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LESERBRIEFE/007: Die Heimtücke sich einschleichender Prozesse ... (Afsane Bahar)


Die Heimtücke sich einschleichender Prozesse und die erschreckende Macht der Gewohnheit

Von Afsane Bahar, 7.5.2011


"Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich nicht protestiert; ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte."

Der deutsche Theologe und Vertreter der Bekennenden Kirche, Martin Niemöller, wird hier nicht zitiert, um einen geschichtlichen Vergleich aufzustellen, sondern lediglich um die Heimtücke sich einschleichender Prozesse einprägend darzulegen.

Vor dreißig Jahren wäre man in Deutschland mindestens für verrückt erklärt worden, wenn man den weltweiten Einsatz der Bundeswehr zur Verteidigung wirtschaftlicher Interessen propagiert hätte. Damals war das Grundgesetz das Papier wert, auf dem es geschrieben war.

Es war eine Selbstverständlichkeit, aus den beiden Weltkriegen und den Erfahrungen unter Naziherrschaft Konsequenzen und Lehren zu ziehen. Hierzu gehörten unter anderem die Trennung der Armee, der Polizei und der Geheimdienste. Hierzu gehörten aber auch die Verachtung von Folter, die Beachtung des Völkerrechts und die Einhaltung einfachster menschlicher Normen.

Noch vor einem Jahr musste ein Bundespräsident nach seinen Äußerungen bezüglich der wirtschaftlichen Interessen und des Krieges zurücktreten. Inzwischen gehört es zum trüben Alltag in unserem Lande, "deutsche Interessen" weltweit militärisch zu verteidigen. Inzwischen kann ebenfalls in Deutschland öffentlich darüber laut nachgedacht werden, unter Folter erstandene Geständnisse gerichtlich gegen den Gefolterten einzusetzen. Inzwischen können hohe Amtsträger unbestraft davon kommen, wenn sie ihrer Freude über die gezielte Tötung von Menschen medial wirksam freien Lauf lassen.

Wenn man die zügellose Dreistigkeit der zunehmend gleichgeschalteten Massenmedien bei der Verbreitung von Lügen und Halbwahrheiten berücksichtigt, könnte man zu der Annahme kommen, sie würden davon ausgehen, dass die Menschen in diesem Lande völlig benebelt und unempfindlich wären und den Sinn für Gerechtigkeit verloren hätten. Der Gedanke ist unerträglich und erschreckend, diese hypothetische Annahme würde mit der Realität übereinstimmen.


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Quelle:
© 2011 Dr. Amir Mortasawi (alias Afsane Bahar)
E-Mail: afsane.bahar@googlemail.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2011