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KRIEG/1550: Iraker abschlachten - Zwischen Kavaliersdelikt und Heldentat (SB)



Die gängige Praxis der Vereinigten Staaten, bei Stationierung und Einsatz ihrer Streitkräfte weltweit Immunität vor Strafverfolgung durch ausländische Gerichte zu erzwingen, hat stichhaltige Gründe. Einer von zahllosen ist das Massaker im irakischen Haditha, 200 Kilometer vor Bagdad. Dort zerstörte am Morgen des 19. November 2005 ein am Straßenrand versteckter Sprengsatz ein Fahrzeug aus einem US-amerikanischen Militärkonvoi und tötete den Soldaten Miguel Terrazas. Daraufhin gab US-Marines-Oberfeldwebel Frank Wuterich als Patrouillenführer unter der Parole "erst schießen, dann fragen" grünes Licht für einen Rachezug. Zunächst erschossen die Soldaten aus einem Fahrzeug heraus fünf unbewaffnete Männer, die sich zufällig im nahen Umfeld aufhielten. Anschließend zogen sie drei Stunden lang von Haus zu Haus und töteten 19 Bewohner, darunter elf Frauen und Kinder zwischen drei und 15 Jahren sowie einen 76 Jahre alten Greis im Rollstuhl. Versuche, Zivilisten von Aufständischen zu unterscheiden, unterblieben. Die meisten Opfer wurden aus nächster Nähe abgeschlachtet. [1]

Wie immer in solchen Fällen versuchten die Soldaten, das Massaker zu vertuschen. Der Patrouillenführer gab gegenüber Vorgesetzten an, 15 Iraker seien bei einer Bombenexplosion gestorben, die übrigen bei Schießereien mit Aufständischen. Seine Einheit habe sich im Rahmen der Einsatzregeln bewegt. Die Militärführung schloß sich dieser Version mit der Behauptung an, die Soldaten hätten in Notwehr Aufständische erschossen. Ein von irakischen Menschenrechtsorganisationen dem Magazin Time zugespieltes Video, zufällig aufgenommen von einer US-Aufklärungsdrohne, und die Aussagen eines neun Jahre alten Mädchens, das überlebt hatte, brachten 2006 die Untersuchung ins Rollen. Nach diversen "Ermittlungspannen" klagten Militärstaatsanwälte Wuterich und sieben andere beteiligte Soldaten der fahrlässigen Tötung an.

Ursprünglich wurden vier Marineinfanteristen wegen direkter Beteiligung und vier wegen versuchter Behinderung der anschließenden Ermittlungen beschuldigt. Ein Verfahren endete mit einem Freispruch, in sechs Fällen wurden die Anklagen fallengelassen, darunter auch jene gegen den verantwortlichen Oberstleutnant Jeffrey Chessani. Nun hat ein Militärrichter in Kalifornien entschieden, daß mit Frank Wuterich auch der letzte der acht angeklagten Soldaten so gut wie straffrei davonkommt. Aufgrund einer Absprache mit der Anklage nach dem Schuldeingeständnis einer Pflichtverletzung wurde er lediglich einen Dienstgrad zurückgestuft, doch bleiben ihm selbst Gehaltseinbußen erspart. Wuterich wurde zu 90 Tagen Haft verurteilt, muß aber nicht ins Gefängnis. Das Gericht führte dafür als mildernden Umstand seine Situation als alleinerziehender Vater an. [2]

So blieb ein Massaker, das als eines der schwersten bekanntgewordenen Kriegsverbrechen der US-Armee im Irak bezeichnet und von US-amerikanischen Medien frühzeitig mit jenem von My Lai im Vietnamkrieg verglichen wurde, wo 1968 US-Soldaten 500 Menschen erschossen und erschlagen hatten, folgenlos für die Täter. Aus einem dreistündigen Abschlachten wehrloser Zivilisten, das unmöglich damit erklärt werden kann, man habe im Angesicht des Feindes potentiell tödliches Zögern verhindern wollen - so Wuterich im Prozeß - wurde ein Blankoschein für künftige Greueltaten, den sich die US-Militärs selbst ausgestellt haben.

Schon die bisherigen Entscheidungen zum Haditha-Massaker hatten in der irakischen Bevölkerung Empörung ausgelöst. Irakische Stellen sprachen von einer "Verhöhnung der Opfer und einer Pervertierung des Rechts". Chalid Salman, Gemeinderat in Haditha und Opferanwalt, bezeichnete das jüngste Urteil als einen "Angriff auf die Menschlichkeit". Er habe erwartet, daß Wuterich sein Verbrechen gestehen und die amerikanische Justiz den Angeklagten zu lebenslanger Haft verurteilen würde, sagte der Überlebende Awis Fahmi Hussein. "Damit hätten sich die USA als demokratisch und fair erweisen können." [3]

Menschenrechtsorganisationen sprechen von einem skandalösen Urteil. "Das trägt maßgeblich zu der Überzeugung vieler Menschen im arabischen Raum bei, wonach das amerikanische Militär seine Truppen selbst bei gröbsten Verbrechen nicht zur Rechenschaft zieht", sagte die Direktorin von Human Rights Watch, Sarah Leah Whitson. Warum auch, könnte man hinzufügen, verschleiert doch der Diskurs über Kriegsverbrechen und deren juristische Konsequenzen weithin die Erkenntnis, daß alle Macht aus überlegener Waffengewalt resultiert, mag sich die Einflußnahme auch politisch, ökonomisch oder juristisch gebärden. Da einem rasch alle angemessenen Worte ausgehen, neigt man allenthalben dazu, besonders hervorstechende Greueltaten in einem moralischen und rechtlichen Raster mit einer vorgeblichen Normalität oder gar Rechtfertigung des Angriffskrieges zu kontrastieren, als seien sie nicht gewollte und zwangsläufige Folgen desselben.

Was die Soldaten der Invasionsmächte im Irak vorhatten, bringen die Anfang des Jahres in den USA erschienenen Menoiren "American Sniper" eines Scharfschützen auf den Punkt. Chris Kyle wurde mit Orden überhäuft und als amerikanischer Held gefeiert, hat er doch aus dem Hinterhalt vermutlich mehr Menschen getötet als jeder andere Soldat in diesem Krieg. 160 offiziell bestätigte Opfer gehen auf sein Konto, unter der Hand schätzt man seine mörderische Bilanz auf über 250 erschossene Iraker. Gewissenskonflikte kennt er keine, ganz im Gegenteil: Er habe sich so großartig gefühlt, daß er nicht genug davon bekommen konnte. "Man tut es wieder. Und wieder. Und wieder", schreibt er. "So lange, bis es niemanden mehr zum Töten gibt." "Ich habe es geliebt", schwärmt er. "Es hat Spaß gemacht. Ich habe im Irak die beste Zeit meines Lebens gehabt." [4]

"Sie war vom Bösen geblendet", urteilt er über sein erstes Opfer. In der Schlacht von Ramadi tötete er später allein in den ersten zwölf Stunden zwei Dutzend Iraker. "Es war eine zielreiche Umgebung", erinnert er sich. Einer nach dem anderen seien sie auf die Straße gestürmt, genau ins Fadenkreuz seines Präzisionsgewehrs. "Ich habe abgedrückt. Sie sind umgefallen. Und so ging das immer weiter." Die Aufständischen setzten 80.000 Dollar auf seinen Kopf aus, was ihn ebenso stolz macht wie sein Kriegsname "Teufel von Ramadi". Wer die Guten und wer die Bösen waren, wußte er genau: Die Aufständischen waren für ihn fanatisierte "Unmenschen", die er "umlegen" mußte, "bevor sie unsere Jungs erwischen".

Was Frank Wuterich und Chris Kyle unterscheidet, ist lediglich der Umstand, daß das Massaker von Haditha ausnahmsweise seinen Weg in die Medien fand und dort Wellen schlug. So wurde dem einen ein Kavaliersdelikt attestiert, der andere heroisiert. Sind die beiden dämonische Charakteure, tiefschwarze Schafe in einem ansonsten besonnenen Kriegshandwerk? Sind sie aus dem Ruder gelaufene Psychopathen, die ihren Auftrag mißverstanden und maßlos überzogen haben? Man kann den 3.500 Seiten starken Untersuchungsbericht des Militärs über Haditha studieren oder sich die 528 Seiten "American Sniper" antun. Auch wenn sich einem in beiden Fällen der Magen umdrehen dürfte, wird man darin doch nichts finden, was nicht hundert- oder tausendfach so oder ähnlich im Irak geschah, auch wenn es im Einzelfall vielleicht weniger spektakuläre Ausmaße annahm oder schlichtweg nur nicht von Quellen bezeugt wurde, die man westlicherseits als menschliche durchgehen ließe. Iraker zählen offensichtlich nicht dazu, da man sie andernfalls nicht mit dem Angriffskrieg und Besatzungsregime überzogen hätte.

Fußnoten:

[1] http://www.derwesten.de/panorama/mildes-urteil-nach-massaker-im-irak-loest-empoerung-aus-id6281692.html

[2] http://www.handelsblatt.com/politik/international/us-militaergericht-keine-gefaengnisstrafe-nach-haditha-massaker/6111180.html

[3] http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-01/usa-irak-urteil-haditha

[4] http://www.fr-online.de/politik/us-soldat-im-irak-krieg--die-beste-zeit-meines-lebens-,1472596,11439064.html

25. Januar 2012