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KRIEG/1676: NATO weitet Kriegsvorbereitungen gegen Rußland aus (SB)



Zum Auftakt des Jahres 2017 weitet die NATO ihre Kriegsvorbereitungen gegen Rußland massiv aus. Die Bundeswehr wird dabei eine erheblich stärkere Rolle als in der Vergangenheit spielen, da sich Deutschland auf dem NATO-Gipfel in Warschau dazu verpflichtet hat, zusammen mit den USA, Kanada und Großbritannien jeweils einen eigenen Gefechtsverband aufzustellen. Entsandt wird das Panzergrenadierbataillon 122, bereits im Januar sollen 26 Panzer, 100 weitere Fahrzeuge und 120 Container mit der Bahn nach Litauen verlegt werden, wo die NATO-Battle-Group von Oberstleutnant Christoph Huber befehligt wird. Weitere Beistellungen seitens der Niederländer und Norweger sollen bis Mitte des Jahres die volle Einsatzbereitschaft herbeiführen. [1]

Im Zuge dieser Aufrüstung werden in Osteuropa rund 4000 weitere Soldaten stationiert, darunter 400 bis 600 deutsche. Wie Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen dazu erklärt, hätten sich vier Länder bereiterklärt, als Rahmennationen die Verantwortung zu übernehmen, Deutschland werde in Litauen führend sein. Die Aufgabenverteilung erfolge nach einem bewährten System: "Wir zehren dabei von den guten Erfahrungen, die wir mit der multinationalen Aufstellung der Speerspitze gemacht haben. Üblicherweise hat so ein multinationaler, hochwertiger Verband eine Stärke von ungefähr 1000. Deutschland wird daran den größten Anteil tragen. Eine typische Stärke, die genau angemessen ist. Ein defensives, aber eben auch klares Zeichen, dass ein Angriff auf ein Land für uns einen Angriff auf alle 28 NATO-Staaten bedeutet", so von der Leyen. [2]

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg weiß das Bündnis "auf dem richtigen Weg". "Wir setzen die Entscheidungen des Gipfels um. Entscheidungen, die unseren Menschen Sicherheit bieten in einer gefährlicheren Welt." Was die NATO-Strategen zusätzlich zum Aufbau der neuen schnellen Eingreiftruppe als "verstärkte Vornepräsenz" bezeichnen, ist über eine bloße Drohung an die Adresse Moskaus hinaus die Stationierung von Kampfverbänden mit klaren offensiven Fähigkeiten unmittelbar an der russischen Grenze, vergleichbar mit einer entsicherten Waffe und dem Finger am Abzug. Daß die Soldaten nach sechs Monaten abgelöst und durch andere ersetzt werden, so daß diese Rotation die Einhaltung der NATO-Rußland-Grundakte von 1997 simuliert, die eine dauerhafte Stationierung größerer Einheiten an den ehemaligen Blockgrenzen untersagt, ist der Farce geschuldet, die NATO verstärke lediglich den Schutz ihrer schwachen Mitglieder in Osteuropa gegen die wachsende Aggression Rußlands.

Auf dem Baltikum hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel am 24. August in Tallinn ausdrücklich zur Beistandspflicht gemäß Artikel 5 des NATO-Vertrags im Falle eines Konflikts mit Rußland bekannt. Daraufhin dankte ihr der estnische Ministerpräsident Taavi Rõivas persönlich dafür, "dass sie eine Schlüsselrolle bei der Führung Europas durch die Krise" gespielt und den Kontinent "auch in den schwierigsten Augenblicken einig gehalten" habe. In einer Zeit, "in der Europa an Krisen leidet und vor wichtigen Entscheidungen steht", brauche man "ein Europa, das mehr wie Deutschland aussieht".

Am 1. September hat die Bundeswehr wieder die Luftraumüberwachung der NATO über Estland, Lettland und Litauen übernommen. Mit bis zu sechs Eurofightern hat die Luftwaffe im Rahmen des "Verstärkten Air Policing Baltikum" auf dem estnischen Stützpunkt in Ämari turnusgemäß die britische Royal Air Force abgelöst. Zeitgleich übte ein verlegefähiger Führungsgefechtsstand der Luftwaffe erstmals unter Einsatzbedingungen in Litauen und überwachte mit Radargeräten einen Teil des Luftraums. Die Übung war Bestandteil der umfassenden NATO-Offensive "Persistent Presence 2016".

Auch auf dem Treffen der Visegrad-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn) am 24. August in Warschau hatte die Kanzlerin für eine engere militärische Kooperation geworben. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán stimmte ihr mit den Worten zu, man müsse der Sicherheit Vorrang einräumen und mit dem Aufbau einer gemeinsamen europäischen Armee beginnen. Der tschechische Regierungschef Bohuslav Sobotka schloß sich der Forderung nach einer intensiven Diskussion über die Gründung einer europäischen Armee an. Deren Grundstein ist bereits mit Kooperationsprojekten gelegt: Die Niederlande haben Teile ihrer Streitkräfte der Bundeswehr unterstellt, was auch die tschechische Regierung angeboten hat.

Während die Bundesregierung ihren militärischen Führungsanspruch sowohl in der NATO als auch auf Ebene der EU geltend macht, trägt deutsche Logistik mehr denn je dazu bei, in der Transitzone den Aufmarsch nach Osten reibungslos abzuwickeln. Ohne die Unterstützung der Bundeswehr käme man nirgendwo hin, bestätigen die US-Streitkräfte, die derzeit die größte Truppenverlegungsoperation der US Army nach Deutschland seit 1990 durchführen. Mehr als 2000 Panzer, Haubitzen, Jeeps und LKW sollen nach Osteuropa transportiert werden, in der ersten Januarwoche werden im Rahmen der "Operation Atlantic Resolve" drei Transportschiffe der US-Streitkräfte in Bremerhaven erwartet. Das Kriegsmaterial aus den USA soll anschließend im Bahntransport und mit Militärkonvois bis voraussichtlich 20. Januar nach Polen befördert werden, wo die erhebliche Präsenz US-amerikanischer Soldatinnen und Soldaten weiter aufgestockt wird.

Um die Länder an der Ostflanke der NATO fortdauernder Unterstützung der USA zu versichern, bereiste der republikanische Senator John McCain in dieser Woche die baltischen Staaten. Wie er in einem Interview mit dem estnischen Rundfunk erklärte, habe Trump jüngst erklärt, daß er die NATO unterstütze und das Militär aufgerüstet werden müsse. Außerdem halte jedes "glaubwürdige Mitglied" im US-Kongreß den russischen Präsidenten Putin "für das was er ist: ein Verbrecher, ein Tyrann und ein KGB-Agent".

Das mächtigste Militärbündnis der Welt ergänzt den Aufbau eines Raketenabwehrsystems in Osteuropa und den Vormarsch bis an die russische Grenze zudem um die Bezichtigung, die russische Regierung habe im Wahlkampf Hackerangriffe auf das Nationalkomitee der Demokraten und Hillary Clintons Wahlkampfteam angeordnet. US-Präsident Barack Obama verhängte Sanktionen gegen hohe russische Regierungsvertreter, setzte mehrere russische IT-Unternehmen auf die schwarze Liste und wies 35 in den USA stationierte russische Diplomaten aus. Zudem kündigte er weitere, zum Teil geheime Vergeltungsmaßnahmen an, bei denen es sich um Cyberangriffe auf die russische Wirtschaft, Finanzen oder seine Infrastruktur handeln könnte.

Der Text der präsidialen Verfügung ist so vage und allgemein gehalten, daß fortan außen- wie innenpolitisch jeder mit Sanktionen belegt oder angeklagt werden kann, dessen Aktionen "darauf abzielen, den Wahlprozess oder seine Institutionen zu beeinträchtigen oder zu stören". Damit hinterläßt die scheidende Obama-Administration nicht zuletzt ein repressives Instrument zur Beschneidung der Pressefreiheit und freien Meinungsäußerung in den USA. Beweise für seine Vorwürfe gegen Rußland hat der US-Präsident nicht vorgelegt. Auf entsprechende Nachfragen erklärte Obama vor seiner Abreise zu einem zweiwöchigen Urlaub auf Hawaii, die Geheimdienste würden dem Kongreß und der Öffentlichkeit einen Bericht vorlegen, bevor er am 20. Januar sein Amt niederlege. Die Strafmaßnahmen sind hingegen unverzögert in Kraft getreten. [3]

Auch im Syrienkrieg sucht die NATO die Konfrontation mit Rußland, wo sie mit dem AWACS-Einsatz offiziell zur Kriegspartei geworden ist. Bislang flog dort neben Rußland nur eine Koalition der Willigen unter Führung Washingtons Angriffe, mit der AWACS-Mission ist nun die gesamte Allianz in den Luftkrieg einbezogen. Benötigt wurden die Aufklärungsmaschinen der NATO im Grunde nicht, da die US-Streitkräfte fast über doppelt so viele eigene AWACS-Maschinen verfügen. Sie wollen jedoch auch in Syrien die Allianz an ihrer Seite wissen. Deutschland kommt dabei insofern eine Schlüsselstellung zu, als ein Drittel der AWACS-Besatzungen Bundeswehrsoldaten sind, ohne die eine solche Mission kaum über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten wäre. Der deutsche Bundestag hätte daher den Einsatz de facto verhindern können, erteilte dem Mandat jedoch Anfang November seine Zustimmung. Der Politikwissenschaftler Christian Mölling von der Denkfabrik German Marshall Fund drückte es folgendermaßen aus: "Die Allianz da stärker zu involvieren, ist von vielen Seiten gewünscht. Es ist außerdem wichtig, dass die Aufmerksamkeit der NATO sich in den Südosten des Bündnisgebietes bewegt." [4]


Fußnoten:

[1] https://www.wsws.org/de/articles/2016/12/31/mili-d31.html

[2] http://www.tagesschau.de/ausland/nato-zu-russland-103.html

[3] https://www.wsws.org/de/articles/2016/12/31/hack-d31.html

[4] http://www.tagesschau.de/inland/awacs-kabinett-101~_origin-d96c87a5-6f3b-4764-96d5-2d0344ae391b.html

31. Dezember 2016


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