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KRIEG/1683: Zwei-Prozent-Ziel - Hochrüsten deutscher Waffengewalt (SB)



Wenn Ursula von der Leyen dieser Tage von Mehrwert spricht, den es zu berücksichtigen gelte, soll das natürlich nicht bedeuten, daß die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie über Nacht zur Richtschnur des Bundesverteidigungsministeriums geworden wäre. Um sehr viel Geld geht es aber schon, und vor allem darum, wer es bezahlen soll und wer es wofür ausgeben darf. Krieg ist teuer, ob man ihn nun führt, vorbereitet oder in petto hält, was ohnehin meist Hand in Hand geht. Und er wird zwangsläufig noch erheblich kostspieliger, wenn man die gepanzerte Nase in Europa ganz vorn haben will und überdies in der näheren und ferneren Nachbarschaft zu eigenen Gunsten mitmischen will. Wer der Identität von Bürger und Staat den Zuschlag gibt (Wir sind Deutschland), wird keine Probleme damit haben, die Bundeswehr (Wir.Dienen.Deutschland.) satt zu alimentieren. Wer hingegen Zweifel hegt, ob die angeblich vom Volk ausgehende Gewalt tatsächlich in staatlichen Händen am besten aufgehoben ist, sollte zumindest nachrechnen, was der Bundesregierung in Sachen Militarisierung so vorschwebt.

Die wichtigsten Zahlen liegen schon lange auf dem Tisch. Der Unterschied ist lediglich, daß heute als selbstverständliches Ziel vorausgesetzt wird, was gestern noch als mehr oder minder verstiegene Utopie heruntergespielt worden war. Die NATO-Staaten hatten bekanntlich 2014 vereinbart, daß ihre Verteidigungsausgaben binnen zehn Jahren jeweils zwei Prozent der Wirtschaftskraft erreichen sollten. 2016 haben jedoch außer den USA nur vier Länder diese Vorgabe erreicht, wobei Deutschland bei 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) lag. Das soll sich ändern, und zwar rasch!

Wie die Kanzlerin bekennt sich auch von der Leyen ausdrücklich zum Zwei-Prozent-Ziel. Das sei richtig, weil die Bundeswehr dringend einen Modernisierungsschub brauche und weil es "schlicht ein Gebot der Fairness im Bündnis" sei. "Deutschland hat eine starke Wirtschaft. Von unseren Partnern würde niemand verstehen, wenn ausgerechnet das starke Deutschland es nicht schafft, seinen angemessenen Beitrag zu leisten, während sich klammere Länder den zugesagten Beitrag vom Mund absparen." [1]

Da die Wortwahl der Ministerin eher nicht ironisch gemeint sein dürfte, drängt sich zwangsläufig die Frage auf, von wessen Mund die zugesagten Rüstungsausgaben abgespart werden. Irgend jemand soll den Gürtel buchstäblich und im übertragenen Sinne enger schnallen, und das werden gewiß nicht abstrakte Länder oder deren konkrete Führungseliten sein. Führt man sich die Dimension der geplanten Umschichtung von Steuergeldern in den Topf der Streitkräfte und Rüstungskonzerne vor Augen, steht zudem der Verdacht im Raum, daß die bloße Verteilungsfrage zu kurz greift, um die weitreichende Zurichtung und Formierung der bundesdeutschen Gesellschaft auf Kriegskurs angemessen auszuloten.

Der Verteidigungshaushalt steigt 2017 auf 37 Milliarden Euro, das sind rund 2,7 Milliarden Euro oder acht Prozent mehr als 2016. Von der Leyen bedankte sich im Deutschen Bundestag für diesen großen Vertrauensbeweis für die Bundeswehr und machte kein Hehl daraus, daß das erst der Anfang war. Es gelinge uns, in diesem Haushalt die Verteidigungsausgaben auf 1,22 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. "Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, wir wissen alle, dass sich das verstetigen muss", so die Ministern vor ihrer Schulklasse mit den Ausmaßen eines Parlaments. [2]

Zuvor hatte schon Angela Merkel die Zahlenspiele konkretisiert und angedroht, das Militärbudget bis 2020 auf 39,2 Milliarden Euro anzuheben. Um aber auf das Zwei-Prozent-Ziel zu kommen, müßte es auf mehr als 60 Milliarden Euro steigen, so daß am Ende beinahe eine Verdoppelung der bislang aufgewendeten Mittel stünde. "Um von 1,2 auf 2,0 Prozent zu kommen, müssen wir ihn sehr stark steigern", so die Kanzlerin in der ihr eigenen schlichten Art, Bösartigkeiten zu lancieren, über den Wehretat. Ein solches Ziel könne man nicht sofort erreichen, man müsse aber eine klare Perspektive aufzeigen. "Im 21. Jahrhundert wird uns nicht mehr so viel geholfen werden wie im 20. Jahrhundert", bilanzierte Merkel. Zudem lägen viele Konflikte heute vor der "europäischen Haustür". [3]

Da dieser finanzielle Kraftakt doch recht abenteuerlich anmutet und selbst aus Kreisen des Koalitionspartners (noch) als absurd zurückgewiesen wird, kommt Ursula von der Leyen mit ihrem eingangs erwähnten Mehrwert ins Spiel. Sie schlägt nämlich vor, das umstrittene Zwei-Prozent-Ziel um einen "Aktivitätsindex" zu ergänzen: "Für mich stellt sich auch die Frage, wer leistet operativ einen Mehrwert für das Bündnis." Ein zusätzlicher Maßstab könnte beispielsweise auch die Beteiligung an Einsätzen und Übungen oder das Bereitstellen von Personal und Material berücksichtigen. So verfehlen beispielsweise Norwegen, Italien oder die Niederlande ebenfalls das Zwei-Prozent-Ziel, sind aber an vielen Aktivitäten unter dem Dach der NATO beteiligt. Daß ein solcher Index vor allem Deutschland zugute käme, das insbesondere seinen enormen logistischen Aufwand in Rechnung stellen könnte, liegt auf der Hand.

Zudem kündigte von der Leyen eine direkte deutsche Beteiligung an dem Anfang März beschlossenen ständigen Hauptquartier der EU für Militäreinsätze an: "Wir planen fünf bis sechs Soldaten im neuen Hauptquartier einzusetzen." Die Kommandozentrale mit rund 30 Mitarbeitern soll zunächst EU-Ausbildungsmissionen wie jene in Mali führen. Schon im Herbst hatte die Ministerin die Einrichtung eines europäischen Sanitätskommandos und den Ausbau einer europäischen Logistikdrehscheibe angekündigt. Eine Europäische Armee sei aber nicht geplant. Aha.

Die innenpolitische Komponente des aktuellen Vorschlags zielt insbesondere auf Initiativen wie jene des Bundesaußenministers Sigmar Gabriel ab, der sein Herz für Entwicklungshilfe entdeckt hat, die er stärker einbezogen wissen möchte. Der geplante Index solle sich "rein auf Aktivitäten unter dem Dach der Nato beziehen", kanzelte Leyens Sprecher den sozialdemokratischen Chef des Auswärtigen Amtes ab. Entwicklungshilfe zähle nicht dazu. Teils irritierend fielen die Einwände Sahra Wagenknechts aus. Die Fraktionschefin der Linkspartei forderte die Bundesregierung auf, die "katastrophale Zusage" des Zwei-Prozent-Ziels zurückzunehmen. Dann warf sie jedoch von der Leyen vor, "auf dem Rücken deutscher Soldaten" in Auslandseinsätzen "die Kosten für das irrsinnige Aufrüstungsziel der Nato schönrechnen" zu wollen. Davon abgesehen, daß sich die innere Logik dieses Vorwurfs nicht erschließt, wo doch die Verteidigungsministerien ihre Truppe unablässig aufwertet und aufrüstet, überquert die linkspopulistische Fürsorge für die deutschen Soldaten denn doch die Schmerzgrenze, Wahlkampf hin oder her.


Fußnoten:

[1] https://www.welt.de/newsticker/news1/article162928698/Von-der-Leyen-will-umstrittenes-Zwei-Prozent-Ziel-der-Nato-ergaenzen.html

[2] https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2016/09/2016-09-07-etat-bmvg.html

[3] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-10/angela-merkel-verteidigung-ausgaben-bundeswehr

17. März 2017


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