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KRIEG/1403: Afghanistandebatte krankt an ausgeklammertem Eigeninteresse (SB)



Die von der SPD angestoßene Debatte um einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zwischen 2013 und 2015 ist ein parteipolitisches Manöver, das dem Problem dieses Krieges nicht gerechter wird als die Haltung ausgemachter Bellizisten, die ihn mit einer Aufstockung der deutschen Besatzungstruppen weiter befeuern wollen. Wie man mit Abzugsperspektiven Stimmung machen kann, hat zuletzt US-Präsident Barack Obama im Irak vorgemacht. Dort bleibt der Status quo der Okkupation durch die Anwesenheit einer US-Garnison erhalten, deren Abzug regelmäßig weiter hinausgeschoben wird, während man versucht, die Unterdrückung der Besatzungs- und Regierungsgegner den irakischen Truppen und Sicherheitskräften zu übertragen. Entscheidend ist die Durchsetzung des neokolonialistischen Interesses, ein ressourcenstrategisch wichtiges Land dauerhaft unter Kontrolle zu halten und für alle damit verbundenen Verluste nach Möglichkeit andere verantwortlich zu machen.

Dies wird in Afghanistan ebensowenig wie im Irak gelingen. Die Besatzungsgegner haben letztlich immer den längeren Atem. Sie sind gerade aufgrund des geringen materiellen und logistischen Aufwands, den sie als Guerilla betreiben, auf langfristiges Durchhalten ausgerichtet. Während die Besatzer jeden Tag, den sie in Afghanistan bleiben, mit immensen finanziellen Aufwendungen und logistischen Leistungen, mit dem Leben von Soldaten und intensiver Überzeugungsarbeit im eigenen Land bezahlen, bleiben die Taliban und andere Gruppen des Widerstands lediglich dort, wo sie immer waren, und setzen auf die Abnutzung des materiellen und moralischen Durchhaltevermögens der NATO.

Insofern ist das Argument derjenigen, die sich aus strategischer Sicht gegen die Festlegung auf einen Abzugstermin wenden, nicht von der Hand zu weisen. Das Interesse der SPD, als Oppositionspartei der mehrheitlichen Ablehnung dieses Krieges durch die Bundesbürger zu entsprechen, sich dabei aber nicht mit dem Gesinnungsverdacht einer prinzipiellen Kriegsgegnerschaft oder Ablehnung der NATO zu kontaminieren, um von der eigenen Beteiligung am Zustandekommen dieses Besatzungsregimes ganz zu schweigen, ist in seiner inhaltlichen Logik dementsprechend gebrochen.

So hält die SPD unvermindert an der Doktrin der Besatzer, von einer legitimen Regierung eingeladen zu sein und diese vor sogenannten Aufständischen zu schützen, fest. Sie spricht damit einem wachsenden Teil der afghanischen Bevölkerung, die sich die Taliban-Herrschaft nicht zurückwünschen müssen, um die Besatzungsgegner als Kraft für die Unabhängigkeit des Landes befristet zu unterstützen, die Partizipation am politischen Prozeß ab. Solange die NATO die eigenen Interessen durch die von ihr ausgewählten Statthalter in Kabul und anderswo durchsetzen will, ist sie Partei und nicht, wie behauptet, eine Schutzmacht, die das Selbstbestimmungsrecht der Afghanen sichern soll. Daß dies überhaupt noch Ziel der Afghanistanpolitik ist, wird ohnehin von immer mehr führenden Politikern der NATO-Staaten dementiert. Man erkennt dort immer offener an, daß man sich in einem neokolonialistischen Krieg befindet, in dem es wesentlich um die Durchsetzung eigener Hegemonial- und Ressourceninteressen in Zentral- und Südasien geht.

Es ist daher auch irreführend, wenn NATO-Regierungen darüber debattieren, ob man mit sogenannten gemäßigten Taliban verhandeln sollte. Zum einen ist dies lediglich eine Chiffre für Kräfte im afghanischen Widerstand, die man auf die eigene Seite zu ziehen gedenkt, zum andern ist die NATO aus der Sicht der Afghanen gar nicht gefragt, über ihre politischen Verhältnisse zu befinden. Die von der NATO eingesetzte, bei der letzten Präsidentschaftswahl vollends diskreditierte Regierung unter Präsident Hamid Karzai ist ebensowenig die Instanz, die darüber befindet, wer sich in Afghanistan bei einem Prozeß der nationalen Einigung an einen Tisch setzte, als es die Botschafter und Regierungen der NATO-Staaten sind.

Um das Schicksal der Afghanen wieder in ihre eigenen Hände zu legen, bedarf es einer Zurückhaltung seitens äußerer Kräfte, an der es den Besatzern der NATO bisher völlig mangelte. Sie entscheiden aus eigennützigen Gründen darüber, wer in einem wie auch immer - ob als Loya Jirga, ob als verfassungsgebender Prozeß mit anschließender demokratischer Wahl, ob durch Mediation islamischer Staaten -, gearteten Prozeß die künftige Regierung des Landes bilden wird. Ein solcher Übergang wäre nur mit einer so kurzfristigen wie verbindlichen Abzugsplanung der NATO zu verwirklichen, da die Anwesenheit parteilicher Truppen das Vorhaben von vorneherein torpedierte. So wurde schon häufiger der Vorschlag unterbreitet, die NATO-Truppen in einem ersten Schritt durch Truppen aus islamischen Staaten abzulösen. Selbst wenn man damit vom Regen in die Traufe käme, zeigt schon die Tatsache, daß über eine solche Möglichkeit hierzulande nicht debattiert wird, wie groß das Eigeninteresse der NATO, die weitere Entwicklung des Landes zu bestimmen ist. So will man den Einfluß von Staaten wie Pakistan und Iran auf Afghanistan aus Gründen begrenzen, die mit der Zukunft seiner Bevölkerung nichts, aber mit den geostrategischen Interessen der NATO alles zu tun haben.

Ebenfalls ausgeblendet aus der öffentlichen Debatte wird der Zusammenhang zwischen Afghanistankrieg und der Militarisierung westlicher Außenpolitik. Für die strategischen Planer in Washington, London, Paris, Berlin und Brüssel ist Afghanistan ein Experimentierfeld, das maßgeblichen Einfluß auf die konzeptionelle Planung und operative Durchführung künftiger Militärinterventionen in aller Welt haben wird. Der Afghanistankrieg ist kein, wie US-Präsident Obama behauptet, "Krieg aus Notwendigkeit", in dem westlichen Regierungen durch Sachzwänge ein von ihnen nicht erwünschter Militäreinsatz aufoktroyiert wird, sondern eine voluntaristische Aggression, mit der das eigene Vormachtstreben legitimiert, erprobt und ausgebaut werden soll. Dies läßt sich ohne weiteres anhand der Zielsetzungen, die den diversen strategischen Doktrinen der NATO, EU, USA und anderer nationaler Regierungen zu entnehmen sind, nachweisen.

Die in der Bundesrepublik geführte Strategiedebatte krankt daran, daß nicht alle möglichen Optionen gleichwertig erwogen oder überhaupt nur einbezogen werden. Die einhellige Zustimmung der vier die Besetzung des Landes tragenden Bundestagsfraktionen hat zwar insbesondere durch den Bombenangriff auf die Tanklaster bei Kunduz Schaden genommen, doch hat das nicht dazu ausgereicht, die Rolle der Bundesrepublik als expansiver Akteur im Rahmen der NATO in Frage zu stellen. Ohne die Einbeziehung der Kritik an der Militarisierung der deutschen Außenpolitik wird es zu keiner ergebnisoffenen Diskussion über diesen Krieg kommen.

23. Januar 2010