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KRIEG/1633: Nachdenken über Konfliktursachen kein Thema für Menschenrechtskrieger (SB)




"Wir unterscheiden bei Menschenrechtsverletzungen nicht danach, von wem sie ausgehen", erklärt Cem Özdemir das seiner Ansicht nach "Schöne an den Grünen" im Deutschlandfunk. Weniger schön, ja nachgerade beklagenswert findet der Parteivorsitzende der Grünen, daß die Linksfraktion sehr gut darin sei, im Nachhinein zu erklären, was man hätte anders machen sollen. Dabei versage die Linkspartei, wenn es darum gehe, Lösungen für Probleme anzubieten, bei denen Menschen, wie derzeit im Irak, auf brutalste Art und Weise umgebracht werden: "Die Menschen wollen nicht von uns Erklärungen hören, was man alles hätte anders machen können, sondern man muss auch für die real existierende Welt Lösungen machen. Da fällt die Linkspartei leider aus" [1].

Özdemir bezog sich im Deutschlandfunk auf eine Stellungnahme des außenpolitischen Sprechers der Linkspartei, Jan van Aken, der "die Brutalität oder Inkohärenz der deutschen Außenpolitik" kritisiert hatte, weil die Bundesrepublik weder ihre Rüstungslieferungen nach Katar und Saudi-Arabien einstelle, obwohl die im Irak kämpfende Islamistenarmee ISIS von diesen Staaten unterstützt werde, noch deren Botschafter einbestelle. Auf diese Weise werde "sozusagen hinten herum eigentlich kooperiert mit denen, die ISIS unterstützen", so das Fazit van Akens. Özdemirs Behauptung, so etwas interessiere die Menschen in Anbetracht des nun entflammten Krieges nicht, stellt mithin klar, daß die mittelbare Beteiligung der Bundesrepublik an den Winkelzügen westlicher Hegemonialpolitik im Nahen und Mittleren Osten sakrosankt ist. Wie weit die Unterstützung der Rebellen in Syrien durch die Berliner Außenpolitik geht, welche Anteile die Bundesrepublik am Versuch des NATO-Staats Türkei hat, den syrischen Präsidenten Assad zu stürzen, in welchem Ausmaß sie in die Maßregelung der iranischen Führung verwickelt ist, die für die Entwicklung im Irak von zentraler Bedeutung ist, und welche Absichten sie in ihren Beziehungen zu den despotischen Golfmonarchien Katar und Saudi-Arabien verfolgt, all das geht die deutsche Öffentlichkeit nichts an.

Selbstverständlich wird in den Planungszentralen des demokratischen Imperialismus das Zustandekommen gewaltsamer Konflikte analysiert, allerdings stets auf eine Weise, die den eigenen geostrategischen Interessen entgegenkommt. Auch grüne Menschenrechtskriege werden nicht aus altruistischen Motiven heraus geführt, sondern mit diesen einer Bevölkerung gegenüber legitimiert, die es nicht besser wissen soll. Özdemirs Behauptung, er habe "an Konflikten wie Bosnien-Herzegowina verstanden, dass es manchmal Konflikte in der Welt gibt, die leider entstanden sind und wo es dann nicht nützt zu sagen, man hätte vielleicht manches anders machen sollen, sondern wo man real helfen muss, um ihn zu verhindern" [1], spart aus nämlichem interessengeleiteten Grund aus, weshalb der Krieg dort nicht einfach "entstanden" ist, sondern unter anderem von der Politik der Bundesrepublik bedingt wurde, die fragile föderalistische Struktur Jugoslawiens durch die Unterstützung des nationalethnischen Separatismus in ihren Republiken zu erschüttern. Daß es Özdemirs Ansicht nach "extreme Situationen in der Welt" gebe, "wo man leider auch militärische Mittel einsetzen muss, damit Politik überhaupt wieder möglich wird" [1], stellt die Verhältnisse auf den Kopf einer zweckdienlichen Sachzwanglogik, die die Ursachen von Konflikten systematisch vernebelt, um einen Handlungsbedarf zu produzieren, der nicht an der Wurzel des Übels ansetzt, sondern die dadurch freigesetzten Kräfte zum eigenen Nutzen instrumentalisiert. So wurden im Falle Jugoslawiens die vermeintlichen Auswirkungen eines ethnischen Hasses unterstellt, der erst mit viel PR-technischem, finanz- und bündnispolitischem Aufwand produziert werden mußte, um die Hegemonialpolitik der NATO-Staaten zu legitimieren.

An diesem Erweckungserlebnis, daß die Grünen vollends von einer linksalternativen Bewegung zu einer Partei der bürgerlichen Mitte transformierte, scheiden sich die Geister auch in der Linkspartei. So ist die Distanzierung der Parteispitze um Gregor Gysi, Katja Kipping und Bernd Riexinger von der deutlichen Kritik, mit der die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Sevim Dagdelen die Grünen im allgemeinen und die Grünen-Abgeordnete Katrin Göring-Eckardt im besonderen der Verharmlosung des ukrainischen Neofaschismus bezichtigte, signifikant dafür, daß die Linke nicht mehr weit davon entfernt sein könnte, den Rubikon zur Sachwalterin herrschender Interessen zu überschreiten. In diesem Kontext steht auch Özdemirs Werben für die Kriegstauglichkeit der eigenen Partei, betrifft dies doch eine zentrale Forderung an jegliche Regierungsfähigkeit. Es den Grünen darin gleichtun zu wollen, verlangt nichts geringeres als die Abkehr der konsequenten Positionierung gegen von Deutschland ausgehende Kriege und ein Hegemonialstreben, das deren Ausbrechen auch dann begünstigt, wenn die Bundeswehr nicht mit von der Partie ist.

Van Akens Kritik an der deutschen Außenpolitik im Nahen und Mittleren Osten ist relevant, weil sie der programmatischen Geschichtslosigkeit des Menschenrechtsimperialismus in die Parade fährt. Die Suggestion, rein gar nichts mit internationalen Gewaltverhältnissen zu tun zu haben, sondern lediglich auf das numinose Ausbrechen von Konflikten zu reagieren und dies mitunter auch mit Gewaltmitteln zu tun, stellt der Politik einen Freibrief in Sachen Kriegführung aus, der die Handschrift machtpolitischer Interessen schon deshalb aufweist, weil diese wider aller unter den Funktionseliten handelsüblichen Vernunft geleugnet werden. Den Primat der Lösungsorientierung zu verabsolutieren, setzt die systematische Unterschlagung der Tatsache voraus, daß angeblich wertebedingte Entscheidungen zum Auslandseinsatz der Bundeswehr stets selektiv sein müssen, weil in zahlreichen Ländern Menschenrechtsverletzungen begangen werden, die nicht minder als Handlungsimperativ fungieren könnten. So wurden während der Jugoslawienkriege schwerste Menschenrechtsverletzungen an der kurdischen Bevölkerung in der Türkei begangen, doch die Unantastbarkeit dieses NATO-Staats und wichtigen Handelspartners der Bundesrepublik wurde durch das humanitäre Gewissen kaum in Frage gestellt.

Zudem hat die rot-grüne Bundesregierung die Belagerung und Aushungerung des Iraks durch das UN-Wirtschaftsembargo mitgetragen, obwohl es die Entwicklung der ganzen Gesellschaft schwerwiegend beeinträchtigte und Hunderttausenden Menschen einen vorzeitigen, mangelbedingten Tod bereitete. Im Rahmen dieser Maßnahme kam es immer wieder zu Angriffen US-amerikanischer und britischer Kampfflugzeuge auf die irakische Bevölkerung, ohne daß die deutsche Regierung dagegen protestiert hätte. So, wie die Bundesrepublik unter Bundeskanzler Helmut Kohl die systematische, gegen die irakische Bevölkerung gerichtete Zerstörung der zivilen Infrastruktur und die über Hunderttausend zivile Opfer fordernde Bombardierung des Landes im Krieg 1991 guthieß, so ermöglichten Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Außenminister Joseph Fischer die Eroberung des Iraks 2003 durch logistische Unterstützungsleistungen aller Art.

Das Ergebnis dieser Politik besteht im Zerfall eines Landes, dessen Bevölkerung in ihrer Gesamtheit unter dem Baath-Regime Saddam Husseins niemals so stark gelitten hat wie nach dem von der Bundesrepublik zwar nicht militärisch unterstützten, aber durchaus begrüßten Regimewechsel in Bagdad. Der Irak krankt nicht am Scheitern des Wiederaufbaus nach einem Krieg, wie etwa der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider behauptet, der auf "Zurückhaltung und Besonnenheit bei einem militärischen Einsatz" pocht, bei dem auch "Rücksicht auf die Strukturen und die Kultur des jeweiligen Landes" zu nehmen wären [2]. Seine Bevölkerung ist Opfer der auch von der Bundesrepublik mitgetragenen, seit nunmehr 30 Jahre währenden Politik, die Hegemonie des Westens am Persischen Golf durch eine Strategie des Teilens und Herrschens zu sichern, die die Schwächung des Iraks wie des Irans zum Ziel hat, ohne auch nur ein Wort über die Millionen Menschen zu verlieren, die dabei zugrunde gingen und gehen.

Daran waren und sind auch die Grünen beteiligt. Der eigenen Bevölkerung zu unterstellen, sie sei an den Gründen für das Zustandekommen kriegerischer Konflikte nicht interessiert, sondern wolle nur Lösungen präsentiert bekommen, soll die eigene Verantwortung für die zerstörerischen Folgen des Strebens deutscher Eliten nach einem festen Platz unter den führenden Akteuren globaler Ordnungspolitik unsichtbar machen. Diesen Ambitionen nicht mit deutlicher Sprache eine Abfuhr zu erteilen, wie es Sevim Dagdelen in diesem wie anderen Fällen tut, sondern um die Anerkennung sogenannter Koalitions- und Regierungsfähigkeit zu buhlen, ist ein Unterschied ums Ganze.


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/terror-im-irak-maliki-muss-weg.694.de.html?dram:article_id=289021

[2] http://www.ekd.de/print.php?file=/aktuell_presse/news_2014_06_13_rv_christen_irak.html

13. Juni 2014