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KRIEG/1778: Rüstungsgeschäfte - die alten Verbindungen begünstigt ... (SB)



"Wir stimmen mit Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauers Entscheidung überein, den Tornado dringend nach dem neuesten Stand der Technik zu ersetzen, um Erfordernisse der Nato und deutsche Bündnisverpflichtungen zu erfüllen."
US-Botschaft in Berlin [1]

Die Aufregung um den Alleingang der Verteidigungsministerin bei der Flugzeugbeschaffung für die Bundeswehr gleicht einem inszenierten Sturm im Wasserglas. Weder wird der deutsche Militarismus in Frage gestellt noch eine florierende Rüstungsindustrie. Und obgleich es bis hin zum Einsatz von Massenvernichtungswaffen um Leben und Tod geht, kreist die Debatte um die Vor- und Nachteile bestimmter Typen, eine Aufteilung unter konkurrierenden Produzenten und natürlich den Geltungsanspruch der hiesigen Kriegstreiber im Kontext des brüchigen nordatlantischen Bündnisses und darüber hinaus. Was könnte die Akzeptanz deutscher Waffengewalt besser befördern als ein parteipolitisches Scheingefecht um das Potential der Streitkräfte, zu dem jeder seinen Senf beisteuern darf, als gehe es um ein Flugzeugquartett und nicht um die drohende atomare Verwüstung Mitteleuropas.

Die militarisierte Außenpolitik der Bundesrepublik ist eingebunden in NATO und deutsch-französische Planungen einer aufgerüsteten EU, während sie sich zugleich einen eigenständigen Führungsanspruch bei der Logistik des Aufmarsches gegen Rußland, im Nahen Osten und in Afrika auf die Fahnen geschrieben hat. Dazu bedarf es der Bündnispartner, die Berlin nicht verprellen darf, soll das Gefüge des westlichen Machtkomplexes nicht zu Lasten der deutschen Ambitionen erschüttert werden. Dafür braucht die Regierungspolitik angemessene Fristen, um die Bevölkerung mitzuziehen, das Potential auszubauen und sukzessive Aufgaben und Regionen zu übernehmen, aus denen sich die Bündnispartner tendentiell zurückziehen. Da Washington und Paris in diesem Zusammenhang selten unter einen Hut zu bringen sind, übernimmt Deutschland zudem den Part der Vermittlung zwischen den allseitigen Interessen, indem es Kompromißvorschläge einbringt und durchträgt.

Diese Gemengelage findet in der Kontroverse um die Beschaffung neuer Kampfjets für die Bundesluftwaffe ihren deutlichen Ausdruck, da die vormalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen einen Kompromiß auf den Weg gebracht hat, den ihre Nachfolgerin nun umzusetzen versucht. Angeschafft werden sollen sowohl US-amerikanische Maschinen des Herstellers Boeing als auch Eurofighter, wodurch der anschwellende Unmut der USA und Frankreichs besänftigt wie auch alle Anforderungen unter einen Hut gebracht werden. Diese betreffen nicht nur die von wachsenden Unwuchten erschütterte politische Konstellation, sondern auch die verschiedenen Aufgaben, welche die deutsche Luftwaffe künftig wahrnehmen soll.

Aktuell verfügt die Luftwaffe über insgesamt 226 Kampfflugzeuge, darunter 141 Eurofighter vom europäischen Hersteller Airbus und 83 Tornado-Jets im Flugbetrieb sowie zehn weitere, die für die Ausbildung am Boden und für wehrtechnische Tests genutzt werden. Der Tornado wurde vor rund 40 Jahren eingeführt und ist für die Aufgaben Luftangriff, taktische Luftaufklärung, elektronische Kampfführung und die nukleare Abschreckung vorgesehen. Deutschland gehört zu den letzten Nutzern dieses Flugzeugtyps, dessen Betrieb künftig zusätzliche Milliarden zu kosten droht, auch weil Ersatzteile zur Manufakturarbeit werden. [2]

Einigkeit herrscht in Politik und Streitkräften darüber, daß der Tornado ab 2025 durch ein modernes System abgelöst werden soll. Geplant ist bislang die Beschaffung von 30 F-18 Super Hornet, mit denen die "nukleare Teilhabe" Deutschlands sichergestellt werden soll, also im Ernstfall US-Atombomben eingesetzt werden könnten, sowie 15 F-18 Growler zur elektronischen Kampfführung. Zudem ist die Anschaffung von bis zu 93 Eurofightern von Airbus geplant, die alte Eurofighter-Modelle und einen Teil der Tornado-Flotte ersetzen und für Luftangriffe und die taktische Luftaufklärung zuständig sein sollen. Außerdem handelte SPD-Finanzminister Olaf Scholz, einst Hamburgs Erster Bürgermeister, heraus, daß die Bundeswehr kurzfristig zwei Verkehrsflugzeuge vom Typ A321 beschaffe. Diese habe die Lufthansa bei der Hamburger Airbus-Werft bestellt, könne sie aber nun wegen der Coronakrise nicht abnehmen. Die beiden Maschinen sollen als Truppentransporter und fliegende Sanitätsstation ("MedEvac") eingesetzt werden.

Offiziell lagern 20 Atombomben an einem geheimen Ort in Deutschland, bei dem es sich bekanntlich um den rheinland-pfälzischen Fliegerhorst Büchel handelt. Wie bislang die Tornados werden auch die F-18 Super Hornets für den Transport und Abwurf US-amerikanischer B61-Atomwaffen zugelassen. Das wäre auch bei Eurofightern möglich, doch ließen die zuständigen US-Behörden durchblicken, daß in diesem Fall die notwendige Zertifizierung drei bis fünf Jahre länger auf sich warten ließe als bei den F-18. Begründet wurde dies damit, daß bereits die Vorgängermodelle der F-18 zertifiziert wurden. Wenngleich diese Erklärung nicht ganz abwegig ist, liegt doch der Verdacht nahe, daß die US-Administration damit zugunsten eigener Rüstungsfirmen interveniert. [3]

Paris fürchtete um die Zukunft des deutsch-französisch-spanischen "Future Combat Air Systems" (FCAS), für das Ursula von der Leyen im Juni 2019 die Verträge unterzeichnet hat. Das FCAS verfügt durch die Integration von Störsystemen über Fähigkeiten zur Elektronischen Kampfführung, die dem Eurofighter fehlen. Wird diese Technik von den Amerikanern eingekauft, kann sie nicht ohne weiteres für das FCAS-System übernommen werden. Deshalb beharren die Franzosen darauf, daß der neben dem französischen Rüstungskonzern Dassault an FCAS beteiligte Airbus-Konzern eigene Technologien entwickelt, mit denen das möglich ist. Die französische Regierung dürfte auf diesem Weg ihrerseits versucht haben, die Anschaffung der F-18 durch die Bundeswehr zu verhindern.

Der Vorschlag sei ein Kompromiß, so Kramp-Karrenbauer vor dem Verteidigungsausschuß. Er garantiere den Erhalt von industriepolitischen Fähigkeiten in Deutschland und Europa und bilde eine Brücke in die Zukunftstechnologie des künftigen europäischen Luftkampfsystems FCAS. "Deswegen kann ich diesen Vorschlag auch wirklich voller Überzeugung vorlegen", sagte sie. [4] Was nun den aktuellen Eklat betrifft, war der Verteidigungsministerin offenbar daran gelegen, Führungsstärke zu signalisieren und umgehend Nägel mit Köpfen zu machen. Soweit sich anhand einander widersprechender Aussagen ein Verlauf rekonstruieren läßt, ist sie eigenen Angaben zufolge seit dem 25. März mit den beiden SPD-Ministern Heiko Maas und Scholz "im intensiven Austausch" gewesen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Airbus seien in die Gespräche eingebunden gewesen. Scholz und Maas hätten zugesichert, die eigene Fraktion zu unterrichten. Nachdem es bis Freitag aber keine Rückmeldung gegeben habe, habe sie am Sonntag von sich aus den SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und Fritz Felgentreu, den verteidigungspolitischen Sprecher der SPD, informiert. Kurz vorher hatte der Spiegel jedoch gemeldet, daß sie ohne Absprache mit der SPD bereits per Mail den amerikanischen Verteidigungsminister Mark Esper über ihre Kaufabsicht informiert habe.

Die Verteidigungsministerin verteidigte ihr Vorgehen mit den langen Vorlaufzeiten bei solchen Projekten. "Wir müssen im Ministerium jetzt mit den Vorarbeiten beginnen, damit wir im Jahr 2022 oder 2023 eine entscheidungsreife Vorlage für den Bundestag haben." Sie könne "heute keine Garantie geben, wie die Gespräche und Verhandlungen mit der amerikanischen Seite" laufen werden, aber das Ministerium könne erst dann dem Parlament etwas vorlegen, "wenn es einen tragfähigen Vertragsentwurf in den Händen hält". Ihr Sprecher dementierte eine Zusage gegenüber Mark Esper, dem die Ministerin lediglich mitgeteilt habe, "dass sie beabsichtigt, eine Lösung vorzuschlagen, die sich zu einem Anteil von weniger als einem Drittel auf US-Produkte stützt". Da angesichts dieser ausweichenden Angaben offen blieb, was genau mit dem US-Amtskollegen besprochen worden war, forderte die Opposition, Dokumente darüber vorzulegen. Dem kam die Ministerin aber nicht nach.

Für die SPD geht es vor allem darum, einen militaristischen Kurs zu unterstützen, aber mit Blick auf ihre schrumpfende Klientel in bestimmten Fragen den Eindruck zu erwecken, sie unterscheide sich von der Union und lasse rüstungspolitische Besonnenheit walten. Dabei geben die Sozialdemokraten ein in sich widersprüchliches Bild ab. Ihr Verteidigungspolitiker Fritz Felgentreu verlautbart, die "nukleare Abschreckung" solle "nicht leichtfertig aufgegeben" werden, weil sie "auf absehbare Zeit ein wesentlicher Bestandteil der europäischen Sicherheitsarchitektur" bleibe und Deutschland "einen größeren Einfluss auf die Nuklearstrategie der NATO" sichere, über den sich "Rüstungskontrolle und Abrüstung durchsetzen" ließen.

Ein anderer Teil der SPD-Fraktion sieht die Tornado-Nachfolgerfrage hingegen als Gelegenheit, einen Abschied aus der "nuklearen Teilhabe" zu thematisieren. Dazu gehört auch Fraktionschef Rolf Mützenich, der bislang auch den Kauf von US-Flugzeugen ablehnt. Die "nukleare Teilhabe" beruht auf einem Geschäft auf Gegenseitigkeit aus dem Kalten Krieg: Die USA lagern Atombomben in Deutschland, welche die Bundeswehr im Ernstfall in ihr Ziel fliegt, wofür Deutschland einen Sitz in der Nuklearen Planungsgruppe der NATO bekommt und über die Atomstrategie des Bündnisses mitreden kann. Ernsthaft in Frage gestellt haben die Sozialdemokraten die "nukleare Teilhabe" selbst zu Zeiten ihrer Kanzler nie. Deshalb steht zu erwarten, daß sie es auch im aktuellen Fall nicht ernsthaft vorhaben, sondern auf Verzögerungstaktik setzen, indem sie eine "sorgfältige Erörterung" geltend machen, wie dies Fraktionsvize Gabriela Heinrich kürzlich zu Protokoll gab. [5]

Woher der militaristische Wind weht, gab Felgentreu klar zu erkennen. Für die SPD sei nicht geklärt, warum nicht alle Aufgaben mit einem europäischen Flugzeug übernommen werden könnten. Wenn dies aber so sei, bleibe die Frage: "Warum entscheidet man sich dann nicht für das modernste Flugzeug auf dem Markt, das wäre in diesem Fall die F-35, sondern lediglich für das zweitmodernste Flugzeug, das auf jeden Fall nicht mehr die gleiche Art von Zukunftsperspektive hat. Auch da müssen wir noch weiter diskutieren." Warum nicht gleich das hochwertigste System der Amerikaner kaufen, auch wenn es die ohnehin schon immensen Kosten um viele weitere Milliarden steigern würde, so die Logik des sozialdemokratischen Verteidigungspolitikers.

Die Grünen sind bekanntlich nicht mehr für alle Kriege, sondern nur diejenigen, die sie für richtig halten, weil es angeblich humanitär zu intervenieren und Diktatoren zu stürzen gelte. Sie stören sich nicht an dem Rüstungsvorhaben als solchem, sondern werfen wie Tobias Lindner der Verteidigungsministerin vor, sie übergehe das Parlament. "Das Verfahren von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, per E-Mail in Washington den Kauf von Maschinen in Aussicht zu stellen, ist aber hochgradig irritierend", so der grüne Verteidigungspolitiker. "Sie übergeht damit den Deutschen Bundestag und macht damit gegenüber Washington Versprechungen, die sie nie einhalten können wird." Kramp-Karrenbauers Vorgehen sei "eine Missachtung des Parlaments", das in Deutschland bei allen Rüstungskäufen über 25 Millionen Euro ein Mitspracherecht habe.

Auch die FDP ist nicht gegen Rüstung und Krieg, will aber alles neoliberal-marktgetrieben beschleunigen und effizient über die Bühne bringen. Ihre verteidigungspolitische Sprecherin Marie-Agnes Strack-Zimmermann kritisiert die SPD, weil sie seit Jahren die Tornado-Nachfolge mit allen Mitteln blockiere. Kramp-Karrenbauer stehe jedoch "mit ihren Plänen zur Nachfolge des Tornados ziemlich alleine", da es "keinerlei abgestimmtes Vorgehen der Koalition" gebe. "Die Ministerin fliegt mit ihrem Ministerium los und die Sozialdemokratie fliegt hinterher oder fliegt gar nicht." Der FDP-Haushaltsexperte Karsten Klein sprach von "Steuerverschwendung erster Güte" und wies auf zusätzliche Milliardenkosten für einen längeren Betrieb der veralteten Tornados hin. Her mit den neuen Flugzeugen, so schnell es nur geht, fordert die FDP, und behauptet dabei auch noch, im Interesse der steuerzahlenden Bevölkerung zu handeln. Dabei könnten sich nach Berechnungen der Friedensorganisation ICAN die Gesamtkosten von insgesamt 135 neuen Flugzeugen inklusive 90 Eurofightern über eine veranschlagte 30jährige Nutzungszeit mit Ausgaben für Wartung, Treibstoff, etc. auf mehr als 100 Milliarden Euro belaufen. [6]

Und was sagt die Linkspartei, soweit sie von den bürgerlichen Medien überhaupt in Rüstungsfragen zitiert wird, die ihr mangels vorbehaltloser Kriegsbereitschaft die Regierungsfähigkeit absprechen? Immerhin wird Sevim Dagdelen erwähnt, die "eigenmächtige Absprachen" Kramp-Karrenbauers kritisiert habe, und auch Gregor Gysi mit dem Vorwurf, die Verteidigungsministerin setze angesichts der Corona-Epidemie falsche Prioritäten. Gysis Ausflucht, die implizit eine Aufrüstung unter anderen Umständen nicht ausschließt, zeugt von dem Dilemma Der Linken, das zuletzt bei der Strategiekonferenz in Kassel offen zutage trat. Regierungsbeteiligung auf Bundesebene oder nicht - wo doch dem potentiellen Juniorpartner in einer theoretischen rot-rot-grünen Koalition zweifellos ein Bekenntnis zur Kriegsführung der Bundeswehr abgenötigt würde, wie es die Staatsräson erzwingt. Gewisse Kompromisse müsse man eingehen, mahnten etliche Stimmen aus der Führungsriege der Partei, während die Kriegsfrage wie der sprichwörtliche Elefant im Raum stand.


Fußnoten:

[1] de.sputniknews.com/technik/20200422326945929-akk-kritik-f-18-vorschlag/

[2] www.tagesschau.de/inland/bundeswehr-eurofighter-f18-101.html

[3] www.heise.de/tp/features/Kampfflugzeuge-Kramp-Karrenbauer-fixiert-Split-Loesung-4705726.html

[4] www.zeit.de/politik/deutschland/2020-04/luftwaffe-annegret-kramp-karrenbauer-bundestag-us-kampfflugzeuge

[5] www.tagesspiegel.de/politik/groko-streit-um-kampfflugzeuge-tornado-macht-die-bundeswehr-indirekt-zur-miniatur-atomstreitkraft/25756432.html

[6] www.jungewelt.de/artikel/376825.aufrüstung-atombomber-im-anflug.html

23. April 2020


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