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KRIEG/1505: Gelöbnis - Zivilgesellschaft auf die Bundeswehr eingeschworen (SB)



Die Bundeswehr hat ein Problem. Sie ist derzeit - was die wenigsten wissen dürften - mit knapp 7.000 Soldaten an zehn Auslandsmissionen beteiligt, und das soll noch längst nicht das Ende der schwarz-rot-gold beflaggten Fahnenstange sein. In Afrika, so hörte man jüngst im Kontext der Kanzlerinreise, müsse sich Deutschland künftig verstärkt militärisch engagieren, um Genozide und andere Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Vom Ressourcenraub war nur ganz beiläufig die Rede, indem man die Chinesen bezichtigte, sich dort alles unter den Nagel zu reißen und daran noch nicht einmal politische Forderungen zu knüpfen. Schämen braucht man sich solcher Themen in der Nachköhlerzeit aber nicht, da der Bundesbürger inzwischen versteht, daß sein voller Teller (Hartz IV natürlich ausgenommen) nicht von ungefähr kommt. Feindliche Taliban, Piraten, Albaner respektive Serben oder Afrikaner im allgemeinen sind jedoch nicht das vordringlichste Problem der deutschen Streitkräfte.

Die Wehrpflicht ist seit dem 1. Juli ausgesetzt. Drei Tage später rückten die ersten 3400 Freiwilligen zum Wehrdienst nach neuem Muster in die Kasernen ein. Rund 4800 hatten ihren Dienst bereits im ersten Halbjahr 2011 noch zu den alten Konditionen angetreten. Zudem verlängerten rund 5700 Wehrpflichtige ihren eigentlich sechsmonatigen Dienst, womit die Bundeswehr über fast 14.000 Frauen und Männer in Uniform verfügt. Zumindest theoretisch, denn inzwischen haben die ersten Rekruten den Dienst schon wieder quittiert. Nachdem der NDR gemeldet hatte, an einigen Standorten in Schleswig-Holstein und Bremen seien bis zu 20 Prozent der Freiwilligen wieder ausgeschieden, bestätigte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums entsprechende Berichte, ohne Zahlen zu nennen. [1]

Die bislang bekannten Zahlen lägen "absolut im Bereich des Normalen", wobei ein Trend ohnehin frühestens im Oktober feststellbar sei, wiegelte das Ministerium ab. Einige Neuzugänge seien mit gesundheitlichen Problemen oder falschen Vorstellungen gekommen, andere hätten unterdessen einen Ausbildungsplatz gefunden. Für die Freiwilligen gelte eben eine sechsmonatige Probezeit, in der beide Seiten ohne Angabe von Gründen kündigen können. Daß nach dem Ende der Wehrpflicht, die ein halbes Jahrhundert lang für steten Rekrutennachschub gesorgt hatte, Nachwuchssorgen drohen könnten, weiß man nicht erst seit gestern. Da bislang nur ein Bruchteil des Gesamtkontingents aus freiwilligen Neuzugängen besteht, kann man jedoch vorerst allenfalls spekulieren, wohin der Hase laufen wird.

Dessen Kurs wollen politische und militärische Führung keinesfalls der Unwägbarkeit des Zufalls überlassen, denn wie sie am Beispiel anderer Berufsarmeen studieren konnten, kommt der Nachschub an Soldatenmaterial nicht von selbst. Damit sind wir beim eigentlichen Problem der Bundeswehr nach Ende der Wehrpflicht, dem abzuhelfen sich auch das Staatsoberhaupt nicht zu schade ist. Auf seiner Festrede zum öffentlichen Gelöbnis von 470 freiwillig Wehrdienstleistenden in Berlin, die zu den ersten Soldatinnen und Soldaten des neuen Dienstes gehören, legte sich Bundespräsident Christian Wulff als Werber ins Zeug, um gewissermaßen von höchster Stelle die Parole auszugeben.

Die "Freiwilligkeit darf nicht zu Gleichgültigkeit in der Gesellschaft führen. Hier mache ich mir durchaus Sorgen, die hoffentlich unberechtigt sind", übte sich Wulff im Spagat zwischen Warnung und Beschwichtigung. Er sei überzeugt, daß der "Geist der Bundeswehr" mit Aussetzung der Wehrpflicht nicht verändert werde, mahne aber zugleich, daß sich auch der Geist, in dem die Bürger der Bundeswehr gegenüberträten, nicht ändern dürfe. Die Bundeswehr gehöre "in unsere Mitte, in unsere Schulen und Hochschulen, und auf öffentliche Plätze". [2] Damit gab das Staatsoberhaupt seinen expliziten Segen zum Kampf der Militärs um die deutsche Jugend, der von Kindesbeinen an im Kanon der Fächer - wir lernen nicht für die Schule, sondern fürs Leben - die Vorzüge des Berufssoldatentums eingetrichtert werden soll, wie das in Kollaboration der Kultusministerien und Schulbehörden mit der Bundeswehr bereits vielerorts geschieht.

"Ihre Freiwilligkeit darf nicht zu Gleichgültigkeit in der Gesellschaft führen", mahnte Wulff mit Blick auf das Ende der Wehrpflicht. "Wir müssen Anteil nehmen an Ihren Leistungen, an Ihren Ängsten, an Ihren Zweifeln. Öffentliche Debatten führen über Einsätze der Bundeswehr. Und uns mehr kümmern - gerade um die, die in ihrem Einsatz innerlich oder äußerlich verwundet wurden." Die Verlagerung der Debatte auf den schweren und verantwortungsvollen Dienst deutscher Soldaten, der am Hindukusch, Horn von Afrika und wer weiß wo noch von perfiden Einheimischen konterkariert wird, hat Methode. Er macht die Menschen vor den Läufen der Sturmgewehre und den Rohren der Panzerhaubitzen vergessen, die wahlweise sortiert nach Zivilisten und Terroristen so oder so irrelevant sind, wo sich der geostrategische Impetus Bahn bricht.

Mit der Zeremonie in der Nähe des Bundestages, so hieß es, wolle die Bundeswehr ihr Bekenntnis als Armee in der Demokratie ablegen. Zugleich fand das öffentliche Gelöbnis am 67. Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Hitler statt, womit sich die deutschen Streitkräfte bewußt in die Tradition des Kreises um Claus Schenk Graf von Stauffenberg stellten, der am 20. Juli 1944 gemeinsam mit einer kleinen Gruppe von Verschwörern versucht hatte, Adolf Hitler zu töten. "Andere mögen der Auffassung sein, dass der Parlamentsvorbehalt unsere außenpolitische Handlungsfähigkeit einschränkt. Für mich ist es der eindrucksvolle Beweis dafür, dass unsere Bundeswehr im Auftrag des deutschen Volkes handelt", [3] bekräftigte der Bundespräsident die formale Entscheidungsgewalt des Parlaments über alle bewaffneten Auslandseinsätze der Bundeswehr.

Der Kunstgriff der deutschen Wiederbewaffnung nach dem Zweiten Weltkrieg, die Bundeswehr als parlamentarisch mandatierte und mithin demokratische Armee zu legitimieren, die so gar nichts mit der Wehrmacht im nationalsozialistischen Deutschland zu tun habe, findet seine zeitgenössische Fortsetzung und Innovation. Längst von der Verteidigungsarmee zur Angriffstruppe mutiert, mischt sie heute im globalen Ringen um Herrschaftssicherung und Ressourcen in vorderster Front mit, ohne daß dies Invasion und Okkupation genannt würde. Wie der Dienst in der Freiwilligenarmee eine innere Überzeugung voraussetze, müsse die Bevölkerung diese Streitmacht als unverzichtbaren Bestandteil der Gesellschaft begreifen und gutheißen, forderte Verteidigungsminister Thomas de Maizière. Er brachte die Formel mit der trockenen Schärfe des Administrators bis ins Mark auf den Punkt: "Ohne die demokratische Gesellschaft kann die Bundeswehr wenig ausrichten. Aber umgekehrt gilt auch: Ohne die Bundeswehr kann der demokratische Staat nicht bestehen." Beide seien aufeinander angewiesen.

Nun, da die Bundeswehr nicht länger die Schule der Nation, sondern eine Berufsarmee ist, gilt es um so mehr den Verdacht im Keim zu ersticken, daß diese Truppe Interessen dient, die am Ende doch nicht die der Mehrheitsbevölkerung sind. Gleich ob es um Nachwuchs an Rekruten oder die Ausweitung der Kriegsführung in fernen Weltregionen geht, die Stoßrichtung ist nach dieser Lesart dieselbe: Nicht die Bundeswehr ist das Problem, sondern eine Gesellschaft, die ihr gleichgültig oder gar ablehnend gegenüberstehen könnte. Das Berliner Gelöbnis, so scheint es, war nur der Form nach ein Treueeid frisch rekrutierter Berufssoldaten auf die Armee - de facto wurde die Zivilgesellschaft auf die Bundeswehr eingeschworen.

Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,775611,00.html

[2] http://www.stern.de/politik/deutschland/erstes-freiwilligen-geloebnis-wulff-warnt-vor-gleichgueltigkeit-gegenueber-bundeswehr-1708279.html

[3] http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/berlin-erstmals-nur-freiwillige-rekruten-bei-geloebnis_aid_647819.html

21. Juli 2011