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KRIEG/1779: Militär - Rüstung nimmt weltweit zu ... (SB)



"Beschämende Zahlen! Deutschland ist Aufrüstungsweltmeister. (...) Wir brauchen erst recht seit der Corona-Krise ein Umdenken und Umsteuern! Abrüstung weltweit ist das Gebot der Stunde."
Dietmar Bartsch (Fraktionsvorsitzender Der Linken im Bundestag) [1]

Deutscher Militarismus unterfüttert und flankiert in wachsendem Maße die ökonomische Stärke einer Exportwirtschaft, die auf den ungehinderten Nachschub an Rohstoffen, globale Transportwege und das Niederkonkurrieren anderer Volkswirtschaften angewiesen ist. Das gilt um so mehr in Zeiten anwachsender Krisen angesichts eines dramatischen Schwindens elementarer Voraussetzungen des Überlebens, die den Krieg mit zivilen und militärischen Mitteln auf die Tagesordnung setzen. Diese Kriegsführung im Dienst der Herrschaftssicherung endet nie, doch variiert ihre jeweilige Gewichtung, Geschwindigkeit und Intensität. So unabdingbar daher Bemühungen um Deeskalation und Abrüstung sind, greifen sie doch letzten Endes nur im Zusammenhang eines umfassenden Verständnisses der Klassengesellschaft, kapitalistischen Wirtschaftweise und imperialistischen Expansion sowie insbesondere einer fundamentalen Gegenposition. Denn so plausibel die traditionelle Forderung der Friedensbewegung "Schwerter zu Pflugscharen" anmuten mag, schließt sich daran doch eine ganze Reihe zu präzisierender Fragen an. Wie soll der Pflug hergestellt, wie der Boden bearbeitet, wie die Feldfrucht geerntet, wie diese zur Ernährung erworben werden? Auf welche Weise soll gesellschaftliche Arbeit organisiert, Ernährungssouveränität geschaffen, ökologisch gewirtschaftet, der Hunger gestillt werden? In diesem Sinne sind Aufrüstung und Kriegsführung Wesensmerkmale der vorherrschenden Wirtschaftsweise, Produktionsverhältnisse und Eigentumsordnung. Um die Eigentumsfrage und folgerichtig die Machtfrage kommt demnach nicht herum, wer diesen Verhältnissen nicht nur auf den Grund gehen, sondern sie auch wirksam verändern will.

Auslandseinsätze der Bundeswehr in diversen Kriegs- und Krisengebieten, im Zuge der Coronapandemie zugleich verstärkt im Inland, Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter und steigende Exporte einheimischer Waffenschmieden, Beschaffung von Waffensystemen und Vereinbarungen zur Entwicklung neuer Technologien und der wachsende Anteil der Militärausgaben sind verschiedene Aspekte eines Komplexes forcierter Waffengewalt. Den ideologischen Rahmenplan steuern Entwürfe von Denkfabriken bei, welche die Erweiterung künftiger Einflußnahme im Sinne des Konzepts "Neue Macht. Neue Verantwortung" postulieren. Das militärische Gewicht der Bundesrepublik soll im Kontext der Bündnispolitik in NATO und EU anwachsen, doch zugleich immer eigenständiger eine Führungsposition anstreben.

In welch hohem Maße deutsche Regierungspolitik diesem Vorsatz Rechnung trägt, unterstreichen die vom Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri aktuell vorlegten Zahlen. Demnach hat Deutschland im vergangenen Jahr seine Militärausgaben so stark erhöht wie kein anderes Land unter den Top 15 der aufrüstenden Staaten. Während im weltweiten Schnitt gegenüber 2018 ein Zuwachs um 3,6 Prozent auf einem neuen Höchststand seit Beginn vergleichbarer Sipri-Aufzeichnungen im Jahr 1988 zu verzeichnen war, legte die Bundesrepublik um 10 Prozent zu. Mit 49,3 Milliarden Dollar kletterte Deutschland damit um zwei Plätze auf Rang sieben vor, dicht hinter Frankreich (50,1 Mrd.), aber noch vor Großbritannien (48,7 Mrd.) und Japan. [2]

Sipri fand für den jährlich erscheinenden Bericht diesmal relevante Daten aus 150 Ländern. Das Institut stützt sich in den Berichten traditionell nicht nur auf offizielle Regierungsangaben zum Verteidigungsbudget, sondern berücksichtigt auch weitere Quellen wie Statistiken von Zentralbanken und der NATO sowie Regierungsantworten auf Umfragen etwa der Vereinten Nationen. Zu den Ausgaben werden auch die Aufwände für das Personal, Militärhilfen sowie militärische Forschung und Entwicklung gerechnet. Die Zerstörung von Waffen und der Zivilschutz werden dagegen neben anderem nicht dazu gezählt. [3]

Die Friedensforscher machten in ihrem Bericht darauf aufmerksam, daß ihre Schätzungen für Deutschland um 3,3 Milliarden Dollar unter denen lägen, die das Land für 2019 als "Verteidigungsausgaben" bei der NATO angegeben habe. Das lasse sich damit begründen, daß Berlin in diesen Ausgaben unter anderem auch nichtmilitärische Aufwände etwa für bestimmte humanitäre und Entwicklungshilfe berücksichtigt habe, die bei Sipri nicht zu den Militärausgaben gerechnet werden. Wenngleich man von einem Rechentrick sprechen könnte, mit dem die Bundesregierung den deutschen Beitrag nominell höher veranschlagt, beruht er doch auf einer nicht von der Hand zu weisenden Einschätzung. Humanitäre und Entwicklungshilfe unter sicherheitspolitischer Einflußnahme zu verbuchen kommt dem dabei leitenden Interesse sehr viel näher als der zivil verbrämte Deckmantel uneigennütziger Unterstützung.

"Der Zuwachs bei den Militärausgaben in Deutschland kann bis zu einem gewissen Grad mit der Wahrnehmung einer verstärkten Bedrohung durch Russland erklärt werden, die von vielen Nato-Mitgliedsstaaten geteilt wird", so Sipri-Forscher Diego Lopes da Silva. Ein weiterer Treiber dürfte der zunehmende Druck der US-Regierung sein, die bereits unter Obama, doch nun verstärkt unter Donald Trump von der Bundesregierung verlangt, die NATO-Vorgaben bei den Verteidigungsausgaben zu erfüllen. Beim Gipfel des Militärbündnisses 2014 in Wales hatten sich die Teilnehmer als Ziel vorgenommen, zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in die Verteidigung zu stecken. "Die Verbündeten streben danach, sich dem Zwei-Prozent-Richtwert innerhalb eines Jahrzehnts anzunähern", hieß es in der Abschlußerklärung. 2019 betrug der Anteil in Deutschland 1,35 Prozent. Er soll bis 2024 nach dem Willen der Bundesregierung auf 1,5 Prozent ansteigen. Neben Deutschland verfehlen auch mehrere andere NATO-Staaten den anvisierten Wert, denn europaweit betrug er durchschnittlich 1,7 Prozent, während er weltweit, vor allem dank der 3,4 Prozent der USA, bei 2,2 Prozent lag.

Da sich Sipri als Friedensforschungsinstitut positioniert, in den Konfliktlagen aber Neutralität für sich in Anspruch nimmt, um die Unabhängigkeit seiner Datenerhebung zu unterstreichen, fallen interpretative Erklärungen zwangsläufig mager aus. So wäre insbesondere anzumerken, daß die angeblich wachsende Bedrohung durch Rußland in hohem Maße ein Produkt der NATO-Osterweiterung ist. Zudem liefert dieses Szenario wie auch der Druck seitens Washingtons den Protagonisten deutscher Aufrüstung vorzügliche Vorwände, langgehegte Pläne in die Tat umzusetzen. Den Rüstungsetat massiv auszuweiten ist nur auf Kosten anderer Haushaltsposten wie insbesondere der Sozialausgaben möglich. Um keine schlafenden Hunde zu wecken, täuscht Regierungspolitik vor, sie reagiere notgedrungen auf äußere Gefahrenlagen und eingeforderte Bündnisverpflichtungen, wenn sie der Bevölkerung weitere Lasten aufbürdet.

Weltweit stiegen die Militärausgaben 2019 um 3,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf insgesamt 1,917 Billionen Dollar, den höchsten Wert seit der Finanzkrise von 2008. Den mit Abstand größten Wehretat haben die USA, mit 732 Milliarden (38 Prozent) so viel wie die nächsten zehn Staaten zusammen. Gegenüber 2018 war dies ein Zuwachs von 5,3 Prozent, der auf die Rekrutierung zusätzlichen Personals und eine Modernisierung nuklearer und konventioneller Waffen zurückzuführen ist. Pieter Wezeman, einer der Autoren des Sipri-Berichts, sieht den Grund für den jüngsten Anstieg in der "Rückkehr zu einem Wettbewerb der Großmächte", der sich in der Wahrnehmung der Amerikaner vollziehe.

Die führenden fünf Staaten USA, China, Indien, Rußland und Saudi-Arabien waren für fast zwei Drittel aller weltweiten Ausgaben verantwortlich. China gab 2019 mehr als 260 Milliarden Dollar für die Streitkräfte aus, der Zuwachs (5,1 Prozent) war ähnlich groß wie in den USA. Die chinesischen Militärausgaben nahmen zwischen 2010 und 2019 um 85 Prozent zu. Indien hatte mit einer Steigerung von 6,8 Prozent den höchsten Zuwachs unter den Top fünf, was Sipri auf die Spannungen mit Pakistan und China zurückführt. Rußlands Ausgaben lagen bei 65 Milliarden US-Dollar, ein Zuwachs von 4,5 Prozent. [4] Die russischen Aufwendungen sind seit 2000 um 175 Prozent gestiegen, was ebenso wie das Beispiel Chinas von einem Rüstungswettlauf zeugt, den insbesondere die weit überlegenen westlichen Mächte befeuern und zu einem Teil ihrer Kriegsführung machen. Wie schon die Sowjetunion auf diese Weise in die Knie gezwungem wurde, soll auch Rußland in eine Überstreckung der Militärausgaben zu gravierenden Lasten aller anderen staatlichen Sektoren getrieben werden. Zugleich läßt die forcierte Aggression der US-Regierung gegen China auf das Bestreben schließen, diesen Konflikt auf die eine oder andere Weise final auszutragen, ehe der chinesische Aufstieg nicht nur ökonomisch, sondern auch militärisch eine neue globale Führungsmacht hervorgebracht hat.

Saudi-Arabien, das 2018 noch den dritthöchsten Etat hatte, gab im vergangenen Jahr mit 61,9 Mrd. Dollar 16 Prozent weniger für das Militär aus. Wenngleich der Angriffskrieg im Jemen fortgesetzt wurde und die Spannungen mit dem Iran zunahmen, zwingen die fallenden Öleinnahmen das Königreich offenbar dazu, den auf den weltweiten Spitzenwert von 8 Prozent des BIP aufgeblähten Rüstungsetat zu reduzieren. Die Strategie des repressiven Regimes in Riad, die künftig schwindende immense Geldschwemme rechtzeitig in den Erwerb militärischer Macht und nicht so sehr in den konsequenten Umbau der Wirtschaft und insbesondere eine freizügigere und sozialere Gesellschaft zu investieren, darf als ein extrem abschreckendes Beispiel verfehlter Entwicklungspolitik angeführt werden.

Was aber die militärischen Ambitionen deutscher Regierungspolitik betrifft, gehen Teile der Opposition und NGOs mit ihr ins Gericht. Die Linke spricht von "beschämenden Zahlen", denn die Ausgaben für das Militär saugten Ressourcen aus Bereichen der Gesellschaft, in denen das Geld dringend notwendig sei, so Fraktionschef Dietmar Bartsch. Die abrüstungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Katja Keul, spricht von "bedrückenden Rekordwerten", die die Notwendigkeit neuer Abrüstungsinitiativen unterstrichen. Und der Abrüstungsexperte von Greenpeace, Alexander Lurz, bilanziert: "Dass Deutschland im Vergleich zum Vorjahr den größten prozentualen Zuwachs der Militärausgaben unter den Top-15-Staaten verzeichnet, ist nichts anderes als eine Schande." Annegret Kramp-Karrenbauer solle ihr Budget kürzen und das Geld für einen grünen Wiederaufbau der Wirtschaft sowie Soziales und Gesundheit freigeben: "Die fetten Jahre für die Waffenindustrie müssen endlich vorbei sein."

Die Stockholmer Friedensforscher gehen angesichts der Coronakrise davon aus, daß damit vorerst ein Höchststand bei den weltweiten Militärausgaben erreicht ist. Der mit der Pandemie verknüpfte wirtschaftliche Abschwung werde einen großen Einfluß auf die Budgets der Regierungen haben. Die Länder müßten dabei unter anderem abwägen, ob sie ihre Mittel ins Militär oder in Gesundheitswesen, Bildung oder Infrastruktur investieren. Wie schon die Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 gezeigt habe, werde auch Corona zu rückläufigen Rüstungsausgaben führen. [5] Das dürfte wohl zutreffen, aber für sich genommen nach einer gewissen Übergangszeit in einen um so heftigeren nachholenden Zyklus münden - sofern dieser Entwicklung nicht aus den prinzipiellen Gründen eines anderen Gesellschaftsentwurfs ein Riegel vorgeschoben wird. Die vielbeschworene Rückkehr zur Normalität heißt Wohlstand und Sicherheit für wenige, aber Ausbeutung, Ausplünderung und Vernichtung für viele. Das schließt eine militärische Normalität ein, die mit deutscher Waffengewalt beim Inferno kräftig mitmischen will.


Fußnoten:

[1] www.zeit.de/news/2020-04/26/globale-militaerausgaben-auf-hoechststand

[2] www.waz.de/politik/rekord-deutschland-steigert-militaerausgaben-um-zehn-prozent-id228990877.html

[3] www.n-tv.de/politik/Deutschlands-Militaerausgaben-steigen-kraeftig-article21741571.html

[4] www.spiegel.de/politik/ausland/sipri-studie-diese-laender-geben-am-meisten-fuer-ihr-militaer-aus-a-d2d1080b-5a81-4c48-a2ac-61c1dcdf2d99

[5] www.stern.de/politik/ausland/corona--wettruesten-auf-neuem-hoechststand--aber--virus-wird--9240072.html

28. April 2020


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