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KRIEG/1773: Coronakrise - Militarisierung unbemerkt ... (SB)



Ein Land unserer Größe und unserer wirtschaftlichen und technologischen Kraft, ein Land unserer geostrategischen Lage und mit unseren globalen Interessen, das kann nicht einfach nur am Rande stehen und zuschauen.
Annegret Kramp-Karrenbauer (Grundsatzrede im November 2019) [1]

Mag auch der Vormarsch deutscher Soldatenstiefel an diversen Kriegsschauplätzen arg aus dem Tritt gekommen sein, tut das den nach Weltgeltung strebenden Ambitionen eines eigenständigen Militarismus doch keinen Abbruch. Die ihrerseits schlingernde Wirtschaftshegemonie bedarf einer Unterfütterung mit Waffengewalt, deren Potential das letztgültige Argument in der Durchsetzung globalisierter Raubzüge bleibt. Wie die hiesige Exportwirtschaft die Europäische Union braucht, um mit ihr und in ihr zu wildern, bedarf die Bundeswehr der NATO, um im Schutz des Nordatlantischen Bündnisses nach eigenen Maßgaben in eine führende Position hineinzuwachsen. Sich zusammen mit Bündnispartnern, doch zugleich in Konkurrenz zu ihnen über andere herzumachen, ist zwangsläufig ein Vorhaben, dessen äußere und innere Widersprüche für heftige Unwuchten sorgen. Schienen diese noch vor wenigen Jahren eher randläufig und organisch auszusteuern zu sein, so eskalieren längst die Konflikte nicht nur mit den finalen Gegnern Rußland und China, sondern auch innerhalb der EU und der NATO.

Die alles verschlingende Existenz- und Wirtschaftsweise treibt Zerstörungsprozesse voran, deren exponentiell wachsende Geschwindigkeit die Fristen dramatisch schrumpfen läßt, innerhalb derer sich der permanente Kriegszug in planbar anmutenden Etappen konzipieren ließ. Da nun eine Krise die andere jagt und kulminierend die Weltlage verschärft, zeichnet sich immer deutlicher ab, daß die multiple Krisenhaftigkeit nicht die Ausnahme ansonsten geordneter und kontinuierlicher Entwicklungsprozesse, sondern unter der Voraussetzung exzessiver Verstoffwechselung deren innerstes Wesen ist. Ein Haus niederzubrennen, um sich daran zu wärmen und geplünderte Beutestücke am Spieß zu braten, mag aus der Gewaltperspektive marodierender Banden wie eine höchst effektive und endlos ausbaufähige Überlebensstrategie anmuten. Aus Sicht ihrer zahllosen Opfer und deren zerstörten Auskommensmöglichkeiten stellt sich das zwangsläufig als Dauerzustand von Drangsalierung, Not und Vernichtung dar.

Der im Strategiepapier "Neue Macht. Neue Verantwortung" (2013) vorgesehene fließende Wechsel zwischen den in Richtung des pazifischen Raums abziehenden US-Streitkräften und dem Nachrücken der Bundesrepublik als neue westliche Führungsmacht im Nahen und Mittleren Osten wird konzeptionell weiterverfolgt. Inzwischen hat sich jedoch der Mangel weltweit derart verschärft, daß die in solchen Verläufen nahezu unvermeidlich hervorbrechenden nationalistischen Rettungsversuche zu Lasten jeglicher Konkurrenz vielerorts präferiert werden. Die größte Wucht entwickeln dabei die USA, die unter der Trump-Regierung auf eine vorgezogene Eröffnung des Machtkampfs setzen, welcher der finalen Schlacht vorausgeht. Noch ist Washington dank seiner militärischen Übermacht in der Lage, allen anderen Regierungen seinen Willen aufzuzwingen oder zumindest enormen Druck aufzubauen.

Die auch der Bundesrepublik abverlangten höheren Aufwendungen für die Streitkräfte in Richtung des Zwei-Prozent-Ziels der NATO sind den Protagonisten deutscher Aufrüstung durchaus willkommen. Sie können nun unter simuliertem Zähneknirschen und Verweis auf die Bündnisverpflichtungen kräftig nachlegen. Was aber eine sukzessive und geordnete Wachablösung betrifft, kann davon aus verschiedenen Gründen kaum noch die Rede sein. Von Trumps sprunghaften Manövern ganz abgesehen sind die zeitlichen Dimensionen und erhofften Kontinuitäten derart durcheinandergeraten, daß der hiesige Imperialismus taumelt, aber um so verbissener die Parade in Reih und Glied exerziert. So erfreulich der Sand im Getriebe der Kriegsmaschine anmuten mag, besteht doch nicht der geringste Anlaß, ihre Vorhaben und Gefährlichkeit in Abrede zu stellen oder zu unterschätzen.

Wenn die Bundeswehr abziehen muß, wie das in Afghanistan bald der Fall sein dürfte, könnte man zwar von einer Niederlage sprechen, doch stellt sich die Frage, an welchen Kriegszielen sich diese Einschätzung bemißt. Es konnte so gut wie nichts von dem erreicht werden, was über die Jahre an wechselnden Vorwänden ins Feld geführt wurde. Der damalige Bundesverteidigungsminister Struck erklärte 2002, Deutschlands Sicherheit werde auch am Hindukusch verteidigt. Was damals noch heftig umstritten war, ist heute beinahe zur Selbstverständlichkeit geronnen, so daß man im Sinne der Akzeptanz deutscher Auslandseinsätze durchaus von einem Erfolg sprechen kann. Die Truppe konnte Erfahrungen sammeln, hat sogar das Massaker von Kundus verdaulich gemacht und den Fuß in eine Tür gesetzt, die auch nach einem Abzug nicht zwangsläufig wieder vollständig geschlossen wird.

Zieht die Bundeswehr aus Afghanistan ab, heißt das nicht zwangsläufig, daß die deutsche Präsenz am Hindukusch damit endgültig beendet wäre. Die Besatzungsökonomie hat eine Schattenwirtschaft etabliert, die westliche Gelder an den offiziell deklarierten Verwendungszwecken vorbei in die Taschen diverser Kriegsherren schleust, die ihrerseits Schutz beispielsweise bei der Ausbeutung von Bodenschätzen gewähren. Jenseits der regierungsamtlichen Verlautbarungen und dementsprechenden medialen Erörterungen von angeblichem Sinn und Unsinn der deutschen Mission spielt sich eine ganz andere Okkupation und Aufteilung des Landes unter äußeren Mächte ab, die sich mit den einheimischen kriegführenden Kräften arrangieren.

Da ohne die USA als Führungsnation der Besatzung in Afghanistan überhaupt nichts geht, werden die übrigen 37 Verbündeten, darunter auch die Bundesrepublik, voraussichtlich bis Mitte nächsten Jahres das Land verlassen. Damit endet der umfangreichste und längste Auslandseinsatz der Bundeswehr, dessen Mandat der Bundestag Mitte März um ein weiteres Jahr verlängert hat. Bis zu 1.300 deutsche Soldatinnen und Soldaten demonstrieren im Rahmen der Mission "Resolute Support" vor allem Bündnistreue, da ihre Beratung keineswegs dazu beiträgt, die Leistungsfähigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte zu erhöhen. Die Zahl der Fahnenflüchtigen und Überläufer wächst, wobei die Ausbilder schwerbewaffnete Personenschützer benötigen, die sie vor Angriffen ihrer afghanischen Trainees bewahren sollen. In ihren Camps verschanzt, wirken die deutschen Besatzer wie Gefangene. [2]

Wie überall hat die westliche Intervention auch in Afghanistan den Konflikt verschärft, dessen Parteien vervielfacht, die Sicherheitslage verschlechtert und die Lebensverhältnisse der Bevölkerung geschunden. Ein Scheitern auf ganzer Linie, sofern man der Behauptung Glauben schenkt, es sei um Demokratie, Menschenrechte und Wohlstand gegangen. Ein Teilerfolg im Sinne der Militärdoktrin, durch Zerschlagung vorhandener Strukturen ein "kreatives Chaos" zu schaffen, aus dessen Bruchstücken sich ein verfüg- und kontrollierbares Gebilde neu zusammensetzen lasse. Daß der zweite Teil dieses Ansatzes weit davon entfernt ist, greifbare Resultate zu zeitigen, hält die westlichen Geostrategen nicht davon ab, ihren Kriegszug nach denselben Maßgaben fortzusetzen.

Angesichts der katastrophalen Situation im Irak hat das Parlament in Bagdad den Beschluß gefaßt, daß alle ausländischen Streitkräfte abziehen sollen. Das schließt auch die Bundesrepublik ein, die jedoch ebensowenig wie die anderen Besatzungsmächte dieser Aufforderung Folge leistet. Als sei der Willen der gewählten irakischen Volksvertreter absolut irrelevant, hat die Bundesregierung trotz der Lahmlegung des öffentlichen Lebens in der Corona-Krise sogar eine Erweiterung des Irak-Mandats im Eilverfahren durch den Bundestag gepeitscht. Bis zu 700 Bundeswehrsoldaten können im Rahmen des Einsatzes "Stabilisierung sichern, Wiedererstarken des IS verhindern, Versöhnung fördern in Irak und Syrien" entsandt werden. Das irakische Parlament soll sich mit formalen Änderungen im Mandat und einem Teilaustausch der Nationalitäten der vor Ort stationierten Soldaten abfinden.

Wie von US-Präsident Donald Trump gefordert, weitet die NATO ihren Einsatz aus, um die verhaßten US-Truppen weniger sichtbar zu machen, die internationale Truppenpräsenz aber aufrechtzuerhalten. Die Bundeswehr unterstützt dort einerseits die US-Armee in ihrem Krieg um Vormachtstellung in der Region, um die Kontrolle der vorhandenen Ressourcen sowie der zugehörigen Transportwege. Zugleich unterstreicht deutsche Regierungspolitik damit den Anspruch, in eigenständigem Interesse einer möglichen Wachablösung als Besatzungsmacht den Weg zu bereiten. Wenngleich die vorübergehende Aussetzung des Kampfs gegen den "Islamischen Staat" dessen Wiedererstarken tatsächlich begünstigt hat, ist der angebliche Schutz der irakischen Bevölkerung vor dem IS doch zugleich ein Vorwand, in die Lücke vorzustoßen. Zwar endet der Einsatz der deutschen Tornados über Syrien und dem Irak, doch bleiben Tankflugzeuge vor Ort, ergänzt um einen Überwachungsradar und Lufttruppentransporte auch außerhalb des Landes. [3]

Von langer Hand vorbereitet ist auch der Vorstoß in den indopazifischen Raum, wo erstmals eine Fregatte der Bundesmarine gemeinsam mit Einheiten verbündeter Mächte Präsenz bei der Einkreisung Chinas zeigen soll. Der Schwerpunkt der Weltwirtschaft verlagert sich zusehends nach Ostasien, weshalb die USA, Großbritannien und Frankreich schon seit längerem ihre militärischen Aktivitäten in dieser Region ausweiten. Der Vorstoß der deutschen Marine in diese Richtung begann 2008 mit der Beteiligung am EU-Einsatz ATALANTA am Horn von Afrika, der auf die Kontrolle des Golfs von Aden abzielt. Seither wird das Mandat routinemäßig verlängert und damit eine militärische Dauerpräsenz zur Absicherung dieses zentralen Handelsweges aufrechterhalten.

Carlo Masala, Professor an der Bundeswehr-Universität in München, schrieb 2015 in einem Papier für die Konrad-Adenauer-Stiftung, daß sich die herausragende Bedeutung des Indischen Ozeans aus seinen engen Zufahrtswegen und seiner Rolle als Transitozean der Weltwirtschaft ableite. Deutschlands Wohlstand hänge vom freien, internationalen Seehandel und vom ungehinderten Zugang zu den Rohstoffmärkten ab, weshalb die Gewährleistung maritimer Sicherheit im Indischen Ozean essentielles Interesse Deutschlands sei. Wenngleich es darum gehe, sich auf ganz verschiedene Arten einzubringen, solle ein "militärisches Engagement" dabei aber auch "nicht ausgeschlossen werden".

Im Sommer 2019 nahm die Debatte um eine Entsendung deutscher Kriegsschiffe an den Persischen Golf Fahrt auf. Sie führte vorerst zu keiner deutschen Militärpräsenz am Golf, jedoch unter anderem zum Beschluß der "Europäischen Marine-Überwachungsmission in der Meerenge von Hormus" im Januar 2020, die Deutschland politisch unterstützt. Unterdessen dachte das Verteidigungsministerium darüber nach, sich mit eigenen Kriegsschiffen an Manövern für die Freiheit der Schiffahrt (Freedom of navigation operations, FONOPS) in Ostasien zu beteiligen. Um die Bestrebungen Chinas einzudämmen, wurde der Ruf nach einem deutschen Engagement laut, dem die Bundesregierung bereitwillig nachkommt, um das eigene machtpolitische Profil auch im pazifischen Raum zu stärken. Das neue "Mare Nostrum" der Welt sei der Indische Ozean, unterstrich der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Andreas Krause. 35 Prozent aller Exporte der EU durchqueren diesen Ozean auf ihrem Weg Richtung Ostasien, Tendenz steigend. Insgesamt passieren heute 50 Prozent des weltweiten Containerverkehrs und 70 Prozent des weltweiten Handels mit Öl die Seewege des Indischen Ozeans. Ab 7. Mai 2020 begibt sich die Fregatte "Hamburg" auf eine fünfmonatige Reise in Richtung Indopazifik, um dort diverse Häfen anzulaufen und an Militärübungen teilzunehmen. Weltweite militärische Präsenz und Intervention in Konflikten ist für den deutschen Expansionismus unerläßlich, um durch eine Beteiligung an den Waffengängen von heute seine Ausgangsposition für die Kriege von morgen zu verbessern.


Fußnoten:

[1] www.heise.de/tp/features/Der-Indopazifik-als-neues-Mare-Nostrum-4685855.html

[2] www.deutschlandfunk.de/afghanistan-rueckzug-der-bundeswehr-der-anfang-vom-ende.720.de.html

[3] www.jungewelt.de/artikel/375166.irak-mehr-soldaten-in-den-irak.html

30. März 2020


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