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KRIEG/1622: Immer neue Ruinen - NATO-Interventionen und Die Linke (SB)




Das Angebot der SPD an die Partei Die Linke, in Zukunft auch auf Bundesebene über Regierungskoalitionen nachzudenken, setzt vor allem voraus, daß die Linkspartei ihren bislang aufrechterhaltenen Antikriegskurs aufgibt. Die größten Hindernisse für eine gedeihliche Zusammenarbeit liegen auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik, ertönt es unisono vom linken wie rechten Flügel der Sozialdemokraten. Die Aufgabe dieser Kernposition linken Selbstverständnisses wird Die Linke das verbliebene Profil einer antikapitalistischen, die außerparlamentarische Opposition wie soziale Bewegungen im Bundestag repräsentierenden Kraft kosten. Die vollständige Unterwerfung unter das den kapitalistischen und imperialistischen Staat legitimierende Parteienkartell wird sie auf das Normalmaß jener bürgerlichen Einheitspartei zurechtstutzen, deren Existenzberechtigung sich über Zählappelle hinaus aus dem Salär ihrer Abgeordneten und Angestellten ergibt.

Daß in der Linkspartei überhaupt über einen solchen Schritt diskutiert wird, ist bedenklich genug. Daß dies fernab von den globalen, in erster Linie durch die NATO-Staaten zu verantwortenden Verwerfungen ziviler Gesellschaften erfolgt, belegt etwa der Blick nach Libyen. In der Hauptstadt Tripolis starben bei Angriffen bewaffneter Milizen auf Demonstranten am Freitag und Samstag bis zu 50 Menschen. Die Bewohner der Stadt traten daraufhin in einen Generalstreik, der so lange dauern soll, bis die zahlreichen Milizen, die sich nach dem offiziellen Ende des Krieges vor zwei Jahren nicht entwaffnen ließen, Tripolis verlassen haben.

Geradezu lächerlich sind die Stellungnahmen der NATO-Regierungen, die die Eskalation der Gewalt verurteilen und die Libyer dazu auffordern, den von ihren Bombern in Trümmer gelegten Staat endlich zu befrieden. Der von Außenminister Westerwelle angemahnte "friedliche und demokratische Übergangsprozess", der in ein "geeintes Libyen" [1] münden soll, ist erst möglich geworden durch den von der NATO bewirkten Regimewechsel. Westerwelle selbst hat damals nicht mitgezogen und wurde daraufhin von der deutschen Kriegspresse zwischen Welt und Spiegel, taz und FAZ, auf eine Weise niedergemacht, wie es eigentlich nur bei "Feigheit vor dem Feind" der Fall sein kann. Warum ein auf diese Weise monatelang vorgeführter Politiker, dem nichts mehr blieb, als danach in der Versenkung zu verschwinden, nicht den Mut faßt, einmal aus der Rolle zu fallen und Tacheles zu reden, liegt auf der Hand. Der Schwur auf die NATO ist der politischen Klasse so eingebrannt, daß der Sprung über den eigenen Schatten an der Angst scheitert, aller Privilegien und allen Ansehens verlustig zu gehen.

Wie auch immer die Herrschaft Gaddafis zu beurteilen sein mag, so können die seit seiner öffentlichen Ermordung durch die Fußtruppen der NATO aufgelaufenen Verluste jedenfalls den Kriegseinsatz nicht rechtfertigen. Mindestens 50.000 Kriegstote, der rassistischen Verfolgung und Massakrierung schwarzer Menschen durch Aufständische, eine auf Faustrecht und Feuerkraft basierende Verteilungsordnung und die Zerstörung der ehedem im afrikanischen Vergleich hohen Lebensqualität sprechen für sich. Diese Ergebnisse dokumentieren die aggressive Rolle, die das Militärbündnis in der Weltpolitik spielt, und belegen, daß die absichtsvolle Zerstörung ganzer Gesellschaften nach der Devise erfolgt, daß das, was nicht friedlich zu kontrollieren ist, mit Gewalt unterworfen werden muß.

So sollte die Bilanz der NATO nicht mit dem Begriff des "Versagens" beschönigt werden. Es war von Anfang an klar, daß diese Intervention nicht anders als der Angriff auf Afghanistan und den Irak Tote und Ruinen, Haß und Not hinterlassen würde. Die an den Zielorten der Bomberflotten herrschenden Mißstände wurden maximiert, verbliebene Chancen auf eine selbstbestimmte Entwicklung, zu der auch eine eigenständige Befreiung von autoritären Herrschern gehörte, vollends zunichte gemacht. Das Ziel der Unterwerfung unter politische und gesellschaftliche Normen und Verfahren der Eroberer bringt selbst, wenn es sich verwirklichen ließe, kolonialistisch bestimmte Zwangs- und Abhängigkeitsverhältnisse hervor.

So erfüllen diese Übergriffe den strategischen Zweck der Destabilisierung ganzer Weltregionen, die danach kein Hindernis mehr für die ökonomischen und ordnungspolitischen Diktate der Sieger mehr darstellen. Die Freisetzung der islamistischen Milizen in Libyen für den Krieg in Syrien, dessen Personal sich nicht zuletzt aus den auf neuen Schlachtfeldern einsatzfähigen Reihen libyscher Gotteskrieger speist, ist nur ein Beispiel für das Ineinandergreifen geostrategischer Transformationsprozesse, mit denen alte Verwertungssphären erhalten und neue erschlossen werden sollen.

Die Ränkespiele der NATO-Geheimdienste in Libyen wären eine eigene Untersuchung wert, wenn es denn noch jemanden interessiert, wie die Gesellschaften der NATO-Staaten über die alltäglichen Spähangriffe hinaus manipuliert und in die Irre geführt werden. Ob nun sogenannte Terroristen, die heute verhaftet werden, früher dafür bezahlt wurden, den libyschen Revolutionsführer Gaddafi umzubringen [2], ob die für schwerwiegende Anschläge verantwortlich gemachten Attentäter den NATO-Geheimdiensten nicht nur bekannt waren, sondern auch von ihnen vor Verhaftung geschützt wurden, oder ob Al Qaida-Milizen in Syrien die Ziele der NATO-Regierungen durchsetzen, ist nichts, was mehr als ein Schulterzucken hervorriefe. Die Bevölkerungen der NATO-Staaten haben sich so sehr an die Allmacht der Geheimexekutive gewöhnt, daß derartige Winkelzüge für selbstverständlich gehalten werden.

Die Frage, warum eine Partei wie Die Linke, die mit Rosa Luxemburg eine scharfe Kritikerin des imperialistischen Krieges in Ehren zu halten beansprucht, sich daran beteiligen sollte, die Menschen innerhalb wie außerhalb der EU noch mehr unter die zusehends unberechenbare und kafkaeske Kuratel autoritärer Staatlichkeit zu stellen, ist im Grunde einfach zu beantworten: Wer nicht zu denen gehört, an denen diese Maßnahmen exekutiert werden, genießt relativen Schutz vor ihnen. Zu behaupten, man beteilige sich an einer Koalitionsregierung, um zu verhindern, was nicht einmal die großen bürgerlichen Parteien trotz Mißbilligung etwa der Spähaffäre in den eigenen Reihen beenden, verkauft die Wählerinnen und Wähler für dumm. Der Blick nach Afghanistan, in den Irak, nach Libyen demonstriert mit großer Eindringlichkeit, daß nichts lebens- und liebenswertes aus aggressiver militärischer Gewaltanwendung resultiert.

Die dazu zwecks Unterlaufung des völkerrechtlichen Gewaltverbots in Anspruch genommene "Schutzverantwortung" verhöhnt die Intelligenz aller Beteiligten, sind die Regierungen, die sich damit zu moralischer Überlegenheit aufbauen, doch nicht einmal willens, Verantwortung für das Wohlbefinden der eigenen Bürger zu übernehmen. Der soziale Krieg, der mit immer härteren Bandagen gegen die Bevölkerung der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft geführt wird, ist das innere Äquivalent zur äußeren Aggression. Daß die Bereitschaft zum Kriege mit immer größerer Vehemenz eingefordert wird, entspricht den anstehenden Angriffen auf die verbliebenen Lebensressourcen der lohn- und sozialtransferabhängigen Bevölkerung. Diese kann nur verlieren, wenn sie den Verheißungen eines Reformismus erliegt, der das kleinere Übel zum Trittbrett größerer Unterwerfung macht.


Fußnoten:

[1] http://www.tagesschau.de/ausland/libyen1800.html

[2] http://www.counterpunch.org/2013/11/08/counter-terrorism-and-imperial-hypocrisy/

17. November 2013