Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


KRIEG/1668: Auf nach Incirlik ... und darüber hinaus (SB)



Mit der Bagdad-Bahn hat das vor hundert Jahren nicht so recht geklappt, um so wichtiger nun, den Stiefel in der Tür zu den Blutflüssen zu halten, die den Nahen und Mittleren Osten durchströmen. Einmal dort angekommen mit einem kleinen Expeditionskorps soll die Bundeswehr bleiben, wo sie ihre Container aufgestellt hat und ihre Jets starten läßt. Schon Ex-Kanzler Schröder wußte die tiefen Abdrücke, die die Wehrmachtstiefel in ganz Europa hinterließen, in Wegmarkierungen für weitere Marschbefehle umzuwidmen. Das alte Unrecht zu vergelten mit neuer deutscher Gerechtigkeit - die Jugoslawen wissen ein Lied davon zu singen, immer wieder heimgesucht zu werden von besten Absichten wie jener, sie endlich aus ihrem "Völkergefängnis" zu befreien. So zivil der Sound der Militärsender - einst großdeutsche Marschmusik, heute locker-leichter Pop - im Feldlage im Kosovo tönt, so blieb die Wirkung der tödlichen Botschaft, ob Splitter- oder Streubomben, ob Panzergranate oder Lenkwaffe, für die daran vergehenden Adressaten doch identisch.

Also eilt Schröders einstiger Adlatus, der es nie an effizienter Ausführung sozialdemokratischer Willkür mangeln ließ und wohlgewählte Worte dafür fand, einen Murat Kurnaz auch weiterhin den Guantanomo-Schergen zu überlassen, zum Sultan von Ankara, um gemeinsam gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Man steht sich nahe, und warum auch nicht? Einen Erdogan, der die Wiedererlangung osmanischer Größe am Grabe des Staatsgründers Kemal Atatürk mit den Worten predigt, die Türken seien keine keine Gefangenen auf dem Territorium ihres Staates, sondern müßten ihren Einfluß weit über dessen Grenzen hinaus geltend machen, können deutsche Politiker vielleicht auch deshalb gut verstehen, weil ihr Griff nach neuem "Lebensraum" immer wieder schmählich scheiterte.

Und ohnehin, einen solchen Machtmenschen verprellt man nicht. Ist das große Schlachten im Nordirak erst einmal beendet und drängt das versickerte Blut der Kurdinnen und Kurden, der Yezidinnen und Yeziden, als schwarze Ölfontäne wieder an die Oberfläche, dann zahlt sich eine Waffenbruderschaft, der auch das grausame Regime des neoosmanischen Herrschers keinen Abbruch tut, in Euro und Cent aus. Keine Waffenlieferungen in Spannungsgebiete wie die Türkei? Das wußte schon der selige Strauß kurz und bündig mit der Gegenfrage zu kontern: Wohin denn sonst? Und was Freiheit und Demokratie betrifft, so darf Deutschland nicht säumig sein, wenn überall auf der Welt die Messer für finale Verteilungskämpfe gewetzt werden.

Einen Steinmeier jedenfalls können die Gefangenen in den Kerkern, die dort hineingeworfen werden, weil sie an falscher Stelle ein falsches Wort sagten, nicht schrecken. Auch in Deutschland müssen Türken und Kurden, die dem Regime Erdogans widerstehen, Verfolgung und Haft fürchten, und das ohne wirklichen Handlungsbedarf. Der Generalbundesanwalt, für Fälle nach dem Gesinnungsstrafrecht 129 a und b stets zuständig, wurde gegen türkische Kommunisten, deren Partei nur in der Türkei verboten und sonst auf keiner Terrorliste verzeichnet ist, auf Grundlage einer Verfolgungsermächtigung tätig, die das Bundesjustizministerium nur erteilt, wenn es außenpolitisch opportun ist.

Die 445 Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die heute für die Verlängerung des Mandates der Bundeswehr auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik stimmten, sind sich einig darin, deutschen Interessen überall dort zu verteidigen, wo sie bedroht sind. Sie pflichten dem SPD-Abgeordneten Annen - er soll dem linken Flügel der Partei angehören - gerne bei, wenn er behauptet, dies sei kein "Einsatz" für die die Türkei oder Erdogan, sondern gegen den internationalen Terrorismus. Es gibt noch Menschen, die sich erinnern können, was einst die Aufgabe deutscher Einsatzgruppen war. Doch die werden immer weniger, und die, denen keine historische Amnesie verordnet werden muß, weil alle Synapsen besetzt sind von der Erregung der Vorkriegbegeisterung, marschieren leichten Fußes über ihre Gräber.

Es ist erklärte Absicht der Kanzlerin eines von "Freunden" umgebenen Landes, das nationale Kriegsbudget auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes, also von derzeit 33,4 auf rund 60 Milliarden Euro, zu erhöhen. Deutsches Hegemonialstreben steht wieder hoch im Kurs, und das um so mehr, als der neue US-Präsident fordert, daß die Europäer endlich selbst für ihren militärischen Schutz sorgen sollen. Da kann das weinende Auge der Verteidigungsministerin noch so viele Krokodilstränen um seinen Wahlsieg vergießen, sein lachender Konterpart sieht nur Chancen darin, endlich selbst Frau im Hause des Führungskommandos der Bundeswehr zu sein.

10. November 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang