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KRIEG/1695: Rüstungsmarkt - gezinkte Karten ... (SB)



Zur Durchsetzung hegemonialer Ambitionen der Bundesrepublik weit über Europa hinaus befeuert die deutsche Regierung das militärische Zwillingspaar Aufrüstung und Kriegswaffenexport. Wenngleich Produktion und Ausfuhr von Rüstungsgütern zu den ökonomischen Trumpfkarten des Standorts Deutschlands gehören und die Profite der beteiligten Konzerne beflügeln, erschöpft sich der Ertrag dieses Erwerbszweigs doch nicht in den Dividenden der Aktionäre und dem Erhalt fragwürdiger Arbeitsplätze. Das Mordsgeschäft eröffnet zugleich ein weites Feld strategischer Einflußnahme, indem es Repression in anderen Ländern ebenso munitioniert wie Stellvertreterkriege und die Destabilisierung von Weltregionen, in denen die hiesigen Eliten mitzumischen gedenken.

Dem widerspricht die vielzitierte besondere Verantwortung der Bundesrepublik aufgrund der deutschen Geschichte keineswegs. Man denke nur an den Kunstgriff eines Joseph Fischer, den ersten Angriffskrieg unter Beteiligung der Bundeswehr seit 1945 auf dem Balkan unter Verweis auf den Holocaust zu begründen. Sich auch und gerade auf die Grundwerte zu berufen, wenn Säbelrasseln und Panzergeschäfte auf der Tagesordnung stehen, erweist sich allemal als politisches Pfund, damit der Friedensengel im Marschtritt daherkommt. Wo die Kontrolle von Waffenexporten gepredigt und zugleich die Ausfuhr des Kriegsgeräts angeschoben wird, weiß eine Hand durchaus, was die andere tut.

Die Sozialdemokratie wird auch auf diesem Gebiet ihrer historischen Rolle gerecht, links anzutäuschen, um den Ball rechts vorbeizuspielen. Ihr deswegen einen Schlingerkurs vorzuwerfen hieße, ersterem auf den Leim zu gehen und sich blauäugig zu empören, wenn abermals kommt, was immer gekommen ist. Diffuse Friedenssehnsüchte in der Bevölkerung einzubinden, gelingt der SPD einfach besser als den Konservativen, weil sie auch noch den letzten Rest vorgeblicher humanistischer Ansprüche zum Zweck des Akzeptanzmanagements verheizt, bis sie sich endgültig überflüssig gemacht hat.

Die Sozialdemokraten hatten sich Ende 2013 in die Brust geworfen, sie würden in der großen Koalition eine restriktive Genehmigungspraxis bei deutschen Rüstungslieferungen durchsetzen - allen voran Vizekanzler Sigmar Gabriel. Der war dann drei Jahre lang als Wirtschaftsminister maßgeblich daran beteiligt, daß die Koalition aus SPD und CDU/CSU deutlich mehr Rüstungsexporte genehmigte als die Vorgängerregierung. Die Lieferungen in Staaten außerhalb von EU und NATO nahmen sogar um 47 Prozent auf 14,48 Milliarden Euro zu. Allein im vergangenen Jahr wurden Waffen und andere Rüstungsgüter im Wert von 3,79 Milliarden Euro in diese sogenannten Drittländer exportiert. Daß sich unter den zehn größten Waffenkunden fünf Drittstaaten befinden, die in Spannungsgebieten liegen, verwundert nicht - woher sollte die Nachfrage rühren, wenn nicht vom Gebrauch der Waffengewalt. [1]

Jetzt strebt die sozialdemokratische Parteiführung die Fortsetzung der großen Koalition an und hat noch tiefer in die Trickkiste gegriffen. Sie setzte in den Sondierungsgesprächen durch, daß die Bundesregierung ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigt, solange diese am Jemen-Krieg beteiligt sind. Das betrifft Saudi-Arabien, Jordanien, Ägypten, Bahrain, Kuwait, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Marokko, Sudan und Senegal. Saudi-Arabien und die VAE gehörten 2016 zu den zehn wichtigsten Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte. Jordanien zählt zu den Ländern, deren Aufrüstung die Bundesregierung sogar finanziell unterstützt. Exportstopp konkret, sofort, uneingeschränkt und auch für genehmigte Lieferungen, die bereits in der Produktion sind - das hört sich nach einem vierfachen Paukenschlag an, den sich die SPD als Friedenstaube ans Revers heften kann. [2]

Natürlich hat der Geniestreich dieser vorgeblichen Waffenexportbremse einen dicken Pferdefuß. Sie gilt nur für den Jemenkrieg, dessen Greuel inzwischen ein Thema in der deutschen Medienlandschaft sind, die ihn weithin verurteilt. Damit läßt sich punkten. Doch wie Grüne und Linkspartei zutreffend bemängeln, ist im Sondierungspapier keine Rede von einem Rüstungsexportgesetz, das die Regeln für alle Waffengeschäfte verschärfen könnte, während die Klausel im Sondierungspapier nur für bestimmte Länder und nur bis zum Ende des Kriegs im Jemen gilt. [3]

Noch schwerer wiegt indessen, daß die Möglichkeit deutscher Rüstungskonzerne, über Beteiligungen und Unternehmenstöchter im Ausland Aufträge abzuwickeln, die nach deutschen Vorschriften nicht möglich wären, eine politisch gewollte Systemlücke groß wie ein Scheunentor offenhält. Wie jüngst in einer ARD-Dokumentation zu sehen war, verkauft beispielsweise der Düsseldorfer Rheinmetall-Konzern Bomben etwa an Saudi-Arabien nicht von Deutschland aus, sondern über seine Tochterfirma RWM Italia auf Sardinien. Weil die Herstellung in Italien erfolgt, bedarf es keiner Genehmigung aus Berlin. Heckler & Koch liefert offiziell keine Waffen mehr in den mexikanischen Drogenkrieg, baut aber derzeit ein Werk in Columbus (Ohio) auf. SIG Sauers Pistolen tauchten im Bürgerkriegsland Kolumbien auf, das Unternehmen produziert auch am US-Standort Newington (New Hampshire). Zudem nutzt Rheinmetall eine Tochterfirma in Südafrika, um ganze Munitionsfabriken zu verkaufen. Ob an die VAE oder Saudi-Arabien, inzwischen sollen insgesamt 39 Fabriken geliefert oder in Arbeit sein, eine davon vermutlich in Ägypten. Rheinmetall hat sogar in Algerien eine Panzerfabrik errichtet. [4]

Und was sagt die Rüstungsschmiede selbst dazu?

"Rheinmetall bekennt sich traditionell zu einer verantwortungsbewussten, fairen, verlässlichen und transparenten Unternehmenspolitik." [5]

"Rheinmetall kommt seiner gesellschaftlichen Verantwortung weltweit aktiv nach, ohne dabei unternehmerische Ziele aus den Augen zu verlieren." [6]

Unterdessen ist Sigmar Gabriel längst dabei, die nächsten Nägel mit Köpfen zu machen. Der geschäftsführende Bundesaußenminister hatte bei einem Treffen mit seinem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu Anfang Januar angedeutet, daß die Nachrüstung türkischer Leopard-Panzer mit einem Minenschutz genehmigt werden könnte. Sollte die Genehmigung erteilt werden, könnte Rheinmetall ein entsprechendes Geschäft mit der Regierung in Ankara abwickeln. Nun hat die Türkei jedoch eine Militäroffensive in Afrin in Nordsyrien gestartet, die sich gegen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) richtet. Dabei kommen offenbar auch von Deutschland gelieferte Leopard-II-Panzer zum Einsatz, was die Bundesregierung in gewisse Erklärungsnöte bringt, solange sich ihre Freund-Feind-Kennung hinsichtlich der Kurdenfrage in der hiesigen Bevölkerung noch nicht widerspruchslos durchgesetzt hat. Der Vernichtungskrieg des Erdogan-Regimes gegen die Kurdinnen und Kurden, ihre Kultur und ihren Gesellschaftsentwurf dürfte zwar nicht allzu vielen Menschen in Deutschland in seiner Zielsetzung und Tragweite bewußt sein. Die Repressionswelle der AKP-Regierung gegen jegliche Form der Opposition ist aber hinlänglich bekannt, so daß die jüngste Wiederannäherung auf Regierungsebene eher Argwohn als Zuspruch auf den Plan zu rufen scheint.

Die Bundesregierung zeigt sich besorgt über den türkischen Militäreinsatz im Norden Syriens, sieht aber zugleich "legitime Sicherheitsinteressen" des NATO-Partners im Grenzgebiet. Schließlich sei die Türkei wiederholt Ziel von Angriffen durch die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) und Ziel von Angriffen aus Nordsyrien heraus gewesen. Ankara argumentiere deshalb mit seinem "Recht auf Selbstverteidigung", und ob der Einsatz der Türkei völkerrechtswidrig sei, lasse sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilen. Was die Kritik an den deutschen Rüstungsexporten betrifft, gebe es ein "engmaschiges Kontrollnetz". Das in Deutschland geltende Kontrollsystem sei eines der "restriktivsten" weltweit. Die aktuelle Lage im Empfängerland werde umfassend geprüft, wobei Rüstungsexporte langfristige Projekte seien, während derer sich die politische Lage im jeweiligen Land ändern könne. [7]

Wieso von Selbstverteidigung die Rede sein kann, wenn die Türkei von ihrem früheren klammheimlichen Bündnispartner IS angegriffen wird und daraufhin über die Kurdengebiete herfällt, mutet schon abenteuerlich an. Auch daß die Invasion der türkischen Streitkräfte ins Nachbarland Syrien und ihre dortige Kriegsführung nach eigenem Gutdünken völkerrechtlich noch nicht einzuschätzen sei, ließe am Sachverstand der Bundesregierung zweifeln, wüßte man nicht um deren Gründe einer Kollaboration mit Ankara. Wie sie selbst hervorhebt, sei die deutsche Rüstungsexportkontrolle engmaschig und restriktiv. Demnach muß man davon ausgehen, daß sie genau weiß, zu welchem Zweck diese Waffen in den jeweiligen Ländern eingesetzt werden, und dies auch billigt. Das ist natürlich keine Neuigkeit, da beispielsweise in der Türkei seit Jahrzehnten deutsche Waffen gegen den kurdischen Widerstand zum Einsatz kommen. Neu scheint jedoch zu sein, daß die Ausfuhr in Kriegs- und Krisengebiete seitens der Bundespolitik nicht länger nur unter der Hand genehmigt, sondern in zunehmendem Maß in den Rang offizieller Außenpolitik erhoben werden soll, wo immer dies deutschen Interessen zur Durchsetzung verhilft.


Fußnoten:

[1] www.sueddeutsche.de/politik/bericht-deutsche-ruestungsexporte-deutlich-gestiegen-1.3838521

[2] www.deutschlandfunk.de/sondierungspapier-stopp-fuer-waffenexporte-gut-verhandelt.720.de.html?

[3] www.taz.de/!5475492/

[4] www.jungewelt.de/artikel/325870.kein-ende-der-waffengeschäfte.html

[5] https://www.rheinmetall.com/de/rheinmetall_ag/group/corporategovernance_4/index.php

[6] https://www.rheinmetall.com/de/rheinmetall_ag/corporate_social_responsibility/gesellschaft_1/index.php

[7] www.welt.de/politik/ausland/article172805011/Syrien-Einsatz-Bundesregierung-sieht-legitime-Sicherheitsinteressen-der-Tuerkei.html

26. Januar 2018


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