Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → MEINUNGEN


STELLUNGNAHME/081: Venezuela, COVID-19 und Präsident Trump (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Venezuela, COVID-19 und Präsident Trump

Von Günter Buhlke, 16. April 2020


Die menschliche Gemeinschaft unternimmt gegenwärtig große wissenschaftliche und organisatorische Anstrengungen, um gemeinsam die Pandemie unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Regierung von Venezuela meldet am 13. April 189 befallene Personen als Erfolg ihrer Quarantänemaßnahmen und der hohen Zahl der vorsorglich getesteter Personen.

Weltweit verhalten sich die Bevölkerungsschichten zunehmend solidarisch zueinander. Der Virus beachtet weder Ländergrenzen, noch fragt er, welcher politischen Meinung der Betroffene anhängt.

Mit Sorge werden die Auswirkungen in den New Yorker Stadtteilen Harlem und Bronx verfolgt.

Dennoch findet Präsident Trump Zeit, seinen politischen und wirtschaftlichen Krieg gegen Venezuela in den Zeiten der Pandemie erneut zu verschärfen. Ein Land, das vom Virus nicht verschont wird. Er setzt auf den venezolanischen Staatspräsidenten Maduro ein Kopfgeld von 10 Millionen US-Dollar aus und bereitet einen Strafprozess mit fragwürdigen Anklagepunkten vor.

Am 31. März 2020 verkündet Trump einen weiteren Plan, den Sturz der amtierenden venezolanischen Regierung zu vollziehen. Das Vorhaben trägt den unschuldigen Namen "Democratic Transition Framework for Venezuela". Ein Freundeskreis von 10 Claqueuren der 35 Staaten der Organisation Amerikanischer Staaten zollt Beifall. Der Außenbeauftragte der Europäischen Union, Josip Borell, sieht positive Ansätze in dem Plan, der im Erfolgsfall die Zurücknahme von Sanktionen in Aussicht stellt ("Übergangsplan" der USA für Venezuela vertieft die politischen Gräben) [1].

Mexiko und andere lateinamerikanische Länder lehnen den Plan ab. Sie setzen auf die Anerkennung der Selbstbestimmungsrechte aller Staaten, wie es die UN-Charta festlegt.

Die venezolanische Bevölkerung lebt seit 20 Jahren unter der ständigen Bedrohung eines Angriffsmodus, ausgelöst von dem in den USA herrschenden System und seinen Unterstützern in Venezuela.


Was sind die Hintergründe der Spannungen?

Mit seiner Regierungsaufnahme im Januar 2000 hatte Präsident Chàvez eine schrittweise Veränderung der Aufteilung der Einnahmen aus dem Export seiner Rohstoffe zugunsten der Bevölkerung eingeleitet. Die extreme Armut im Lande, die Hunger- und Wohnprobleme sollten im 21. Jahrhundert gelöst werden, wie es eine neue Landesverfassung vorsieht. Seine Regierung erfüllte die Millenniumsziele der ersten Entwicklungsdekade der UNO bis zum Jahr 2015. In der neuen Magna Charta hat die Beachtung der Natur einen höheren Stellenwert erhalten, um künftige Klimakatastrophen abzuwenden. Hohe Zustimmungsraten der Bevölkerung in Verfassungsreferenden waren eine logische Folge.

Das Konzept von Chàvez und seinem Nachfolger Maduro verspricht Erfolg, wenn die seit der Kolonialzeit über 500jährige erzwungene internationale Arbeitsteilung verändert wird. Das System Rohstoffexport und Import der Verbrauchsgüter hat keine Zukunft für die Lösung sozialer Probleme. Das Land braucht eigene Wertschöpfungsketten aus der Verarbeitung seiner Rohstoffe. Die Abhängigkeit von hochverzinslichen ausländischen Krediten zur Finanzierung des Gesundheitswesens, der Bildung, der Kultur und die Entwicklung eigener wissenschaftlicher Kapazitäten, sollten reduziert werden.

Das Vorhaben der Venezolaner stößt seit 20 Jahren auf heftigen Widerstand des gruppenegoistischen Kapitalsystems der USA. Es lag vom Anliegen her zu nahe an den revolutionären Beispielen von 1917 in Russland und Mexiko (John Reed, Mexiko in Aufruhr), 1948 in China und Osteuropa und im 20. Jahrhundert in Chile, Nicaragua, Bolivien u.a. Es waren Beispiele, die soziale Ziele verfolgen und die eine Selbstbestimmung herstellen sollen. Die Initiativen Mexikos 1974 zur Schaffung einer "Neuen Internationalen Wirtschaftsordnung" im Rahmen der UNO wurden von den USA abgelehnt. Auch der Vertrag von Tlatelolco über eine atomwaffenfreie Zone in Süd- und Mittelamerika erhielt keine Zustimmung der USA.

Die USA setzten in Venezuela Methoden der Truman-Doktrin von 1947 ein (Containment, dt. Zurückdrängung). Das sollte die Destabilisierung Venezuelas durch ein Paket von Maßnahmen bewirken. So durch Einengung der Versorgungslage, Inflation, Sanktionen, Abwerbungen, Finanzierung von Oppositionellen, juristische Beurteilungen, mediale Interpretationen unter anderem. International bekam die US-Administration Unterstützung von anderen westlichen Industrieländern und sie erhielt Plattformen von gleichgesinnten Gruppen in Venezuela.

In der Folge hat sich die Versorgungslage verschlechtert. Unzufriedenheit in der Bevölkerung stellte sich ein, was in der Verringerung der nachfolgenden Wahlergebnisse sichtbar wurde. Dennoch verfügt Präsident Maduro ein demokratisches Mandat von 67,8 % ab 2019 erneut das Land zu führen.

Neben fortgesetzten Sanktionen und verschiedenen Maßnahmen zur Destabilität wurde das Land bisher von fünf erfolglosen Großaktionen zum Sturz der Regierung überzogen:

  • 2002 Putsch gegen Chàvez und Generalstreik im staatlichen Erdölunternehmen PDVSA
  • 2004 Amtsenthebungsreferendum gegen Chàvez
  • 2015/2016 Versuch einer "Maidan-Variante" mit heftigen Straßenkrawallen
  • 2017 Inkraftsetzung einer militärischen Option, begründet mit Bedrohungen der USA-Sicherheit
  • 2019 Blockierung der Einnahmen aus dem Erdölexport

Der Plan vom 31. März 2020 kann als Nr. 6 eingestuft werden.

Als ein weiteres Ärgernis für die USA wurde die historische Anregung Simon Bolivars zur Schaffung einer "Patria Grande". Erste politische Ergebnisse waren die Bildung der UNASUR und der CELAC mit seinen 33 Mitgliedern aus Lateinamerika und der Karibik. Zur Stärkung wirtschaftlicher Unabhängigkeiten können Fortschritte der lateinamerikanischen Integration hervorgehoben werden, beispielsweise der ALBA-Verbund, das Projekt Petrocaribe, die Vorbereitung einer eigenen Verrechnungswährung "SUCRE". Der Gedanke der Patria Grande förderte den regelmäßigen Austausch von Erfahrungen der Länder auf dem "FORO SAO PAULO".

Die Regierung Deutschlands hat hohe Milliardenbeträge zur Überwindung der Folgen der Corona-Pandemie für die Wirtschaft und die Bevölkerung mobilisiert. Venezuela hat es durch Sanktionen, die das internationale Bankensystem einbeziehen, unendlich schwerer.

Die von den USA erhofften Ergebnisse eines Regierungssturzes stellen sich vor allem als Lasten für die Bevölkerung und die Wirtschaft heraus. Das Präsident Trump gegenwärtig in Zeiten einer Pandemie weiterhin auf Gewaltlösungen setzt, berechtigt die Frage, wo der humane Geist der oberen Schichten Nordamerikas geblieben ist, der Eleanor Roosevelt veranlasst hatte, in einer komplizierten Weltlage, die Charta der Menschenrechte als Baustein der Weltgemeinschaft der UNO einzuführen.

Hoffnungsvoll sind die Ankündigungen von Bill Gates, die Entwicklung eines Impfstoffes mit großen Beträgen zu unterstützen. Die Welt braucht breit aufgestellte humane Konzepte zur Entwicklung der Zukunft.

Die Pandemie hat das allgemeine Bewusstsein gestärkt, dass die Welt in einer Schicksalsgemeinschaft lebt.


Anmerkung:
[1] https://amerika21.de/2020/04/238855/usa-venezuela-politische-graeben


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

*

Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Reto Thumiger
E-Mail: redaktion.berlin@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. April 2020

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang