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STANDPUNKT/040: Eine Stimme der Vernunft aus dem Bundestag (Afsane Bahar)


Eine Stimme der Vernunft aus dem Bundestag

Von Afsane Bahar, 2.12.2010


Nichts ist schwerer
und nichts erfordert mehr Charakter
als sich in offenem Gegensatz
zu seiner Zeit zu befinden
und laut zu sagen: Nein

Kurt Tucholsky


Den Abgeordneten Karin Binder, Sevim Dagdelen, Heidrun Dittrich, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Harald Koch und Niema Movassat gilt meine aufrechte Hochachtung wegen ihrer heutigen persönlichen Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN "Menschenrechtslage im Iran verbessern" (BT-Drs. 17/4011) (1):

"Neben dem kritikwürdigen Vorgehen der Oppositionsparteien SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die erst einen gemeinsamen Antrag mit der Fraktion DIE LINKE vorbereitet haben, und dann den Regierungsantrag mitgezeichnet haben, lehnen wir den o.g. Antrag aus folgenden Gründen ab:

DIE LINKE hat sich bereits in den Beratungen mit der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für den Fall Ashtiani eingesetzt und die Verurteilung der Todesstrafe weltweit gefordert. Wir wollen ein starkes Zeichen setzen, um das Leben von Sakine Ashtiani zu schützen. Diese wichtigen zwei Forderungen werden in dem Antrag der vier Fraktionen konterkariert. Der Fall Ashtiani kommt nur als eine kleine Randbemerkung vor. Die weltweite Abschaffung der Todesstrafe bleibt gänzlich unerwähnt. Das zeigt, dass es CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht ernsthaft um das Leben von Frau Ashtiani geht.

Der Antrag "Menschenrechtslage im Iran verbessern" steht im Kontext der geopolitischen Eskalationsstrategie gegen den Iran. Der Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN missbraucht den Fall der zum Tode verurteilten Iranerin Ashtiani zu einer willkürlichen und in Teilen auch unseriösen Ansammlung von Vorwürfen gegen den Iran insgesamt. Unseriös ist dabei vor allem der wiederholte Bezug auf den Präsidenten Ahmadinedschad als Hauptverantwortlichen für die Menschenrechtsverletzungen. Diese gab es schon vor der jetzigen Regierung, auch ohne Ahmadinedschad. Die Kontinuität der Menschenrechtslage wird somit aufgrund geopolitischer Interessen bewusst ausgeblendet.

Wir lehnen den Antrag ab, weil er sich für Sanktionen ausspricht und dabei lediglich fordert, dass diese "in erster Linie das Regime und nicht die Bevölkerung des Landes treffen" sollen. Dass dies strukturell und praktisch unmöglich ist, ist spätestens seit den Sanktionen gegen den Irak bekannt, womit diese Forderung die geostrategische Motivation hinter diesem "Menschenrechtsantrag" weiter entlarvt.

Wir lehnen Forderungen nach Sanktionen im Falle des Iran grundsätzlich ab. Ohnehin geht es beispielsweise bei den EU-Sanktionen nicht um die Durchsetzung von Menschenrechten, sondern erklärtermaßen einzig und allein darum, Druck im Zusammenhang mit dem (zivilen) Atomprogramm auszuüben. Iran hat allerdings nicht gegen den Atomwaffensperrvertrag verstoßen, weshalb es auch in dieser Hinsicht keine Grundlage für Sanktionen gibt.

Anstatt sich seriös für das Leben der Iranerin Ashtiani einzusetzen, werden Menschenrechte wieder einmal als Einfallstor genutzt, um andere politische Ziele durchzusetzen. Dies untergräbt die Glaubwürdigkeit jeder Menschenrechtspolitik. Dieser Antrag leistet damit vor dem Hintergrund der konkreten Kriegsdrohungen gegenüber Iran - wie sie erst jüngst durch Veröffentlichungen auf Wikileaks bestätigt wurden - einer Zuspitzung der angespannten Situation Vorschub und ist deshalb gefährlich. Der Antrag erinnert an Vorgänge und Kriegslegitimationsversuche, wie wir sie im Vorfeld des völkerrechtswidrigen Feldzugs gegen den Irak erlebt haben. Wir sind gegen einen neuen Krieg im Nahen und Mittleren Osten, der katastrophale und unkalkulierbare Konsequenzen für die Gesamtregion hätte, und wenden uns gegen jedwede ideologische Kriegsvorbereitung. Aus diesen Gründen lehnen wir den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN "Menschenrechte im Iran verbessern" (BT-Drs. 17/4011) ab."

Im Rahmen der Artikelreihe "Bilder gegen den Krieg. Momentaufnahmen aus dem Iran" (2) schrieb ich am 31.12.2009: "Es ist eine heikle Situation, eine gefährliche Gratwanderung: wie soll ich die Gewaltherrschern in der Islamischen Republik Iran sachlich kritisieren und meine Mitmenschen dort in ihren Bemühungen für Freiheit, Gerechtigkeit und Vernunft unterstützen, ohne mich dabei mit den notorischen Scharfmachern und Handlangern des Großkapitals im "Westen" gemein zu machen, die bewusst den Weg für eine militärische Aktion gegen den Iran oder für eine Zerstückelung meiner Heimat ebnen?

Wie soll ich das menschenverachtende Gedankengut der herrschenden Geistlichkeit im Iran veranschaulichen, ohne mich dabei im Lager der Kräfte wiederzufinden, die die religiösen Differenzen verschiedener Volksgruppen ausnutzen, um Zwietracht und Gewalt zu verbreiten und so ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen durchzusetzen?

Wie soll ich den deutschen Leser darauf aufmerksam machen, dass das hiesige gesellschaftliche System basierend auf der kapitalistischen Produktionsweise die Hauptursache der weltweiten kriegerischen Auseinandersetzungen ist, dass die Friedensbewegung nur Flickwerk betreibt, solange die grundlegenden Probleme nicht klar und ohne Umschweife genannt werden.

Als Herzchirurg bin ich manchmal dazu gezwungen, als lebensnotwendige Maßnahme zunächst die Symptome einer Erkrankung zu behandeln, damit der Patient überhaupt am Leben bleiben kann. Sind die Symptome jedoch behandelt, so muss die konsequente Einstellung dazu führen, die Krankheit an ihren Wurzeln anzupacken.

Bis jetzt habe ich ständig darauf hingewiesen,

dass ich die heuchlerischen Phrasen wie "humanitäre Intervention", "responsibility to protect" und "Aufbau ziviler Strukturen" (neuerdings in Bezug auf Afghanistan ist noch "Übergabe in Verantwortung" hinzugekommen) verabscheue, die nur ein Deckmantel zur Sicherung des Fortbestandes der weltweiten Ausbeutung und Unterdrückung sind;

dass es einzig und allein die Aufgabe der iranischen Bevölkerung ist, Demokratie und Menschenrechte im Iran zu verwirklichen;

dass die Menschen anderer Staaten den Iranern am effektivsten helfen können, wenn sie dafür sorgen, dass in ihren eigenen Ländern Menschenrechte und Demokratie verteidigt bzw. verwirklicht werden.

Auch wenn es wie Asche im Munde wirken sollte, werde ich diese Aussagen auch in der Zukunft unermüdlich wiederholen, damit meine Kritik differenziert aufgenommen werden kann und damit diese Artikelserie gegen den Krieg nicht als Mittel zum Entfachen eines weiteren Elend und Hass verursachenden Krieges in der Region - nach den ermahnenden, ernüchternden, erschreckenden, entlarvenden Beispielen von Afghanistan und Irak - missbraucht werden kann."


Anmerkungen:
(1) http://www.inge-hoeger.de/politik/frieden/detail/zurueck/frieden/artikel/gegen-die-instrumentalisierung-von-menschenrechten-fuer-machtinteressen/
(2) http://friedenstreiberagentur.de/index.php?id=137,3219,0,0,1,0


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Quelle:
© 2010 Dr. Amir Mortasawi (alias Afsane Bahar)
E-Mail: afsane.bahar@googlemail.com
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2010