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KRIEG/1394: Israel läßt Verbündete nach seiner Pfeife tanzen (SB)



Erinnern wir uns: Im Zuge der Operation "Gegossenes Blei", mit der die israelische Armee den Gazastreifen zwischen dem 27. Dezember 2008 und dem 18. Januar 2009 heimsuchte, wurden rund 1.400 Palästinenser getötet, mindestens 5.000 verletzt sowie etwa 21.000 Häuser oder Einrichtungen der Infrastruktur zerstört. Es handelte sich dabei um keinen Krieg, sondern ein Massaker, mit dem Israel den Palästinensern mit größtmöglicher Brutalität vor Augen führte, daß Widerstand zwecklos sei. Zugleich setzte die israelische Führung vor aller Welt neue Maßstäbe der Vernichtungsgewalt, welche die Schwelle dessen, was die sogenannte internationale Staatengemeinschaft zu akzeptieren bereit ist, drastisch senkte.

Wenngleich der Staat Israel Zeit seiner Existenz nie einen Zweifel daran gelassen hat, daß er im Namen seiner nationalen Sicherheit zum Äußersten bereit ist und sich in Verfolgung seiner Interessen niemals einer anderen Instanz beugt, steht diese uneingeschränkte Suprematie doch in fundamentalem Widerspruch zu dem Umstand, daß die Lebensfähigkeit dieses Staatswesens in hohem Maße von der Alimentierung durch die Vereinigten Staaten und europäischen Mächte abhängt. Daß aus dieser Abhängigkeit nicht ein bloßes Vasallentum resultiert, sondern im Gegenteil nicht selten der Eindruck entsteht, Israel zwinge seinen mächtigen Verbündeten den Kurs auf, bedarf einer unablässig vorgetragenen Aggressivität an allen Fronten, die kritische Regungen identifiziert und sanktioniert.

Wollte man die Greuel im Gazastreifen auf einen einfachen, aber nicht unzutreffenden Begriff bringen, der sich mit dem Gesamtkomplex israelischer Regierungspolitik zur Deckung bringen läßt, so handelt es sich dabei um eine Doktrin absoluter Stärke, die Furcht in den Herzen aller potentiellen Gegner sät. Die fundamentale Botschaft, daß Israel jederzeit zur präventiven Anwendung überwältigender Gewalt bereit und fähig sei, muß nicht nur implementiert, sondern immer wieder erneuert und vertieft werden, im ihre Wirkung nicht einzubüßen. Vor diesem Hintergrund erweist sich die politisch äußerst riskante Strategie des Wütens im Gazastreifen als unverzichtbares Vabanquespiel, das nicht zuletzt die Verbündeten zwingen soll, alle Greuel mitzuverantworten und zu rechtfertigen.

Daß die frühere Außenministerin Tzipi Livni nicht nach London gereist ist, da sie vor einem unter dem Vorwurf begangener Kriegsverbrechen heimlich erwirkten Haftbefehl gewarnt worden war, unterstreicht, wie brüchig der Konsens bedingungsloser Unterstützung israelischer Regierungspolitik ist. Die harsche Protestnote an die Adresse der britischen Regierung, die im Befehlston aufgefordert wurde, diese nicht hinzunehmende juristische Praxis sofort abzuschaffen, zeugt von einem unerschütterlichen Selbstverständnis der Führung Israels, der Welt ihre Bedingungen zu diktieren. Außenminister David Miliband schritt umgehend zur Tat und kündigte an, daß man in seinem Land juristische Schritte gegen hochrangige Staatsbürger Israels unter Berufung auf eine universale Rechtsprechung nicht mehr dulden werde.

Aufschlußreich war Milibands unverhohlene Begründung: Israel sei ein strategischer Partner und enger Freund des Vereinigten Königreichs, erklärte der Außenminister. Die britische Regierung sei entschlossen, diese Verbindungen zu schützen und auszubauen. Israelische Führungspersönlichkeiten müßten wie alle anderen Staatsführer die Möglichkeit haben, Britannien zu besuchen und mit der britischen Regierung in einen Dialog zu treten. Mit dieser Argumentation wird nicht nur die Frage möglicher Kriegsverbrechen für irrelevant erklärt, sondern grundsätzlich die Bedeutung überstaatlicher Rechtsprinzipien bestritten. Menschenrechte sind nur dort von Interesse, wo sie sich in den Dienst der eigenen Herrschaftssicherung stellen lassen.

Britische Richter hatten zuvor in einer Reihe von Fällen Gesuche zur Festnahme israelischer Politiker oder Militärs angenommen. Während Ehud Barak als Regierungsmitglied Immunität für sich reklamieren konnte, zogen es viele Generäle vor, sicherheitshalber gar nicht erst nach Britannien zu reisen. Da Tzipi Livni als Oppositionsführerin keine Immunität genießt, verhinderte nur die Warnung ihre Festnahme in London und damit einen Eklat, der das Massaker im Gazastreifen noch einmal in den Fokus der Medien gerückt hätte.

Im Jahr 2001 waren in Belgien Haftbefehle gegen den früheren Premierminister Ariel Sharon, den ehemaligen Generalstabschef Raphael Eitan und den vormaligen Chef des IDF-Nordkommandos, Amos Yaron, wegen ihrer Rolle beim Massaker in Sabra und Shatila von 1982 ausgestellt worden. Im September 2005 drohte dem früheren Chef des IDF-Südkommandos, Doron Almog, in Britannien Festnahme wegen des Befehls zu Zerstörung von 59 palästinensischen Häusern. Almog wurde im letzten Augenblick gewarnt und blieb nach der Landung zwei Stunden im Flugzeug sitzen, bis dieses wieder nach Israel zurückflog.

In Spanien wurden Haftbefehle gegen sieben Israelis ausgestellt, die an der Bombardierung eines Gebäudes in Gaza-Stadt beteiligt gewesen sein sollen, bei der im Juli 2002 der militärische Führer der Hamas, Salah Shehadeh, sowie vierzehn Zivilisten getötet wurden, darunter seine Frau und mehrere Kinder. Unter den Beschuldigten befanden sich Vizepremier Moshe Ya'alon und der frühere Verteidigungsminister Benjamin Ben-Eliezer. (www.wsws.org 16.12.09)

Da es an Gründen nicht mangelt, führende israelische Politiker und Militärs unter dem Vorwurf begangener Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft zu ziehen, ist die Regierung Benjamin Netanjahus bestrebt, die Möglichkeit einer Festnahme israelischer Staatsbürger unter Berufung auf die Genfer Konventionen oder andere internationale Gesetze ein für allemal auszuschließen. Bei seinen Verbündeten rennt er damit offene Türen ein, müßten doch andernfalls womöglich auch George W. Bush oder Barack Obama, Tony Blair oder Gordon Brown, Angela Merkel oder Frank-Walter Steinmeier fürchten, eines Tages bei irgendeinem Staatsbesuch noch auf dem Rollfeld wegen mutmaßlicher Beteiligung an Kriegsverbrechen festgenommen zu werden.

18. Dezember 2009