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KRIEG/1356: Bundeswehr verschärft Kriegführung in Nordafghanistan (SB)



Erfolg auf ganzer Linie. Den Eindruck erweckt zumindest der Tenor der Meldungen über den Angriff einiger Kampfflugzeuge der NATO, die zwei Tanklastzüge bombardierten und dabei angeblich 56 Taliban töteten. Daß diese Meldung in deutschen Medien ganz oben auf der Liste der aktuellen Ereignisse steht, hat den einfachen Grund, daß die Fahrzeuge den afghanischen Besatzungsgegnern an einem vorgetäuschten Checkpoint in die Hände fielen, den die Taliban nur sieben Kilometer entfernt vom Feldlager des Regionalen Wiederaufbauteams (PRT) in Kunduz eingerichtet hatten.

Angefordert wurden die Kampfjets durch die Bundeswehr, die offensichtlich nicht riskieren wollte, den Taliban die für die deutschen Truppen bestimmten Tanklastzüge unter Einsatz von Bodentruppen wieder zu entreißen. Dem Wortlaut aktueller Nachrichtensendungen zufolge besitzt die Bundeswehr keine Hinweise darauf, daß bei dem im Auftrag der ISAF vollzogenen Luftangriff Zivilisten getötet wurden. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin wird im Deutschlandfunk mit den Worten zitiert, daß der Schutz von Zivilisten für die Bundeswehr oberste Priorität habe.

Das kann schon deshalb nicht stimmen, weil die deutsche Militärführung dann keinen Lufteinsatz geordert hätte. Dabei ist das Risiko, daß Unbeteiligte getroffen werden, stets größer als bei Einsätzen am Boden, bei denen die Soldaten sich ein genaueres Bild von der Lage machen können und nicht das Problem haben, in kurzer Frist über einen Angriff entscheiden zu müssen. Gegenüber dem ARD-Hörfunkstudio Südasien berichteten Augenzeugen, daß mehrere Bewohner des Dorfes Hadschi Amanullah, in dem der Angriff stattfand, dabeigewesen seien, sich Benzin aus den Tanklastzügen zu verschaffen, als der Luftangriff erfolgte. Während der Gouverneur der Provinz Kunduz, Mohammed Omar, behauptete, der Angriff sei zu einem Zeitpunkt erfolgt, als die Taliban dabei waren, Benzin an die Bevölkerung zu verteilen, berichtete die BBC, die Dorfbewohner hätten versucht, Benzin aus den Tanklastern zu stehlen. Ein Augenzeuge wiederum gibt an, daß die Taliban den Treibstoff mit den Dorfbewohnern geteilt hätten und dabei von den Kampfjets überrascht worden wären (Zeit Online, 04.09.2009).

Bei einer Zahl von 56 Todesopfern, die der Polizeichef von Kunduz, Abdul Rasak Jakubi nennt, ist keineswegs sicher, daß die Taliban den Konvoi in so großer Zahl eskortierten, daß nur ihre Kämpfer betroffen waren. Warum der Angriff nicht auf freier Strecke erfolgte, zumal die LKWs laut Angabe der Bundeswehr ständig von einer Drohne beobachtet wurden, sondern zu einem Zeitpunkt, an dem die Taliban sich in dem Dorf Hadschi Amanullah aufhielten, wo sich die Lastwagen, wie auch von den Taliban bestätigt (NZZ Online, 04.09.2009) in einem Fluß festgefahren haben sollen, ist eine Frage, mit deren Beantwortung sich die ISAF schwer tun wird. Wenn die LKWs nicht mehr weiterfahren konnten und die Kämpfer wie die Bewohner des Ortes versuchten, sich von deren Fracht so viel wie möglich zu sichern, dann liefe dieser Angriff auf ein gezieltes Massaker hinaus. Schließlich hätte in einem solchen Fall erst recht die Möglichkeit bestanden, die Fahrzeuge mit Bodentruppen zurückzuerobern. Die Strategie, die Besatzungsgegner nicht mit dem Treibstoff entkommen zu lassen, sondern die Tanklastzüge zu zerstören, spricht dafür, daß die gängige Methode der Aufstandsbekämpfung, dem Gegner und damit auch der Bevölkerung die Lebensgrundlagen zu entziehen, auch im Gebiet der Bundeswehr zu den regulären Mitteln der Kriegführung gehört. Daß die Bevölkerung eines Landes, in dem gut ein Drittel der Menschen hungert, in einem solchen Fall Beute macht, ist ihr wohl kaum zu verdenken.

Des weiteren ist nicht auszuschließen, daß die Anforderung der NATO-Kampfjets in Reaktion auf die zunehmenden Angriffe erfolgte, denen die Bundeswehr ausgesetzt ist, seitdem eine wichtige Versorgungsroute der Besatzungstruppen durch die von ihr kontrollierte Region in Nordafghanistan führt. Sie hat damit die wichtige Aufgabe übernommen, den Nachschub für die Kampftruppen der ISAF und OEF im Süden des Landes, der auf der über Pakistan verlaufenden Route immer häufiger von den Taliban angegriffen wird, sicherzustellen.

Kunduz war schon während der Eroberung des Landes eine Hochburg der Taliban und hat sich den Invasoren erst gegen Ende des Krieges ergeben. Heute ist die Stadt mitten im Gebiet des deutschen Besatzungskontingents erneut Ausgangspunkt von Angriffen der Taliban. Dieser Sachverhalt wird von Welt-Online (04.09.2009) mit der Überschrift "Taliban ziehen Bundeswehr in ihren Terror-Krieg" kommentiert. In einer grotesken Verkehrung der Tatsache, daß die Bundeswehr in Afghanistan als Besatzungsmacht auftritt, um eine von den Eroberern des Landes verfügte Ordnung durchzusetzen, werden die deutschen Soldaten als bloße Beobachter dargestellt, die nichts dafür können, wenn sie in Kampfhandlungen verwickelt werden. Da es jedoch ein Bundeswehroffizier war, der den Luftangriff anforderte, ist die Frage, wer hier wen terrorisiert, nicht damit zu beantworten, das deutsche Militär auf bekannte, ihren Kriegseinsatz per se leugnende Weise von Schuld freizusprechen.

4. September 2009