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KRIEG/1802: Triebkraft der Aufrüstung ... (SB)



"[D]as Vorhalten modern ausgerüsteter Streitkräfte [ist] unumgänglich [...], um als politischer Akteur auf der internationalen Bühne ernst genommen zu werden. [...] Aber braucht es dazu unbedingt eine nationale Rüstungsindustrie? Der eigene sicherheitspolitische Handlungsspielraum ist ohne eine nationale Rüstungsindustrie mit Kernkompetenzen und nationalen Schlüsseltechnologien stark eingeengt. [...] In letzter Konsequenz würde man als internationaler sicherheitspolitischer Akteur nicht ernst genommen."
Erich Vad (Brigadegeneral a.D., Sekretär des Bundessicherheitsrates bis 2013, Berater von Kanzlerin Merkel) [1]


Für die deutsche Rüstungsindustrie brechen goldene Zeiten an. Den Krieg in der Ukraine befeuert und als Katalysator in Dienst genommen, entfesselt der grüne Kapitalismus einen Schub innovativer Verfügungsgewalt, zu dessen Durchsetzung die Menschen auf Kriegskurs getrimmt und Milliarden in den massiven Ausbau des Waffenarsenals investiert werden. Die Produzenten militärischer Güter müssen ihr Geschäft nicht länger unter dem Radar öffentlicher Aufmerksamkeit betreiben oder gar beim Export Kontrollmechanismen unterlaufen. Die Forderung seitens der säbelrasselnden Regierungspolitik und ihrer medialen Kriegstrommler, es gelte nun, weitaus mehr Waffen in wesentlich kürzerer Zeit bereitzustellen, wofür mit vollen Händen Haushaltsgelder ausgeschüttet werden, ist Wasser auf die Mühlen hiesiger Rüstungsschmieden und ihrer diversen Zulieferer.

Der eingangs zitierte Erich Vad trifft, wenngleich recht euphemistisch verbrämt, so doch den Nagel auf den Kopf. Kein aufstrebender Nationalstaat mit dem Anspruch auf einen Platz am Tisch der führenden Mächte kommt ohne eine seinen Ambitionen angemessene militärische Unterfütterung diesbezüglicher Ansprüche aus. Und dazu gehört zwangsläufig auch eine heimische Rüstungsindustrie auf dem Gipfel entfalteter Produktivkräfte und fortgeschrittener technologischer Entwicklung. Raubgetriebene Überlebensentwürfe, die auf der Ausplünderung der Natur und der Ausbeutung des Menschen gründen, bedürfen einer unablässig fortgeschriebenen Bestandssicherung der Herrschaft nach innen und außen, wofür die vorgehaltene Waffengewalt bürgt. Es geht im Zusammenhang deutscher Produktion und Auslieferung von Waffen aller Art also nicht nur um die Profite der betreffenden Branchen und Unternehmen oder die Frage von Krieg und Frieden, sondern um das gesamte Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse.

Das auf den ersten Blick einleuchtende Motto der Friedensbewegung "Schwerter zu Pflugscharen" unterstellt eine Dichotomie gegensätzlicher Pole, die mit einer vorgeblich naheliegenden Lösung hausiert, welche viel zu kurz greift. Wer davon spricht, dem Krieg eine Absage zu erteilen, sollte von der inhärenten Gewalt produktiver Vorherrschaft mit als friedlich ausgewiesenen Mitteln nicht schweigen. Das Elend des größten Niedriglohnsektors Europas trug maßgeblich dazu bei, Deutschland in den Rang der ökonomischen Führungsmacht auf dem Kontinent zu befördern, die den peripheren EU-Mitgliedern an die Gurgel geht. Als zeitweiliger Exportweltmeister sorgte die Bundesrepublik im Kontext ihrer Handelsbeziehungen dafür, andere Volkswirtschaften derart niederzukonkurrieren, dass ihre Unterwerfung in Permanenz festgeschmiedet wird. Und wo die hoch industrialisierte und subventionierte Landwirtschaft der EU andere Länder mit ihren Billigprodukten überschwemmt und deren einheimische Wirtschaft ruiniert, bleibt einem das Lob der Pflugscharen im Halse stecken. Kurzum, auch das empathische Lächeln friedlicher Beziehungen entblößt zugleich die Fangzähne stoffwechselgetriebener Not und gewaltsamer Vorteilsnahme.

Die weltweit vorangetriebene Implementierung ziviler Gewaltakte im Dienste der Wachstum erzwingenden und profitgetriebenen Wirtschaftsweise lässt das Millionenheer verdurstender und verhungernder, Krankheiten erliegender und zur Flucht gezwungener, in Elend vegetierender und versklavter Opfer unablässig anschwellen. Der seit jeher dominierenden Ratio der Unterwerfung und des Blutflusses entgegenzutreten bedarf folglich grundsätzlicherer Erwägungen und Handlungskonsequenzen, als den waffengestützten Krieg zu verdammen, aber die Ketten der Friedensordnung zu umarmen.

Blockaden zertrümmern, Verfügung perfektionieren

Da nun Krise um Krise kulminiert, über das drohende ökonomische Desaster auch noch die Pandemie hereingebrochen ist, während die Schläge der Klimakatastrophe eskalieren, so dass bereits davon die Rede ist, die kapitalistische Wirtschaftsweise sei endgültig an die Wand gefahren, greifen deren Protagonisten abermals zum ultimativen Mittel des offenen Krieges. Sind die multiplen Stränge des Verhängnisses derart zu einem kaum noch lösbaren Gordischen Knoten verstrickt und verschlungen, soll ein beherzter Schwertstreich ihn kurzerhand teilen und den Vormarsch in eine vielversprechende Zukunft freilegen. Wie seinerzeit die rot-grüne Bundesregierung mit ihrer Agendapolitik, Gesundheitsreform und Kriegsbeteiligung auf dem Balkan, springen dieselben parteipolitischen Fraktionen nun abermals innovativ in die Bresche - nicht um die sich auftürmenden Probleme zu lösen, sondern die Blockaden zu zertrümmern und die nächsthöhere Stufe des gesellschaftlichen Kontroll- und Verwertungsregimes durchzusetzen.

Da niemand auf seinen Lebensstandard verzichten will und viele einen weiteren sozialen Absturz fürchten, der Klimawandel als drängende Herausforderung wahrgenommen und Frieden wertgeschätzt wird, bedarf es nun einer mit Baumwolle umwickelten eisernen Faust, um der deutschen Bevölkerung den ihr aufgenötigten Schub möglichst widerstandsarm einzubleuen. Was von langer Hand vorbereitet war, hat der russische Angriff auf die Ukraine enorm beflügelt und beschleunigt. Der Feind gilt als enttarnt und muss mit Trommelfeuer unter Beschuss genommen werden, während aus voller Brust die Hymne unseres guten Krieges angestimmt wird. Stellt alle kleinlichen Sorgen zurück, schnallt den Gürtel für das große Werk enger und macht den Zaudernden mit dem Schlachtruf Beine: "Schwere Waffen für die Ukraine!" Fragt nicht danach, wie viele Menschen in diesem Krieg noch abgeschlachtet, wie viele weitere Städte in Schutt und Asche gelegt werden sollen, und fragt am allerwenigsten danach, wer auch hierzulande die monströse Zeche zahlen soll!

Die in den Rang einer Glaubensdoktrin erhobene Forderung nach deutschen Waffenlieferungen, die allein Erlösung in Aussicht stellen, verleihen der Aufrüstung eine Triebkraft, die sie gleichsam zum Schlüsselelement ideologischer Konversion qualifiziert. Längst sprießen die selbsternannten Waffenexperten und Schreibtischstrategen wie Pilze aus dem Boden, haben die aktuellen Frontberichte den Fußballergebnissen den Rang abgelaufen. Und wo sich Kriegsmüdigkeit einstellt, schüren neue Offensiven eine euphorische Siegesgewissheit, die in verzückter Ekstase jegliches Ansinnen von sich weist, das Geschehen ausnahmsweise einmal vom Ende her zu bedenken. Da freilich niemand mit Sicherheit sagen kann, ob die Bevölkerung in ihrer Mehrheit tatsächlich dasselbe denkt und empfindet wie die politische Sturmtruppe und deren journalistischer Tross, oder im Gegenteil mit Argwohn und wachsendem Groll dem harten Winter entgegenbangt, muss täglich nachgelegt werden.

Sturmgeschütz "Nationale Sicherheitsstrategie"

Derzeit wird federführend im Auswärtigen Amt unter der grünen Ministerin Annalena Baerbock eine Nationale Sicherheitsstrategie erarbeitet, die Kriegsfähigkeit und -bereitschaft auf höchstem Niveau festschreiben soll. Damit dieses Sturmgeschütz langgehegter bellizistischer Ambitionen nichts zu wünschen übrig lässt, gab Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht schon vorab sozialdemokratische Rückendeckung. Mit ihrer Grundsatzrede am 12. September steuerte sie die Steilvorlage bei, das in Deutschland erstmals auszuformulierende "oberste sicherheitspolitische Dachdokument" solle einen militärischen Führungsanspruch begründen, die deutschen Rüstungskontrollen auf den kleinsten gemeinsamen europäischen Nenner absenken und der Bevölkerung dauerhaft Opfer zu Gunsten der Aufrüstung abverlangen.

Dabei ist die vielzitierte Zeitenwende gar nicht so neu, geht sie doch nicht unwesentlich auf den sogenannten "Münchner Konsens" des Jahres 2014 zurück. Flankiert durch Ursula von der Leyen und Frank-Walter Steinmeier forderte der damalige Bundespräsident Joachim Gauck, Deutschland müsse selbstbewusst eine weltpolitische Führungsrolle anstreben, wofür es auch und gerade militärisch mehr "Verantwortung" in der Welt zu übernehmen gelte. Wenngleich der Rüstungshaushalt in den Folgejahren beträchtlich aufgestockt wurde, reichte er doch nicht aus, um die angestrebte Bandbreite der Maßnahmen zu finanzieren. Mit dem Sondervermögen von 100 Milliarden ist nun der Durchbruch gelungen.

Der deutschen Geschichte geschuldete historische Unwuchten räumt die Verteidigungsministerin zwar ein, glaubt die Vorbehalte in der Bevölkerung aber mit einem fadenscheinigen Hütchenspiel ad acta legen zu können. Dass Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zu Recht eine "größtmögliche Zurückhaltung" an den Tag legte, habe damals in die Zeit gepasst. Aber der Staat, der die damaligen Verbrechen begangen habe, existiere seit 80 Jahren nicht mehr. Wir lebten heute in einem anderen Land, das ein anderes Selbstvertrauen habe und deshalb ein neues Rollenverständnis benötige: "Kurz gesagt, was oft als Führungsmacht bezeichnet wird." "Gerade aufgrund unserer Geschichte haben wir einen nüchternen Blick auf die Macht und auf das Militärische", weshalb Deutschland geradezu prädestiniert sei, eine militärische Führungsrolle zu übernehmen. Es gehe dabei ja gewiss nicht "um nationales Prestige oder nationale Größe", sondern darum, einer "Friedensordnung Kraft zu geben, die Freiheit, Demokratie, Wohlstand und Stabilität garantiert". Nachdem das einmal klargestellt war, vergaß die Ministerin nicht anzumerken, dass es schon auch darum gehe, "unsere eigenen Interessen zu schützen". Jedenfalls müsse Deutschland künftig "einer der größten Bereitsteller von Kräften sein". [2]

Diese ideologische Volte, ausgerechnet aus der fatalen deutschen Geschichte einen erneuten militärischen Führungsanspruch abzuleiten, ist zwar schon recht altbacken, nimmt aber unter dem Banner grüner Regierungsbeteiligung abermals gewaltig Fahrt auf. Die "wertebasierte Außenpolitik" soll den Damm widerspenstiger Beharrungskräfte endgültig brechen und den Sprung in ein Regime beispielloser Zumutungen gangbar machen.

Zuallererst aber müssten deutsche Kampf- und Schützenpanzer geliefert werden, skandiert ein fulminanter Chor kriegsmuskelspielender Falken. "Dadurch, dass die Ukraine derart kampfwillig ist, um ihr Land zu verteidigen, muss [sie] jetzt unterstützt werden, um die Erfolge zu untermauern", predigt die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Strack-Zimmermann, und mit dieser Forderung steht sie in der FDP nicht allein. "Westliche Waffensysteme könnten in dem Abwehrkrieg der Ukraine gegen Russland einen Unterschied machen", spricht sich auch die Co-Vorsitzende der Grünen Ricarda Lang eindeutig für weitere Waffenlieferungen aus. Die Verabredung, dass kein Land Schützen- oder Kampfpanzer liefere, sei "nicht in Stein gemeißelt", befindet der SPD-Außenpolitiker Michael Roth, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Entsprechende Gespräche könnten "ganz schnell gehen". [3]

Deutsche Rüstungsexporte entfesseln

Als zweiten Streich fordert Lambrecht, die ihres Erachtens restriktiven deutschen Regeln für Rüstungsexporte zu lockern. Deutschland sei mit Blick auf europäische Kooperation bei Rüstungsprojekten "in einer Bringschuld" und mache eine solche Zusammenarbeit durch das Beharren auf Sonderregeln beim Export von Rüstungsgütern unzumutbar kompliziert. Die Bundesrepublik stelle sich mit ihrem Wertevorbehalt über die europäischen Partner, als reiche deren Moral nicht aus. Hier nehme der europäische Gedanke, den Deutschland aus gutem Grund gerne bemühe, die Bundesregierung ganz unmittelbar in die Pflicht: "Wir müssen also an die deutschen Export-Regeln ran, um der Kooperation bei wehrtechnischen Gütern einen mächtigen europapolitischen Schub zu verleihen!"

Wen kümmert schon das Geschwätz von gestern! Im Koalitionsvertrag hatten die Ampelparteien noch vereinbart, die Genehmigungspraxis bei Rüstungsexporten restriktiver zu gestalten. Nur "im begründeten Einzelfall, der öffentlich nachvollziehbar dokumentiert werden muss", sollten demnach Lieferungen von Rüstungsgütern an sogenannte Drittstaaten möglich sein, die weder Mitglied der NATO noch der Europäischen Union sind. Das Wirtschaftsministerium unter Leitung des Grünen Robert Habeck sollte dazu ein Rüstungsexportkontrollgesetz erarbeiten, in der EU wollte die Bundesregierung ebenfalls auf strengere Regeln hinwirken. [4]

Zurückhaltung sei völlig fehl am Platz, verkündet Lambrecht heute: Die Ukraine existiere nur deswegen, weil sie sich militärisch wehren könne. "Wir selbst brauchen starke, kampfbereite Streitkräfte, damit wir uns und unser Bündnis zur Not verteidigen können." Mit moralischem Anspruch lässt sich trefflich jonglieren, wo es gilt, gleichermaßen moralisch argumentierende Einwände im Kampf um die Deutungsmacht aus dem Feld zu schlagen.

Bundeswehr als zentrale Instanz der Daseinsvorsorge?

Da sich schwerlich leugnen lässt, auf wen die exorbitanten Kosten der Aufrüstung umgelastet werden sollen, bedient sich Lambrecht eines weiteren verbalakrobatischen Taschenspielertricks, indem sie den folgenschweren Angriff auf die soziale Lage kurzerhand umdeklariert. Deutschland müsse die Bundeswehr "wieder als zentrale Instanz für unsere Daseinsvorsorge betrachten", so die Verteidigungsministerin. Langfristig das NATO-Ziel von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Aufrüstung zu erfüllen, bedeute für den Haushalt, "intern umschichten zu müssen". [5] Was aus dem Munde der sozialdemokratischen Politikerin wie ein Federstrich in der Buchhaltung klingt, läuft für beträchtliche Teile der deutschen Bevölkerung auf eine gravierende Verschlechterung ihrer Lebensverhältnisse hinaus, die dauerhaft verankert werden soll.

Um vorzugaukeln, dass die Aufrüstung der Bundeswehr ohne Einschnitte bei anderen Haushalten vorangetrieben werden kann, wird sie zunächst mittels eines "Sondervermögens", also in Form zusätzlicher Schulden, finanziert. Was da aus dem Hut gezaubert wird, soll den Eindruck erwecken, die gewaltige Summe werde gleichsam aus dem Nichts geschöpft. Das ist jedoch Rosstäuscherei, da der Schuldendienst refinanziert werden muss. Vor allem aber gilt es zu bedenken, dass das Sondervermögen auf fünf Jahre begrenzt und dann aufgebraucht ist. "Wenn die Zeitenwende nachhaltig sein soll, wenn die Zukunftsaufgabe Sicherheit gelingen soll, dann werden wir auch noch mehr für Verteidigung ausgeben müssen", bringt Lambrecht bereits eine Nachfolgeregelung ins Spiel. Eindeutige Richtschnur sei ein Militärhaushalt, der dauerhaft mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes umfasse. Sollen die Anstrengungen der 100 Milliarden nicht vergeblich sein, brauche man dieses Geld "ohne Wenn und Aber und vor allen Dingen [...] langfristig".

In konkreten Zahlen ausgedrückt, wird sich der offizielle Militärhaushalt nach gegenwärtiger Beschlusslage im Jahr 2026 auf 50,1 Mrd. Euro belaufen. Zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes dürften jedoch zwischen 75 und 80 Mrd. Euro betragen, die sich dann zum letzten Mal über Entnahmen aus den Sonderschulden erreichen ließen. Folglich ist also spätestens 2027 eine Erhöhung des offiziellen Militärhaushaltes um rund 25 bis 30 Milliarden Euro angestrebt, was unter Beachtung der Schuldenbremse nur durch massive Kürzungen in anderen Bereichen möglich wäre. Das dürfte die Größenordnung des sozialen Kahlschlags umreißen, den die Bundesregierung mittels ihrer Rüstungsoffensive unwiderruflich festzurren will.

Antimilitarismus in Zeiten des Krieges

Wie seinerzeit bei den fatalen Hartz-Gesetzen geht es wiederum um einen Bruch sozialen Widerstands, den durchzusetzen es einer aufstrebenden und machthungrigen politischen Strömung bedarf, die ideologische Luftschlösser aufzublasen versteht und den Einsatz brachialer Mittel bis hin zum offenen Krieg nicht scheut. Beides ist unverzichtbar, um gemäß der Ratio "kreativer Zerstörung" die Menschen rabiat durchzurütteln und in berauschenden Furor des Hauens und Stechens zu versetzen, der keinen Gedanken an morgen kennt und von den Konsequenzen nichts wissen will, bis es zu spät ist, das Ruder herumzureißen. Die Front gesellschaftlicher Widerspruchslagen zu befrieden, indem eine Kriegsfront eröffnet wird, so dass die Staatenkonkurrenz einen nationalen Schulterschluss erzwingt, bedient imperialistische Interessen wie fundamentales Selbstbehauptungsstreben gleichermaßen. Herrschaft bemisst sich insbesondere an ihrer Zerstörungsgewalt, was wiederum eine verhängnisvolle Teilhaberschaft beflügelt, die in Vernichtung des proklamierten Feindes ihr Heil zu erkennen glaubt. Das Credo deutscher Außenpolitik, es gelte mit allen Mitteln dafür zu sorgen, dass sich die Russen ihr eigenes Grab schaufeln, findet seine Entsprechung in einer Gefolgschaft, die den in Aussicht gestellten Endsieg auf dem ukrainischen Schlachtfeld mit der eigenen Rettung verwechselt.

Die Generalstabspläne deutschen Vormachtstrebens wurden auf lange Sicht entworfen und sollen nun im Windschatten des Ukrainekriegs unter Hochdruck umgesetzt werden. "Krieg beginnt hier", halten Bündnisse widerständigen Protests entgegen, wenn wie jüngst in der Rüstungsstadt Kassel ein antimilitaristisches Camp die ortsansässigen Waffenschmieden von Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall aufs Korn genommen hat. Sie zählen zu den unmittelbaren Profiteuren der Konflikte, und nicht von ungefähr sind die Aktienkurse auch der deutschen Rüstungskonzerne seit Ende Februar 2022 massiv gestiegen. Gleiches gilt für die Waffenproduzenten in anderen Ländern, und so richtet sich die Parole der Antikriegsbewegung "Der Feind steht im eigenen Land" in einem internationalistischen Sinn gegen den weltweit agierenden militärisch-industriellen Komplex. So wurden in Belarus, Russland und der Ukraine Sabotageaktionen gegen die Logistik von Rüstungsgütern und Soldaten durchgeführt. Aufseiten der NATO-Staaten streikten im März und April in Griechenland und Italien linke Basisgewerkschaften gegen Waffentransporte in die Ukraine.

Die kurzzeitige Blockade der Kasseler Rüstungsschmiede hat auch hierzulande die Frage auf die Agenda gesetzt, wie gegen Aufrüstung und Militarismus gekämpft werden kann. Was mit symbolischen Gesten kundgetanen Protestes beginnt und sich überraschender Aktionen des zivilen Ungehorsams bedient betritt einen Weg, der mit jedem weiteren Schritt steiniger und einsamer zu werden droht. An Fragen wie diesen, ob es Waffenlieferungen für die Ukraine zu blockieren, die Bundeswehr abzuschaffen und die NATO aufzulösen gilt, scheiden sich rasch und nachhaltig die Geister. Denn wer einem Staatenkrieg zustimmt, unter welchen wertebasierten und menschenrechtlich drapierten Vorwänden auch immer, hat Frieden mit dem Staat und seiner Gewalt gemacht. Antimilitarismus in Zeiten des Krieges, so scheint es, steht vor der unablässig auszulotenden und weiterzuentwickelnden Herausforderung, sich des "Landesverrats" schuldig zu machen, während der massenhafte Marschtritt widerhallt.


Fußnoten:

[1] Handbuch Rüstung. Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. www.imi-online.de

[2] www.heise.de/tp/features/Deutschland-ein-anderes-Land-Die-militaerische-Fuehrungsmacht-7261532.html

[3] www.tagesschau.de/inland/rheinmetall-marder-101.html

[4] www.sueddeutsche.de/politik/lambrecht-ruestungsexporte-lockerung-1.5655490

[5] www.jungewelt.de/artikel/434541.ukraine-krieg-keine-zurückhaltung-mehr.html


19. September 2022

veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 177 vom 1. Oktober 2022


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