Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1329: Bundesregierung drückt beim AWACS-Mandat auf die Tube (SB)



Wer Kriege gewinnen will - auch wenn er sie offiziell gar nicht führt - darf nicht zaudern. Nach dieser Maxime hat die Bundesregierung heute morgen die Teilnahme Deutschlands am geplanten Einsatz von AWACS-Aufklärungsflugzeugen der NATO in Afghanistan beschlossen, worauf der Bundestag bereits am Nachmittag in erster Lesung über das Mandat debattierte. Nach den bisherigen Planungen soll dann in der letzten Sitzung vor der Sommerpause Anfang Juli das Mandat endgültig beschlossen werden. Da eine breite Mehrheit als sicher gilt, ist ein parlamentarischer Stolperstein so gut wie ausgeschlossen, wovon man wohl auch für die Zeit nach der Bundestagswahl ausgehen kann. Garantieren kann das freilich niemand, und da die politische Führung überdies fürchten muß, daß die Bürger am Ende doch noch hellhörig werden und das deutsche Engagement am Hindukusch plötzlich kritisch sehen, bringt man die Sache lieber vor der Ferienzeit ruck, zuck und ohne Aufhebens über die Bühne.

Wie schnell die Gefechtslage eskalieren kann, belegt die vom Bundesverteidigungsministerium bestätigte Meldung, wonach deutsche Soldaten in Afghanistan in einem langandauernden Schußwechsel mit Aufständischen von US-amerikanischen Kampfflugzeugen unterstützt worden seien. Wer die Maschinen angefordert hat, war zunächst nicht zweifelsfrei geklärt. Nach Angaben des Ministeriums war es die afghanische Armee, welche der Bundeswehr nahe Kundus zur Hilfe gekommen war. Hingegen berichtete die "Financial Times Deutschland", die Bundeswehr habe erstmals amerikanische Unterstützung aus der Luft angefordert. Offenbar haben 200 Soldaten der Bundeswehr und der afghanischen Streitkräfte gegen Aufständische in unbekannter Zahl gekämpft, wobei sich das Gefecht über sechs Stunden hinzog und zwei afghanische Soldaten sowie fünf ihrer Gegner das Leben kostete.

US-amerikanische Luftangriffe werden mit Massakern assoziiert, die zu zahlreichen Opfern in der afghanischen Zivilbevölkerung geführt haben. Daher hat die Bundeswehr bislang tunlichst auf dieses Mittel der Kriegsführung verzichtet, da man die Farce, die deutschen Truppen unterstützten den Aufbau des Landes, so lange wie möglich aufrechterhalten möchte. Für die als "Aufständische" bezeichneten Gegner - von Widerstandskämpfern gegen ein Besatzungsregime zu sprechen, wäre hierzulande nicht opportun - dürfte die Gemengelage klar sein. Für die Bevölkerung vor Ort mag das jedoch nur bedingt gelten, und um so weniger Scharfsicht herrscht an der bundesdeutschen Heimatfront. Bombardieren die Amerikaner jedoch für die Bundeswehr afghanische Gehöfte und Dörfer, wozu es zwangsläufig kommt, ist die Katze endgültig aus dem Sack, hat das Ammenmärchen vom deutschen Soldaten als Friedenshelfer abgewirtschaftet.

Das weiß natürlich auch die Bundesregierung, weshalb sie dem erst vergangene Woche in Brüssel gefaßten Beschluß der NATO-Verteidigungsminister, drei bis vier der Aufklärungsflugzeuge nach Afghanistan zu schicken, in derart rasantem Tempo Folge leistet. Sollte es zu dem erwarteten blutigen Kriegssommer kommen, könnte die Stimmung in der deutschen Öffentlichkeit schon im Herbst umgeschlagen sein. In Leichensäcken heimkehrende Soldaten sind schlecht fürs Kriegsgeschäft und könnten nicht zuletzt die Frage ernsthaft aufs Tapet bringen, wozu die AWACS-Maschinen so dringend in der Region benötigt werden.

Diese können im Gegensatz zu den Tornado-Aufklärungsflugzeugen auch digitale Bilder in Echtzeit übertragen und Kampfeinsätze dirigieren. Um das zu verschleiern, fabulierte Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung beim Brüsseler Ministertreffen von Plänen für eine direkte Flugverbindung zwischen Frankfurt und Kabul, ehe er darauf zu sprechen kam, daß die Bundeswehr die Hälfte des Lufttransports für ISAF bewältigt und daher ein Interesse an zusätzlicher Flugsicherheit habe. Schließlich sei eine drei- bis fünffache Steigerung des Luftverkehrsaufkommens zu erwarten. Ins selbe Horn stieß NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer bei der Konferenz, als er argumentierte, daß der Luftraum über Afghanistan sehr dicht geworden sei und es keine flächendeckende Radarkontrolle am Boden gebe.

Da sich die Zahl der Bundesbürger, die den Komfort einer direkten Flugverbindung nach Kabul zu schätzen wissen, angesichts der Verhältnisse an diesem Zielort auf Jahre hinaus in Grenzen halten dürfte, entbehren die Täuschungsversuche des Verteidigungsministers nicht einer gewissen bitteren Ironie. Wer nicht gerade auf den Kopf gefallen ist, muß davon ausgehen, daß von einer gewaltigen Ausweitung des Krieges die Rede ist, wenn ein vervielfachtes Flugaufkommen angekündigt wird. Was zudem völlig ausgeblendet bleibt, ist der Krieg in Pakistan, den zu führen man die Luftaufklärung dringend benötigt. Die AWACS-Maschinen sollen voraussichtlich im türkischen Konya stationiert werden, wobei ihr enormer Beobachtungsradius die gesamte Region abdecken wird.

Bei der Bereitstellung der im nordrhein-westfälischen Geilenkirchen stationierten vierstrahligen AWACS-Flugzeuge sind die Deutschen in besonderem Maße gefragt, die etwa 40 Prozent des gesamten Personals stellen und rund 25 Prozent der Kosten von jährlich 100 Millionen Euro übernehmen. Bis zu 300 zusätzliche Soldaten werden dafür benötigt, deren Entsendung der Bundestag bewilligen muß. Erst im Oktober vergangenen Jahres hatte das Parlament die Obergrenze der deutschen Beteiligung an der Internationalen Schutztruppe ISAF um 1.000 auf 4.500 Mann angehoben, wobei gegenwärtig 3.600 Bundeswehrsoldaten am Hindukusch stationiert sind. Für die Aufklärungsmission wird jedoch nicht das alte Bundestagsmandat für den ISAF-Einsatz aufgestockt, sondern ein völlig neues Mandat geschaffen.

Daraus ergibt sich der für die Bundesregierung lästige Umstand, daß sie die Ausweitung des Einsatzes nicht kurzerhand verfügen, sondern durchs Parlament bringen muß. Auch wenn dort weit und breit keine Mehrheit gegen die vielerorts geführten Kriegs- und Okkupationseinsätze der Bundeswehr zu sehen ist, könnten die Bundesbürger doch auf die dumme Idee kommen, den sogenannten Volksvertretern diesbezüglich den Marsch zu blasen, um einmal dieses militaristische Wortspiel zu verwenden. Zwar sind die Abgeordneten ausschließlich ihrem Gewissen und vielleicht noch dem Fraktionszwang, doch keineswegs dem Wählerwillen verpflichtet, doch könnte es bei der bevorstehenden Bundestagswahl ja ausnahmsweise zu einer befristeten Kongruenz kommen, sofern die Deutschen keinen Krieg und die Politiker einen Sitz im Parlament haben wollen.

17. Juni 2009