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KRIEG/1681: Evangelium der Kriegstreiber - Armageddon läßt grüßen (SB)



Für jegliche Protagonisten deutscher Führerschaft in Europa und wer weiß wo noch ist Donald Trump ein Geschenk des Himmels, sofern man sich diesen als militärisches Aufmarschgebiet vor Armageddon vorstellt. Wenngleich die Bundesbürgerinnen und -bürger offenbar nichts gegen die zivil-militärische Expansion der EU und NATO gen Osten einzuwenden haben, können sie doch einem Krieg mit den Russen wenig abgewinnen, wie sehr man Putin auch Teufelshörner wachsen läßt. Panzerschlachten und Bomberflotten, Raketeneinschläge und Atompilze in Mitteleuropa sind nicht gerade ein Szenario, das die ohnehin von Krisenängsten verunsicherte Bevölkerung herbeisehnt. Wie weit die Bereitschaft auch reichen mag, es dem russischen Präsidenten mal ordentlich zu zeigen, keimt doch zumindest die dumpfe Ahnung auf, daß das für alle Beteiligten böse enden könnte. In diese an das sogenannte Gleichgewicht des Schreckens gemahnende Restratio menschlichen Vorteilsstrebens, die zu einer zwischenzeitlichen Stagnation des unverhohlenen Kriegsgeschreis beigetragen haben mag, platzt der neue US-Präsident und schüttelt kräftig das Wespennest.

Die Aufregung ist groß! Alles schwirrt erbost umher, niemand weiß Bescheid, die Ordnung bröckelt, die Perspektive verschwimmt. Wer gibt uns wieder Sicherheit? Es schlägt die Stunde der Militaristen und Kriegstreiber jeder Couleur, die das Evangelium der Aufrüstung als alternativlosen Heilsweg predigen und den Sphären der Ideologie entreißen, um es zur unhinterfragbaren Vernunft zu verklären. Will Trump die NATO entsorgen? Dann müssen wir sie retten! Wird er sie durch einen protektionistischen Rückzug schwächen? Dann müssen wir sie stärken! Möchte er den Europäern größere Lasten aufbürden? Dann schultern wir die Sache eben allein! Wäre Obama nicht Schnee von gestern, hätte der euphorische Konsens Hochkonjunktur: Yes we can!

"Wir können Krieg", wagt zwar selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel (noch) nicht in die Debatte zu werfen, aber dafür hat sie ja ihre Verteidigungsministerin - die beste aller Zeiten, wie Freund und Feind einhellig bescheinigen. Wer könnte überzeugender den Frieden im Munde führen und dabei unverhohlen vom Krieg reden, als Ursula von der Leyen! Wer könnte der Truppe glaubwürdiger die Leviten lesen und zugleich zuverlässiger dafür sorgen, daß es ihren Soldatinnen und Soldaten an nichts fehlt! Wer wagt den bislang gemiedenen großen Sprung zur Verdoppelung des Rüstungsetats, der die Bundesrepublik in den Rang einer militärischen Führungsmacht katapultieren und Europa zu einem eigenständigen geostrategischen Kampfverbund aufwerten soll!

Zwischen Ministertreffen der NATO und Münchner Sicherheitskonferenz stellt die deutsche Verteidigungsministerin klar, daß Trumps Forderung einer finanziellen und materiellen Ertüchtigung der hiesigen Wehrfähigkeit bei ihr offene Türen einrennt. Das "Zwei-Prozent-Ziel", die Orientierung der Höhe des Wehretats an der Wirtschaftsleistung, das ein Jahrzehnt lang von den europäischen NATO-Partnern anerkannt, aber faktisch negiert worden war, gilt plötzlich als unabweislicher Maßstab. Wenngleich entsprechende Rüstungsinvestitionen nicht von heute auf morgen verwirklicht werden können und es mindestens ein Jahrzehnt dauern mag, bis das Ziel erreicht ist, hat man die angestrebte Aufstockung von 37 Milliarden auf womöglich 75 Milliarden Euro doch auf den Weg gebracht.

Zugleich soll die Zusammenarbeit der europäischen NATO-Partner unter deutscher Führung in eine europäische Armee münden. Schon vor mehr als 25 Jahren wurde als politisches Zeichen die deutsch-französische Brigade eingerichtet, später kam eine enge Verschränkung der Bundeswehr mit den niederländischen Streitkräften hinzu. Inzwischen sind gegenseitige Unterstellungen von Truppenteilen mit Polen vereinbart, eine Kooperation tschechischer und rumänischer Brigaden mit deutschen Heeresteilen ist formell erklärt. Die Pläne zum Betrieb einer Tankerflotte mit den Niederländern sowie gemeinsame Entwicklungsvorhaben mit Frankreich (Drohne) und Norwegen (Flugkörper) sind mehr oder weniger weit gediehen.

Im Rahmen eines Kooperationskonzepts sollen kleinere Nationen mit ihren speziellen Fähigkeiten die Kapazitäten der großen NATO-Länder ergänzen. Mit Blick auf die Ost-Strategie werden feste multilaterale Truppenverbände gebildet, die als schnelle Speerspitze fungieren. Die kleineren Ländern heben Ausbildung und Gerät auf ein höheres Niveau, die Bundeswehr kann auf größere Heeresverbände zurückgreifen, als ihr allein zur Verfügung stünden. Das ist insofern von Bedeutung, weil künftig nicht die materielle Ausstattung, sondern das Personal die knappste Ressource der deutschen Armee sein wird. [1]

Dabei stellt sich jedoch das Problem, daß für solche Auslandseinsätze der gemeinsame Verteidigungsfall nicht gälte und jede Nation wieder selbständig entscheiden müßte, ob sie ihre Truppenteile einer multilateralen europäischen Streitmacht für den jeweiligen Anlaß zur Verfügung stellen will. Da kann der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe weiterhelfen, der dafür plädiert, kooperative Fähigkeiten wie gemeinsame Hauptquartiere, AWACS-Flüge oder Battlegroups von der Zustimmung des Bundestags zu entkoppeln, der von der Bundesregierung lediglich einmal jährlich darüber informiert werden soll. Wie Rühe beklagt, befürworteten zwar die Verteidigungsministerin und die Sozialdemokraten seinen Vorschlag, der jedoch ausgerechnet von der Führung der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt worden sei. Was der CDU-Politiker als Erfordernis der Zuverlässigkeit im Bündnis ausweist, läuft natürlich auf eine Aushebelung der parlamentarischen Zustimmung hinaus, die um so weitreichender ausfiele, je enger die Kooperation mit anderen Ländern gediehen ist. [2]

Mitreden dürfen alle, die produktive Vorschläge zur Militarisierung in all ihren Aspekten beizusteuern haben. Wer nicht mitzieht und den großen Sprung blockiert, wird übergangen - so geht Parlamentarismus in Zeiten der Aufrüstung. Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD), freut sich jedenfalls über mehr Geld, das die Verteidigungsministerin herausschlagen will. Damit könne die Bundeswehr ihre größten Lücken bei Personal und Ausrüstung vollständig schließen, sofern man das Vorhaben nur schnell in Angriff nehme. Zwar säuert der Verteidigungsexperte der SPD-Fraktion, Rainer Arnold, das "Zwei-Prozent-Ziel" sei utopisch und nicht sachgerecht, da man gar nicht wüßte, was man mit dem Geld tun sollte. Solche Pseudokritik wischt von der Leyen locker vom Tisch, die betont, daß die Bundeswehr zusätzliches Geld sehr wohl gebrauchen könne. Die Truppe leiste schon heute so viele Aufträge "für unsere Sicherheit", was man nur durchhalten könne, wenn dauerhaft mehr in sie investiere. [3]

Selbst der in jüngerer Zeit eher marginalisierte Grünen-Politiker Jürgen Trittin darf seinen Beitrag zur Debatte beisteuern, der freilich nur auf den ersten Blick den Eindruck energischer Opposition erweckt. Wie er argumentiert, habe sich die Bundesrepublik vor über 15 Jahren verpflichtet, 2015 0,7 Prozent, also ein Drittel der Verteidigungspflichten, für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben. Das sei jedoch bis heute nicht geschehen. Das Geld wäre in diesem Sinne allemal besser investiert als in neue Panzer, die dann irgendwo in Osteuropa herumstünden. Praktische Sicherheitspolitik müsse sich auf die tatsächlichen Gefahren für Europa wie Staatszerfall und Bürgerkriege an der südlichen Flanke konzentrieren. Man habe es mit asymmetrischen Konflikten zu tun, weshalb es absurd sei, neue Panzer zu beschaffen, während der Mali-Einsatz an fehlenden Hubschraubern scheitern könnte. Man werfe Geld für traditionelle Abschreckung aus dem Fenster und investiere zu wenig in einen zivil-militärischen Ansatz zur Kriseneindämmung, so Trittin. [4] Das sollte Musik in den Ohren der Bundesregierung sein, die ihren Zugriff in Afrika auf eben solche Strategien stützt.

Mit diesen Positionen bleiben die Grünen allemal regierungsfähig, was für die Linkspartei zumindest aus Sicht ihrer potentiellen Koalitionspartner nicht gilt. Wie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Der Linken, Wolfgang Gehrcke, versichert, werde seine Partei weder einer Erhöhung der Militärausgaben zustimmen noch sich in das aggressive NATO-Konzept an den russischen Grenzen integrieren. Bei Altkanzler Helmut Kohl habe noch "Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" gegolten. Jetzt gelte mit Zustimmung des künftigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und des neuen Außenministers Sigmar Gabriel, daß Waffenstärke demonstriert werden müsse, um die USA in Europa zu halten. Das lehne Die Linke ab, die für eine starke Politik, aber nicht für die Stärke der Waffen eintrete. [5] Das sind erfreuliche Worte, die man gerne auch nach der Bundestagswahl im September als Parteikonsens hören würde.


Fußnoten:

[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/verteidigungsbuendnis-warum-deutschland-fuer-die-nato-so-wichtig-ist-14881243.html

[2] http://www.deutschlandfunk.de/deutschland-in-der-nato-wir-werden-sicherlich-gefordert.694.de.html

[3] http://www.zeit.de/news/2017-02/16/nato-us-drohung-gegen-nato-partner-ruft-ersten-widerstand-hervor-16070203

[4] http://www.deutschlandfunk.de/forderung-der-usa-an-nato-partner-von-der-leyen-hat.694.de.html?

[5] https://www.linksfraktion.de/presse/pressemitteilungen/detail/starke-politik-statt-waffenstaerke/

17. Februar 2017


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