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KRIEG/1726: Rüstung - Politik und Geschäft unvereinbar ... (SB)



Es ist ungeheuerlich, dass sich nun herausstellt, dass weiter Ersatzteile aus Deutschland etwa für den Eurofighter nach Saudi-Arabien geliefert werden können und auch neue Eurofighter verkauft werden könnten, in denen deutsche Komponenten verbaut würden. Leitlinie deutscher Politik muss sein, dass es keine Rüstungslieferungen in Länder gibt, in denen Menschenrechtsverletzungen geschehen.
Annalena Baerbock (Co-Vorsitzende der Grünen) [1]

Nähme Annalena Baerbock ihre eigenen Worte ernst, müßte sie sich für die Einstellung jeglicher Rüstungsexporte einsetzen - es sei denn, ihr sei ein Land ohne Menschenrechtsverletzungen bekannt. Für eine Oppositionspartei wie die Grünen, die auf dem Sprung in eine Koalition mit der Union auf Bundesebene ist, verbietet es sich natürlich von selbst, grundsätzlich gegen deutsche Kriegsführung und Rüstungsausfuhren wie überhaupt die Produktion von Waffen zu Felde zu ziehen, schließlich will man selber die richtigen Kriege führen und die legitimen Waffengeschäfte genehmigen. Unerreichter Meister der Doppelzüngigkeit bleibt indessen Sigmar Gabriel, auch wenn er in der bundesdeutschen Politik ausgedient zu haben scheint. Ende 2013 hatten sich die Sozialdemokraten in die Brust geworfen, sie würden in der großen Koalition eine restriktive Genehmigungspraxis bei deutschen Rüstungslieferungen durchsetzen - allen voran Vizekanzler Gabriel. Der war dann als Wirtschaftsminister maßgeblich daran beteiligt, daß die Koalition aus CDU/CSU und SPD deutlich mehr Rüstungsexporte genehmigte als die Vorgängerregierung. Die Lieferungen in Staaten außerhalb von EU und NATO nahmen sogar um 47 Prozent auf 14,48 Milliarden Euro zu. Allein 2017 wurden Waffen und andere Rüstungsgüter im Wert von 3,79 Milliarden Euro in diese sogenannten Drittländer exportiert. Daß sich unter den zehn größten Waffenkunden fünf Drittstaaten befinden, die in Spannungsgebieten liegen, verwundert nicht - woher sollte die Nachfrage rühren, wenn nicht vom exzessiven Gebrauch der Waffengewalt.

Grundsätzlich sind sich deutsche Politik und Rüstungsindustrie darin einig, die Öffentlichkeit so wenig wie möglich über die Waffengeschäfte aufzuklären. Aus naheliegenden Gründen, die sich aus der deutschen Geschichte ergeben, bleibt die Militarisierung der Innen- und Außenpolitik insofern ein heißen Eisen, als es gilt, die Akzeptanz in der Bevölkerung nicht überzustrapazieren. Reagiert wird auf politischer Ebene jedoch grundsätzlich nur dort, wo bestimmte Praktiken die Grenze zur Skandalisierung deutlich überschreiten, wie etwa bei den Massakern des Jemenkriegs oder dem daran beteiligten höchst repressiven Regime in Saudi-Arabien. In solchen Fällen sieht sich die Bundesregierung genötigt, die Rüstungsexporte in die betreffenden Länder befristet einzuschränken, um den Eindruck zu erwecken, sie setze sich für die Menschenrechte ein. Das wiederum ist schon deswegen unverzichtbar, weil die deutschen Eliten an anderen Schauplätzen ihre expansiven Ambitionen mit Waffengewalt durchsetzen wollen und dies mit der Verteidigung der Menschenrechte gegen Despoten begründen, sofern diese kein strategischer Partner wie Recep Tayyip Erdogan sind.

Die Erfordernisse der Politik können daher dazu führen, daß ihr Gleichschritt mit der Rüstungsindustrie zeitweise aus dem Takt gerät, wie dies aktuell der Fall ist. Das heißt natürlich nicht, daß die Bundesregierung ernsthaft vorhätte, ihre Vorgaben für Waffenexporte tatsächlich anzuwenden oder gar wesentlich zu verschärfen. Das eine ist zu Papier gebrachte Politik zur Täuschung der Bürgerinnen und Bürger, das andere gängige Praxis zur Förderung deutscher Interessen, die sich beileibe nicht in den Dividenden der Aktionäre und dem Erhalt fragwürdiger Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie erschöpfen. Im Kontext des Zwillingspaars Aufrüstung und Kriegswaffenexport gehören Produktion und Ausfuhr von Rüstungsgütern zu den ökonomischen Trumpfkarten des Standorts Deutschlands und eröffnen ein weites Feld strategischer Einflußnahme, indem sie Repression in anderen Ländern ebenso munitionieren wie Stellvertreterkriege und die Destabilisierung von Weltregionen, in denen die hiesigen Eliten mitzumischen gedenken.

Die gegenwärtigen Unwuchten von Politik und Profit haben dazu geführt, daß die hiesigen Waffenproduzenten eines ihrer höchsten Geschäftsprinzipien hintanstellen und ihr vornehmes Schweigen brechen, um sich bei der Bundesregierung bitter zu beklagen, sie pfusche ihnen auf unverantwortliche Weise ins Handwerk. Da die deutschen Rüstungsfirmen 2018 deutlich weniger als im Vorjahr ausgeführt haben, machen sie die von der Bundesregierung verfügten Exportstopps dafür verantwortlich und drohen sogar mit Schadenersatzforderungen. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, Hans Christoph Atzpodien, forderte die Große Koalition auf, "rein politische Themen" nicht auf dem Rücken der Unternehmen auszutragen. Natürlich seien in diesem Zusammenhang auch Schadenersatzforderungen denkbar.

Bei den deutschen Rüstungsexporten zeichnet sich im abgelaufenen Jahr ein deutlicher Rückgang ab. Bis zum 13. Dezember wurden Ausfuhren von Waffen und anderen Rüstungsgütern im Wert von 4,62 Milliarden Euro im Vergleich zu 6,24 Milliarden im gesamten Vorjahr genehmigt. Damit dürfte der Umfang der genehmigten Exporte 2018 zum dritten Mal in Folge schrumpfen. Dafür machte der Rüstungslobbyist eine restriktivere Genehmigungspraxis der Bundesregierung gegenüber Staaten außerhalb der Europäischen Union und der NATO mitverantwortlich. Wie Atzpodien beklagte, sei die deutsche Rüstungsexportpolitik "unvorhersehbar" und für Kunden und Partnerländer "durch überraschende Wendungen oft nicht nachvollziehbar". Dadurch würden erhebliche Irritationen gerade auch bei den europäischen Partnern ausgelöst, was sich ändern müsse. Er monierte "deutsche Sonderwege" für einzelne Länder oder Ländergruppen, durch die europäische Projekte "verkompliziert oder sogar ganz verhindert" würden. [2]

Deutschland hat in der Tat restriktivere Rüstungsexportrichtlinien als die großen europäischen Bündnispartner, und diese Differenzen führen mitunter zu Problemen bei Gemeinschaftsprojekten. Die deutschen Waffenproduzenten fordern bei ihrem Vorstoß eine Lockerung der Richtlinien und eine Angleichung auf niedrigstem Niveau, letzten Endes also eine uneingeschränkte Ausfuhr von Kriegswaffen aller Art wohin auch immer. Die Bundesregierung hatte im März einen Exportstopp für alle unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligten Staaten im Koalitionsvertrag verankert. Für bereits erteilte Genehmigungen machte die Regierung aber eine Ausnahme, es wurde zunächst weiter geliefert. Erst im Zuge der Affäre um die Tötung des regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul wurde allen Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien bis auf weiteres ein Riegel vorgeschoben. Hier verlangt Atzpodien von der Bundesregierung eine Aussage, wie es mit diesen Lieferungen weitergeht.

In welchem Ausmaß Regierungspolitik und Rüstungsindustrie einander für gewöhnlich in die Hände spielen, unterstrich die sogenannte Stillhalte-Anordnung, mit der sich die Bundesregierung Anfang November an die betroffenen Unternehmen wandte. Die Industrie kam offenbar der Bitte nach, für Saudi-Arabien bestimmte Rüstungsgüter zwei Monate lang nicht auszuliefern, wobei der Umfang der zeitweise gestoppten Ausfuhren knapp zweieinhalb Milliarden Euro betrug. Die Bundesregierung sah von einem Widerruf bereits erteilter Genehmigungen für Exporte ab, da in diesem Fall hohe Schadensersatzforderungen der Rüstungsindustrie gedroht hätten.

Von dem befristeten Stopp bereits bewilligte Ausfuhren sind vor allem zwei Vorhaben betroffen. Im September wurde die Lieferung von vier Artillerieortungsradaren des Typs Cobra genehmigt, die von einem Konsortium aus dem französischen Konzern Thales, Hensoldt und dem US-Unternehmen Lockheed hergestellt werden. Die Radargeräte können die genaue Herkunft von feindlichem Beschuß orten und ermöglichen damit präzise Gegenschläge. Zudem baut als Teil eines Großauftrags die zu Lürssen gehörende Peene-Werft Patrouillenboote für Saudi-Arabien. Das Königreich hat 34 Boote bestellt und eine Option auf 14 weitere Boote. Die Peene-Werft meldete nach dem Exportstopp Kurzarbeit an. [3]

Die Bundeskanzlerin hatte kurz nach Bekanntwerden des Falles Khashoggi erklärt, daß die Grundlage für Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien derzeit nicht gegeben sei. Bei diesem Signal an die Stimmung in der deutschen Öffentlichkeit, der das maßlose Treiben der saudischen Führung augenscheinlich über die Hutschnur ging, ließ sie wohlweislich offen, wie lange die Exportbremse gelten sollte. Daß in diesem Kontext Hintertüren Hochkonjunktur haben, belegt auch die Absicht der Bundesregierung, andere europäische Länder nicht am Export von Waffensystemen nach Saudi-Arabien zu hindern, an deren Entwicklung Deutschland beteiligt ist. So wird insbesondere der gemeinsam entwickelten Kampfjet Eurofighter über Großbritannien, das weniger scharfe Exportregeln als Deutschland hat, dorthin verkauft und auch im Jemenkrieg eingesetzt. Berlin will weiter die Ausfuhr von Bauteilen erlauben und beruft sich dabei auf die vertraglichen Verpflichtungen gegenüber seinen europäischen Partnern. Ob die bereits verkauften Eurofighter oder jene 48 weiteren Kampfjets, die Großbritannien an Saudi-Arabien liefern will - der Krieg muß unter deutscher Beteiligung weitergehen.

Während solche Entscheidungen relativ schnell gefällt werden, läßt sich die Bundesregierung sehr viel Zeit, ihr Versprechen in die Tat umzusetzen, die allgemeinen Exportrichtlinien für Produkte deutscher Waffenschmieden zu verschärfen. Wie Angela Merkel im Bundestag erklärte, sei die im Koalitionsvertrag angekündigte Neuformulierung in Arbeit, werde aber nicht vor dem ersten Halbjahr 2019 vorgelegt. In diesem Zusammenhang muß man wohl den demonstrativen Schuß vor den Bug seitens der deutschen Rüstungsproduzenten als ungewöhnlich exponierte Form militaristischer Lobbyarbeit werten.


Fußnoten:

[1] www.spiegel.de/politik/deutschland/deutschland-liefert-ueber-umwege-weiter-nach-saudi-arabien-a-1243306.html

[2] www.tagesschau.de/wirtschaft/ruestung-schadenersatz-101.html

[3] www.tagesschau.de/inland/lieferstopp-saudi-arabien-101.html

29. Dezember 2018


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