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KRIEG/1566: Bernard-Henri Lévy - Prototyp kriegslüsterner Karrieristen (SB)




Wäre das nicht ein Staat, in dem zu leben die Mehrheit der Menschheit träumte? Man stelle sich vor: Bildung und medizinische Behandlung sind kostenlos, Strom ist spottbillig und ein Kredit ausgesprochen günstig zu haben. Die Regierung sieht vor, daß jedem Bewohner sein Heim gehören sollte und unterstützt junge Familien auf vielerlei Art. Der Preis für Benzin höchster Qualität beträgt aufgerundet 0,09 Euro, für Diesel sogar nur 0,04 Euro. Wer sich der Landwirtschaft widmen will, erhält kostenlos Ackerland, Bauernhaus, Geräte, Saatgut und Vieh. Der amtierende Präsident versucht des öfteren, die Bevölkerung unmittelbar an den Erlösen aus dem florierenden Ölkauf teilhaben zu lassen, was nur deshalb am Einspruch politischen Gremien scheitert, weil diese Inflationsgefahr befürchten. Man sagt, 25 Prozent aller Staatsbürger hätten einen Hochschulabschluß, und die Regierung veranlaßt den Bau des weltweit größten Pipelineprojekts für eine bessere Wasserversorgung von Bevölkerung und Landwirtschaft. [1]

All das wird fortan ein unerreichbarer Wunschtraum bleiben, nun, da das Libyen Gaddafis von einer feindlichen Koalition, die von der NATO bis zur Arabischen Liga reichte, zerstört worden ist. Mit Hilfe des völkerrechtlich innovativen Angriffskriegskonzepts der "responsibility to protect", das vorgibt, die Bevölkerung eines Landes vor den Übergriffen der Regierung zu schützen, de facto jedoch das selbstmandatierte Recht des Stärkeren zum unabweislichen Standard erhebt, wurde frei nach der Ideologie von der kreativen Zerstörung das in sozialer Hinsicht höchstentwickelte Staatswesen des Kontinents zerschlagen. Selbst wenn man der haltlosen Behauptung Glauben schenken wollte, es sei tatsächlich um den Schutz von Menschenleben gegangen, ist doch eines längst bekannt: In jeder bewaffneten Auseinandersetzung der vergangenen Jahrzehnte nahm die Zahl der getöteten Zivilisten im Vergleich zu jener der getöteten Bewaffneten zu. So geht man heute von 90 bis 95 Zivilisten je 100 Kriegstoten aus, womit sich jeder Angriffskrieg, welcher vorgeschobenen Motive er sich auch immer bedient, von selbst verbieten müßte.

Angehörige elitärer Minderheiten wie den französischen Journalisten und Publizisten Bernard-Henri Lévy ficht das nicht an. Einer reichen Familie entstammend, hat er per Erbschaft und Ausbeutung sein Vermögen zeitlebens vermehrt, sich einen Namen als reaktionärer Restaurator einer "neuen Philosophie" gegen die Linke gemacht und diversen Spitzenpolitikern seines Landes angedient. Die Zeitung Die Welt schrieb über ihn, er sehe "Öffentlichkeit als ein Schlachtfeld, auf dem nicht die Wahrheit oder auch nur das bessere Argument zählen, sondern gelungene Kampagnen und Manöver". Zwar hielten ihm zahlreiche Kritiker Ungenauigkeiten und faktische Fehler in seinen philosophischen Schriften vor, doch wies er jegliche Einwände gegen seine Arbeit als "Gedankenpolizei" zurück. Auf einer ausgiebigen Reise durch die USA traf er insbesondere mit Neokonservativen wie Paul Wolfowitz, Samuel Phillips Huntington und William Kristol zusammen, worauf er den Europäern mangelnden Patriotismus vorhielt und den Multikulturalismus scharf kritisierte. So gehörte er auch zu den Unterzeichnern des Manifestes der 12 gegen den Islamismus als neue totalitäre Bedrohung.

Stets auf der richtigen Seite und dabei den persönlichen Vorteil wahrend sprach er sich im Bosnienkrieg für die Unabhängigkeit von Bosnien und Herzegowina aus. Als ihm die kanadischen Regierung vorwarf, daß afrikanische Arbeiter in seinem Unternehmen sklavenähnlich behandelt wurden, und er wegen Vorwürfen des Insiderhandels und einer drohenden Anklage wegen Steuerhinterziehung in Bedrängnis geriet, sorgte der damalige Finanzminister Nicolas Sarkozy dafür, daß die Untersuchungen eingestellt wurden. Im Georgienkrieg lobte Lévy publizistisch Präsident Micheil Saakaschwili als Demokraten und Widerstandskämpfer, worauf ihm selbst die FAZ "Russophobie" attestierte. Zwar machte er sich 2010 mit seinem Buch "Vom Krieg in der Philosophie" lächerlich, weil er sich darin in seiner scharfen Kritik Immanuel Kants auf einen Autor stützte, dessen Werke sich als ein Fake eines französischen Satiremagazins herausstellten, doch brachte einen Karrieristen wie ihn auch dieser Fauxpas nicht ernsthaft ins Stolpern.

Kriegstreiberei wurde mehr denn je sein erfolgreiches Kerngeschäft und so reiste er Anfang März 2011 nach Bengasi, um Kontakt zum libyschen Nationalen Übergangsrat aufzunehmen und "einen Krieg mit dem Kriegsziel, Gaddafi zu stürzen", zu fördern. Er begrüßte den französischen Militäreinsatz und schlug Präsident Sarkozy vor, den Nationalen Übergangsrat als einzige Vertretung Libyens anzuerkennen. Wenngleich der eitle Selbstdarsteller Lévy seinen Einfluß auf die Kriegspolitik seines Landes wichtigtuerisch übertrieb, fand er doch enormen Widerhall in Kreisen journalistischer und intellektueller Menschenrechtskrieger, als deren prominenter Prototyp er Bedeutungswahn, Karrierestreben und Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal unzähliger Kriegstoter, Vertriebener und Verelendeter in einer mordlüsternen Mischung vereint.

Nun hat Bernard-Henri Lévy wieder zugeschlagen und Präsident François Hollande in einem offenen Brief aufgefordert, in Syrien "die Initiative zu ergreifen". In dem Schreiben erinnert er an die französische Beteiligung am Angriff auf Libyen: "Wird Frankreich für Hula und Homs das tun, was es für Bengasi und Misrata getan hat? Ich weiß, Herr Präsident, dass sie andere dringende Angelegenheiten haben. Aber was ist dringender: in Afghanistan einen vorzeitigen Rückzug vorzubereiten oder die Initiative in Syrien zu ergreifen?" Es gehe in Europa um die Rettung des Euro, in Syrien aber auch um die Rettung eines Volkes. [2] Wieder versucht Lévy den Eindruck zu erwecken, er ganz allein habe den Präsidenten auf den rechten Weg gebracht, zumal Hollande nur wenige Stunden später in einem Fernsehinterview einen Militäreinsatz in Syrien mit UN-Mandat nicht ausgeschlossen hat.

Dies löste Erstaunen aus, hatte doch Außenminister Laurent Fabius zuvor auf die unwägbaren Risiken eines regionalen Flächenbrandes hingewiesen. Damit nicht genug, lehnen auch mögliche Verbündete wie die USA einen Angriffskrieg gegen Syrien derzeit strikt ab. Innenpolitisch dürfte Hollande den enormen Zugewinn Sarkozys dank der militärischen Intervention in Libyen vor Augen haben, wenn er mit Blick auf die anstehenden Wahlen zur Nationalversammlung martialische Töne für erfolgversprechend hält, seiner Sozialistischen Partei zum Sieg zu verhelfen. Außenpolitisch steht für die Führung Frankreichs jedoch sehr viel mehr auf dem Spiel, sieht man sich doch im Kontext der Eurokrise von der Führungsmacht Deuschland zunehmend an den Rand gedrängt. Unter dem Eindruck, daß der ökonomische Vorsprung des Nachbarn - erzwungen durch massiv forcierte Ausbeutung, wie sie nicht zuletzt in den beispiellos niedrigen Lohnstückkosten zum Ausdruck kommt - nur um den Preis unkalkulierbarer sozialer Unruhen und Hungeraufstände wettzumachen wäre, könnte Paris geneigt sein, auf die einzig verbliebene Trumpfkarte in Gestalt seines Militärpotentials zu setzen.

Genau dies stachelt Lévy an, wenn er dem Präsidenten vorhält, dieser interessiere sich mehr für Benzinpreise und Bundeskanzlerin Angela Merkel als für die Rettung des syrischen Volkes. In einem Gespräch vor seiner Wahl habe Hollande so gewirkt, als teile er die Idee, daß das Regime von Baschar al-Assad nur so stark sei, weil die internationale Gemeinschaft zu zurückhaltend und feige agiere. "Das ist einer der Gründe, warum ich für Sie gestimmt habe", legt der 63jährige nach. "Möge ich mich nicht geirrt haben." Notfalls müsse Frankreich auch nur mit Rückendeckung der Arabischen Liga und der EU einen Militäreinsatz in Erwägung ziehen.

Daß die Deutschen bei diesem Krieg nicht mitziehen, dessen immense Aufwände und unabsehbare Konsequenzen sie ihre Vormachtstellung in Europa kosten könnten, zeichnet sich ab. Sie hätten dabei kaum etwas zu gewinnen, aber sehr viel zu verlieren, weshalb Bundesaußenminister Guido Westerwelle eine bewaffnete Intervention in Syrien entschieden abgelehnt hat. "Für Spekulationen über militärische Optionen besteht aus Sicht der Bundesregierung kein Anlass. Wir wollen den Menschen in Syrien helfen und wir wollen einen Flächenbrand in der Region verhindern." Statt dessen setzt Berlin auf diplomatischen, politischen und ökonomischen Druck, wie ihn die EU-Staaten bereits in 16 Sanktionsrunden aufgebaut haben. Beschlossen wurden unter anderem Einreiseverbote, das Einfrieren von Vermögenswerten, ein Ölembargo sowie Ausfuhrverbote für zahlreiche Güter, wozu sich nun die massenhafte Ausweisung syrischer Diplomaten gesellt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel will den anstehenden Berlin-Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin nutzen, um für mehr internationalen Druck auf Syrien zu werben. Bei den Vereinten Nationen müßten gegen das Regime von Machthaber Baschar al-Assad jetzt die "richtigen Entscheidungen" getroffen werden, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Im UN-Sicherheitsrat führt kein Weg an Rußland und China vorbei, die bislang mit ihrem Veto ein direktes Eingreifen äußerer Mächte in den Konflikt verhindern. Wie Vize-Außenminister Gennadi Gatilow dazu in Moskau erklärte, lehne sein Land derzeit eine neue Debatte im Sicherheitsrat ab. Die letzte UN-Verurteilung sei als Signal stark genug und eine "ausreichende Antwort auf die jüngsten Entwicklungen" gewesen. Annans Friedensplan müsse eine Chance erhalten, forderte Gatilow. "Es ist wichtig, dass alle ausländischen Akteure einschließlich unserer westlichen Partner die Opposition entsprechend beeinflussen."

Auch UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon macht in Syrien eine "dritte Seite" für viele schwere Anschläge und Bluttaten verantwortlich, wobei er wie die Regierung in Damaskus von "Al Kaida" spricht. Gerade weil es in den meisten Fällen kaum möglich sein dürfte, die Urheber solcher Massaker mit letzter Sicherheit zu benennen, sollte eine verantwortungsbewußte Berichterstattung nicht ins Horn wilder Mutmaßungen stoßen. Man kann indessen davon ausgehen, daß eine ganze Reihe ausländischer Akteure aus Kreisen diverser Geheimdienste, Spezialkommandos und Rebellengruppen unterschiedlicher Herkunft und Zielsetzung in die Auseinandersetzungen verwickelt ist. Auch unterhalb der Schwelle eines großen Luft- und Bodenkriegs werden Kampfhandlungen forciert, um die Regierung zu stürzen.

So sehr den westeuropäischen Mächten ein Regimewechsel in Damaskus und Teheran unter den Nägeln brennen mag, ist er militärisch doch ohne die USA nicht zu haben. US-Präsident Barack Obama wird seine erhoffte Wiederwahl, die er nicht zuletzt mit der Propaganda befördern will, er habe die eigenen Soldaten wie versprochen aus dem Krieg heimgeholt, nicht mit einem neuen Waffengang gefährden. Grundsätzlich ist die billionenschwere Dauerkriegsführung Washingtons nur durch die gigantische Umlastung der US-Verschuldung auf den Rest der Welt möglich. Wie die globale Systemkrise zeigt, droht dieses Verfahren seine eigenen Voraussetzungen zu Grabe zu tragen. Am ökonomischen Abgrund stehend, ist sich jeder selbst der nächste, so daß nicht Mitgefühl mit den Syrern, wohl aber die Angst vor dem eigenen Niedergang die maßgeblichen Machtpolitiker zögern läßt.

Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/ausland/panah925.html

[2] http://www.welt.de/politik/ausland/article106392556/Westerwelle-lehnt-bewaffnete-Intervention-in-Syrien-ab.html

30. Mai 2012