in Gang, an deren Ende sogar der Zerfall Pakistans in mehrerer Staaten stehen könnte. Die Fluchtbewegungen aus dem Swat-Tal sind Bestandteil dieser Kriegführung, will die Armee doch den Rückhalt zerstören, den ihre Gegner in der paschtunischen Bevölkerung besitzen. So treibt die mit einer großen Anzahl von Soldaten, mit Panzerartillerie und Kampfhubschraubern vorgetragene Offensive die Menschen in die Flucht, zudem hat das Militär sie direkt angewiesen, sich aus den Kampfgebieten zu entfernen, und den Druck auf die Bevölkerung durch Maßnahmen wie das Abstellen des Stroms oder die Einstellung anderer Versorgungsleistungen erhöht.

Für das Flüchtlingselend ist die Regierung in Islamabad daher ebenso verantwortlich wie die NATO-Staaten, die die Eskalation der Kämpfe mit der Besetzung Afghanistans, den Übergriffen auf pakistanisches Gebiet wie der Nötigung der Regierung in Islamabad, gegen die eigene Bevölkerung zu kämpfen, betreiben.

27. Mai 2009