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STELLUNGNAHME/010: Zu den Gewerkschaftswahlen der Gemeindebediensteten in Wien 2010 (Gilbert Karasek)


Gewerkschaftswahlen der GdG Wien 2010

Von Gilbert Karasek, 4. März 2010


Liebe FunktionärInnen!

Ich werde aus den unten angeführten Gründen nicht mehr Kandidieren.

Es ist mir unangenehm, eure berufliche (politische) Tätigkeit zu kritisieren, weil ich euch als Menschen (nicht eure politische Arbeit) schätze und liebenswert finde.

Ich kann mich nicht mit eurer politischen Tätigkeit identifizieren und weiter die Rolle des entmündigten Personalvertreters spielen. Schon deshalb nicht, da mir nicht nur alle Befugnisse zu Entscheidungen und Abstimmungen in den verschieden Entscheidungsgremien entzogen sind, sondern auch die bloße Anwesenheit als Zuhörer ist mir verboten. Diese streng nach oben ausgerichtete Hierarchie der Funktionärsklasse, deren Diktat ich sowohl als Mandatar wie auch als Arbeitnehmer unterworfen bin, widerspricht den Zweck der Gewerkschaft, da sie in dieser Konstruktion nur dem Wohl der Funktionärsklasse dient.

Um die politische Ausrichtung für die Gewerkschaften zu bestimmen, genügt es nicht nur die oberflächlichen Gegensätze zu sehen, wie sie zum Beispiel zwischen Wirtschaftskammer und Arbeitnehmerinnen sich anbieten. Denn auch der Staat ist nichts anderes als eine Körperschaft, wie eben die Wirtschaftskammer. Natürlich ist es nicht auf einen Blick zuerkennen welche Interessen der Staat vertritt. In seiner staatstragenden Autorität verschleiert er geschickt seine politischen Zwecke, indem er sich zu allen Klassen neutral darstellt. Aber jeder politisch gebildete Mensch weiß genau, dass das Kapital den Staat dirigiert und dass er mit seinem Parlamentarismus die Interessen des Kapitals, in Gesetze umwandelt.

Wie will Einer, der sich an den Staat gebunden hat, die Gesetze bekämpfen, die der Staat zur Aufrechterhaltung der Interessen der Arbeitgeber geschaffen hat?

Nämlich in so einem Verhältnis stehen die heutigen Gewerkschaften zum Staat. Die Funktionärsklasse hat die Gewerkschaften in diese Bindung hinein manövriert und hat sie an die bürgerlichen Gesetze gebunden, die der Staat eigens für die Interessen der Eigentümer geschaffen hat.

Das Bürgertum fördert mit Anreizen von Privilegien, die Bindung der Stellvertreterinnen zum Staat. Als Gegenleistung für die Privilegien, konservieren sie die Klassengegensätze. Sie bewahren somit die Ordnung, in der das Kapital über den Menschen herrscht. Übrigens, wenn eine Gewerkschaft die bürgerlichen Produktionsverhältnisse bewahrt, dann ist es egal, ob sie innerhalb oder außerhalb einer Sozialpartnerschaft steht.

Kommen wir zu der wichtigsten Funktion, nämlich die Überwachung der Ideologie, die die Stellvertreterinnen in den heutigen Gewerkschaften ausüben. Mit der Aufrechterhaltung der bürgerlichen Ideologie beeinflussen sie das Meinungsbild. Ihre Tätigkeit besteht darin, das Bewusstsein der Arbeitnehmerin, als gleichgültiges und unbewusstes Wesen zu konservieren; damit sie nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse durchschaut; damit sie nicht ihren Klassengegner erkennt; damit sie nicht sieht, was mit ihr als Arbeitskraft im Prozess der Arbeitsteilung geschieht. Praktisch, die Menschen dürfen nicht erfahren was mit ihnen geschieht, dies ist die simple Methode mit der sie in den Betrieben die Ruhe und Ordnung aufrechterhalten. Aber um dieses Klima der Ruhe, im Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital, auf "ewige Zeiten" zu bewahren, muss sie konsequent jede intellektuelle Entwicklung des Klassenbewusstseins unterdrücken. Für die Konservierung des reaktionären Bewusstseins, schaffen sie kompliziert Regeln, verschleiern die gesellschaftlichen Vorgänge und sorgen dass die Arbeitnehmerinnen nur gefilterte Informationen erhalten, die den Interessen der Arbeitgeber entsprechen. Sie drücken also das Bewusstsein der Arbeitnehmerinnen, indem sie alle ihre politischen Tätigkeiten und Erfahrungen vor ihr verstecken; verhandeln nur hinter ihren Rücken und schließen sie von allen Entscheidungen aus.

Sie stellen sich hinter den Ideologien und den Vorurteilen, mit denen das Kapital seine Herrschaft rechtfertigt. Andererseits bilden diese Vorurteile den Nährboden, auf diesem Rassismus und Fremdenhass gedeiht. Sie sind der Illusion verfallen, dass Rassismus, Fremdenhass und Religiösenwahn, die das Bürgertum an die Stelle des Klassenkampfs setzt, durch moralische Sprüche entschärft werden kann.

Die Funktionärsklasse ist ein fester Bestandteil des Kapitalismus. Sie ist ähnlich wie Anwälte, Notare und Politiker auf die Stellvertretung von Körperschaften, Personen und Rechten spezialisiert. Das Problem für die Arbeitnehmerinnen liegt daran, dass die Stellvertreterinnen nach dem bürgerlichen Prinzip der Teilung der Arbeit funktionieren. Die Arbeitnehmerin ist politisch deshalb entmündigt, weil die Teilung der Arbeit ihr die Selbstbestimmung entzieht und diese einer eigens dafür herausgebildeten Berufsgruppe zuteilt.

Aus dem Prozess der Teilung der Arbeit ergibt sich die Entmündigung. Die Arbeitnehmerinnen müssen nach dem bürgerlichen Recht, ihre Mündigkeit an einer Stellvertretung abtreten. Die einzige Freiheit, die das Bürgertum den Arbeitnehmerinnen zugesteht, sie darf sich alle vier bis fünf Jahre ihre Stellvertretung bzw. ihre Vormundschaft selbst auswählen.

Der ohnmächtige Zustand der Arbeiterinnenklasse wird durch die Arbeitsteilung herbeigeführt, weil sie ihre politischen Anliegen, Wünsche und Rechte an "Spezialisten" zu Verwaltung überträgt. Indem die Teilung der Arbeit, den Arbeitnehmerinnen die Befugnisse und Rechte entzieht, entzieht sie auch ihr die poltische Macht. Die Befugnisse und Rechte, die der Arbeitnehmerinnenklasse aberkannt und der Bürokratie zur "Obhut" zugesprochen ist, gibt ihr zugleich politische Macht.

Die Teilung der Arbeit mit ihrer Spezialisierung schafft erst die politisch entmündigte Klasse, die keine politischen Befugnisse und Rechte weder in der Gesellschaft, in den Betrieben noch in der Gewerkschaft hat. Auf der anderen Seite schafft sie die "hochgradigen Spezialisten", die die politischen Befugnisse und Rechte "verwaltet", also die herrschende Klasse. Dieser Zustand hebt die Gleichberechtigung in den Gewerkschaften auf.

Die Vormundschaft des Funktionärswesens über die Arbeiterinnen, bleibt so lange bestehen, wie die Teilung der Arbeit besteht. Die Teilung der Arbeit steht nicht nur im Widerspruch zur Gleichberechtigung, sie blockiert die Demokratie, den Fortschritt zur Selbstbestimmung; sie bildet ständig eine herrschende und eine beherrschte Klasse, und ermöglicht nur den Teil die demokratischen Freiheiten, der den anderen Teil der Gesellschaft diese Rechte und Freiheiten vorenthält. Die Teilung der Arbeit, die die Hierarchie von unmenschlichster Unterwerfungen der verschiedenen Rangordnungen der Macht und Unterdrückung schafft; von Befugten und Unbefugten, von Führer und Untertanen, bis hin zur bürgerlichen Krönung der faschistoiden Macht, wird durch die Gleichberechtigung für Alle abgeschafft.

Erst mit der erkämpften Gleichberechtigung wird die Demokratisierung zur Wirklichkeit; sie hebt die Vormundschaft der Funktionärsklasse und somit die Ohnmacht gegenüber dem Kapital auf. Mit der Einführung der Gleichberechtigung wird das Tätigkeitsfeld der Arbeiterinnen erweitert und zwar auf Kosten der verknöcherten Teilung der Arbeit, die in diesem Bereich seine Herrschaft über den Menschen verliert. Damit wäre auch das berufliche Ende der "hochkarätigen Spezialisten" (Funktionärsklasse) erreicht, die stets die Verwirklichung der menschlichen Gesellschaft sabotierte und das Leben der Arbeitnehmerinnen für den Erhalt der bürgerlichen Gesellschaft, in einem Zustand der Entmündigung, der Ohnmacht und Versklavung hielt.

Die Tätigkeit der Arbeitnehmerin und die der Stellvertreterin, werden zu einer Tätigkeit zusammengeführt. Die Arbeitnehmerinnen können erst ab da an, den Umgang mit ihrer Selbstbestimmung erlernen. Sie lernen in gemeinsamer Zusammenarbeit, selbst über ihre Tätigkeit und Bedürfnissen, über die Regeln ihres Arbeitslebens abzustimmen und damit auch umzugehen.

Würdet ihr euch in diesem Sinn einsetzen, dass die Arbeitnehmerinnen ihre Mündigkeit selbst erkämpfen; dass die Befugnisse und Rechte ein unveräußerliches Recht der Arbeitnehmerinnen ist, dass ihnen von keinen "hochgradigen Spezialisten" zur Verwaltung genommen werden kann, damit endlich Gleichberechtigung und Demokratie für alle in den Gewerkschaften zur Wirklichkeit wird, dann kann ich mich mit eurer Arbeit identifizieren. Und zur Einladung meiner Wiederkandidatur ist zu sagen, dass eine weitere Kandidatur nicht in Frage kommt. 1.) weil sie Anderen den politischen Bildungsweg versperrt; 2.) weil die Wiederwahl von gleichen Personen zwangsläufig demokratische Interessenskonflikte herbeiführt, 3.) weil sie zu einer einseitigen Tätigkeit führt, die der allseitigen Entwicklung im Wege steht; wie sie schon in der Arbeitsteilung beschrieben sind.

Gruß, Gilbert Karasek.


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Quelle:
& copy Gilbert Karasek, 4. März 2010
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2010