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KRIEG/1610: Mantel des Rechts - Umhang des Kriegers (SB)




Das Humanitäre Völkerrecht entspringt nicht dem Interesse, Krieg grundsätzlich zu delegitimieren und mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu verhindern, sondern vielmehr der Absicht, Kriegführung zu kodifizieren, also weiterhin nach innovativen Maßgaben nicht nur möglich zu machen, sondern zu rechtfertigen. Man bezeichnet es deshalb auch als Kriegsvölkerrecht, was die Fragwürdigkeit der Berufung auf die darin vorgenommenen Festschreibungen deutlich machen sollte. Überlegene Waffengewalt bleibt die Ultima ratio nicht nur der Kriegführung als solcher, sondern zugleich die letztgültige Gewalt, rechtsverbindliche Vorgaben zu implementieren, zu verändern und durchzusetzen. So naheliegend es daher erscheinen mag, völkerrechtliche Grundsätze gegen ihre Mißachtung und Aufweichung zu verteidigen, sägt man damit doch am eigenen Ast unreflektierter Rechtsgläubigkeit, solange man das fundamentale Gewaltverhältnis samt den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen, denen es entspringt, nicht verwirft.

Natürlich ließe sich aus deutscher Sicht argumentieren, daß der Afghanistankrieg der Bundeswehr nicht nur völkerrechtswidrig, sondern auch unvereinbar mit dem Grundgesetz sei. Das ficht jedoch die breite Mehrheit der hiesigen Bevölkerung nicht im geringsten an, die gegen diesen Waffengang nur seinen Mißerfolg einzuwenden hat. Daß man in aller Welt mit deutscher Wertarbeit aus elaborierter Administration, ausgefeilter Logistik und hochwertigen Rüstungsschmieden den hiesigen Lebensstandard zu sichern hat, bleibt wirkmächtigster Konsens, sofern es nicht gelingt, die Ausbeutung und Unterdrückung nach außen und innen auf ihren gemeinsamen Nenner unablässig forcierter Kapitalverwertung zu bringen.

Um die Mißstimmung des Wahlvolks zu beschwichtigen, bedarf es daher keines Verzichts auf die Kriegsführung, wohl aber einer fortlaufenden Umdeutung derselben, die sich nicht von einer um sich greifenden Kriegsmüdigkeit überholen lassen darf. Zwar hat der EU-Geheimdienst INTCEN in Brüssel bereits im Juni den Afghanistankrieg verloren gegeben und als Perspektive des Landes eine "Zweiteilung in einen von Taliban beherrschten Teil und ein vom organisierten Verbrechen diktiertes Gebiet" prognostiziert. Und selbst der Spiegel zieht den historischen Vergleich, daß die Mission nach mehr als zehn Jahren Krieg und über 3300 toten alliierten Soldaten auf der Kippe stehe: "Der überstürzte US-Rückzug aus Vietnam war ein abschreckendes Beispiel dafür, wie die internationale Schutztruppe ISAF es nicht machen darf." [1] Wie aber gerade das Beispiel des heutigen Vietnams lehrt, mündet selbst ein vor aller Augen errungener militärischer Triumph über den imperialistischen Aggressor in einen Pyrrhussieg, solange die weltweit exekutierte Übermacht der USA und NATO nicht gebrochen wird.

In einer jüngst vom US-Network ABC und der Washington Post veröffentlichten Umfrage erklärten zwei Drittel der befragten US-Amerikaner, der "Einsatz" in Afghanistan sei "den Preis" nicht wert gewesen. Allerdings darf bezweifelt werden, daß dieses schlichte Kalkül von Soll und Haben den tatsächlichen Kriegszielen gerecht wird, zumal sich auch der Verdacht aufdrängt, daß die Amerikaner gegen einen preiswerten Krieg nichts einzuwenden hätten. Hierzulande hat das Parlament das Afghanistan-Mandat für die Bundeswehr Anfang des Jahres vorsorglich bis Februar 2014 verlängert, um das Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Man erklärt den "Kampfeinsatz" für auslaufend und verschifft aus dem afghanischen Masar-i-Scharif kommende Bundeswehrfahrzeuge im türkischen Schwarzmeerhafen Trabzon nach Deutschland. Zugleich ist sichergestellt, daß bis zu 800 deutsche Soldaten im Rahmen eines "Stabilisierungsauftrags" am Hindukusch bleiben, um die langfristige Ernte dieser und künftiger deutscher Kriegsbeteiligung nicht preiszugeben.

Was bei den Bundesbürgern ankommt und von ihnen zu immer neuen Akzeptanzschleifen verknüpft wird, bedarf eines gewissen Geschicks in der Prägung passabler Deutungsmuster und Sprachregelungen. Bekanntlich gingen etliche Jahre ins Land, bis deutsche Spitzenpolitiker offen aussprechen konnten, daß die Bundeswehr in Afghanistan Krieg führt und solche Einsätze in aller Welt nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen unverzichtbar seien. Wie Bernhard Kroener, Militärhistoriker an der Universität Potsdam, im Gespräch mit André Hatting im Deutschlandradio Kultur [2] darlegt, läßt sich der Konflikt am Hindukusch kaum noch mit herkömmlichen Kategorien definieren. Es handle sich um keinen Krieg im völkerrechtlichen Sinn, sondern einen bewaffneten Konflikt mit nichtstaatlichen Akteuren, eher noch um eine Polizeiaktion, eine Form der bewaffneten Verbrechensbekämpfung.

Auf den Einwand Hattings, daß dort doch auch Soldaten kämpfen und sterben, weshalb der Begriff "Polizeiaktion" reichlich euphemistisch sei, holt Kroener weiter aus. Wie er behauptet, sei der Krieg im eigentlichen Sinn seit Beginn des 20. Jahrhunderts im Grunde aus dem Völkerrecht eliminiert worden. Von diesem Grundirrtum ausgehend entfaltet der Militärhistoriker ein Szenario, in dem Kriege geführt, aber nicht so genannt werden. Er umreißt zutreffend, welches Arsenal innovativer Interventionsvorwände und -mechanismen in Stellung gebracht wurde, um nicht erklärte Kriege dennoch zu führen, und räumt ohne weiteres ein, daß das Konzept des "illegalen Kombattanten" geradewegs zu Guantánamo oder Abu Ghraib führe. Die naheliegende Frage seines Gesprächspartners, ob nicht im Grunde einfach der Stärkere bestimme, was gemacht wird, mag Kroener dennoch nicht bejahen. Schließlich gebe es das Völkerrecht und überdies ein Gewohnheitsrecht, mithin also einen ganz deutlichen Kodex, wie mit einem Gegner umzugehen ist.

Seit der Spätantike habe es immer wieder Bestrebungen gegeben, bestimmte Personengruppen aus Konflikten herauszuhalten. Leider sehe die Realität häufig anders aus, weil der Stärkere festlege, ob Zivilpersonen die Kampfhandlungen des Feindes unterstützen. So existierten die genannten Regelungen, wie man im Kriege menschlich mit Bevölkerungsgruppen umzugehen habe, doch liege die Entscheidung, sich daran zu halten, im Ermessen des kriegführenden Staates: "Und da haben wir leider tragische Beispiele über die gesamte Weltgeschichte zu erkennen." Obgleich Kroener also nicht umhin kann, die Instrumentalisierung des Völkerrechts durch die bellizistische Macht einzuräumen, beharrt er doch auf der prinzipiellen Wirksamkeit des ersteren, indem er tragische Ausnahmen postuliert. So dringt er nicht zu einer grundsätzlichen Kritik des Krieges durch, sondern versandet in einer bloßen Diskussion seiner modifizierten Bedingungen.

Fußnoten:

[1] http://www.jungewelt.de/2013/07-30/061.php

[2] http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/2194683/

30. Juli 2013