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STANDPUNKT/055: Der Westen und die Revolution (Vera Macht)


Der Westen und die Revolution

Von Vera Macht, Februar 2011


Wir im Westen, wir haben gerne das Gefühl, dass wir die arabische Welt unter Kontrolle haben. Die Länder dort sind strategisch wichtig, ölreich, und die Menschen fremdartig, auf eine uns beunruhigende Art und Weise. Aber sie sind eben hoffentlich weitestgehend unter Kontrolle, durch diktatorische Regime und politische oder auch mal militärische Intervention des Westens. Der westliche Diskurs dreht sich um die Frage, ob der Islam mit Demokratie überhaupt kompatibel ist, und ob somit auch muslimische Einwanderer in die Gesellschaften Europas integrierbar sind.

Doch nun ist genau diese auf Unterdrückung stützende Stabilität der arabischen Welt ins Wanken gekommen. In Tunesien ist der Diktator bereits gefallen, in Ägypten wackelt der 30 jährige Stuhl Mubaraks bedrohlich, und auch anderen Diktatoren im arabischen Raum wird mulmig zumute. Es ist jedoch nicht der heils- und demokratiebringende Westen, der diese Entwicklung ins Rollen gebracht hat, nein, dieser hat sie noch nicht einmal vorhersehen können, weshalb auch erstmal kein westlicher Politiker wusste, wie er reagieren soll.

Es waren die Menschen dieser Länder selber, die genug hatten, von Unterdrückung, Armut und Diktaturen. Die Millionen von Menschen, die dort auf die Straßen strömten, sind genau die, deren Religion und Mentalität Menschen- und Bürgerrechten in einem freien politischen System gegenüber zu stehen schienen. Millionen von Ägyptern harren nun seit zwei Wochen auf dem Platz der Befreiung aus, vereint im Kampf für Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit in ihrem Land. Die nur vielleicht Demokratie-kompatiblen arabischen Muslime riskieren ihr Leben für ein neues demokratisches System, hunderte von Todesopfern hat die Revolution bis jetzt gefordert. Muslime bilden Menschenketten um als menschliche Schutzschilde betende Christen vor Belästigungen zu bewahren.

Dies alles widerspricht so sehr unserem Bild von der islamischen Welt, dass es fast etwas beruhigend ist, wenn man den Erfolg der Revolution auf Medien wie Facebook oder Twitter zurückführen kann, westliche Medien, die immerhin wir dorthin exportiert haben und jetzt im besten Sinne der Demokratie genutzt werden. Und wenn man sich fragt, während man zu Hause auf dem Sofa sitzt, was man als sehr Demokratie-kompatibler christlicher Bürger denn als letztes politisches getan hat, im Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit im eigenen Land, dann fühlt man sich um einiges besser, wenn man bei Facebook den "teilnehmen" Knopf für den "virtual march of solidarity with Egypt" gedrückt hat. Schließlich ist das ja schon die halbe Miete, glaubt man den überschwänglichen Hochrufen auf die "Facebook-Revolution" und vergisst, dass die auch ohne jeglichen Internetzugang sehr gut vernetzt weiter gegangen ist.

Denn für eine Revolution braucht es mehr, als einen "gefällt mir" Knopf auf Facebook zu drücken. Man braucht das nötige Ausmaß an Verzweiflung über die politische und soziale Lage, vor allem jedoch Kraft, Mut, und den Glauben an eine bessere Zukunft. Das Internet spiegelt nur die Realität wieder, es erschafft keine neue. Wo keine revolutionäre Stimmung ist, schafft auch Facebook keine, selbst wenn das populäre soziale Netzwerk sehr wohl zur Mobilisierung der Jugend beigetragen haben mag. Doch um an den Erfolg eines Aufstands gegen ein mit unglaublicher Brutalität und Skrupellosigkeit vorgehendes Polizeiheer zu glauben, benötigt es eine soziale Vernetzung, die über online Beziehungen hinausgeht. Auf die Gefahr hin, am Ende alleine dazustehen, riskiert man nicht sein Leben. Nein, in Tunesien und Ägypten ist über Jahre hinweg eine kollektive Wut über die Situation gewachsen, die mit einem gemeinsamen Akt des Mutes und der kollektiven Stärke ausgebrochen ist.

In einem Land wie Ägypten, in dem über 40 Prozent der Bevölkerung von zwei Dollar am Tag leben, in dem 28 Prozent Analphabeten sind, war es wohl eher lediglich die westlich orientierte Elite des Landes, die sich auf Facebook organisiert hat.

Blickt man somit auf den Platz der Befreiung zu Gebetszeiten, wenn Abertausende an Menschen sich in Eintracht zum "Gott ist groß"-Ruf des Muezzin beugen, so sollte man vielleicht eher seine eigene Weltkonzeption hinterfragen, als den Milliarden schweren westlichen Mediengiganten Facebook zu feiern. Denn wollen wir im Westen am liebsten jeden einzelnen Moslem auf Demokratie-Fähigkeit überprüfen bevor er sich bei uns niederlassen darf, sehen wir jetzt im Fernseher tausende von Muslimen vereint im Gebet und im Kampf für Demokratie.

Vielleicht ist es genau diese Religion, die uns so Angst macht, die den Menschen jetzt die Stärke zum weitermachen gibt, vielleicht sind es eher Netzwerke religiöser Gemeinschaft, die die Menschen fern der spärlichen Elite so organisiert und vereint auf die Straßen strömen ließen. Vielleicht ist es genau dieses unbewusste Wissen, das uns auch leicht besorgt nach Ägypten blicken lässt, aus gewohnter Angst vor dem in den Köpfen allzeit präsenten islamistischen Terror.

Vielleicht sollten wir alle einfach mal die Klappe halten, und von den Ägyptern lernen, was Mut und Einsatz für Gerechtigkeit, Reform und den Kampf für ein besseres Morgen bedeutet. Denn dass wir selbst zu Hause auf dem Sofa sitzend im Geschehen live dabei sind, über Facebook und Twitter fast direkten Kontakt zu den Demonstranten haben, das ist auf jeden Fall ein großer Verdienst dieser Medien, der gewürdigt werden muss. Und genutzt werden sollte. Denn wenn revolutionäre Ägypter nur einen Mausklick entfernt sind, dann kann man sich wieder darauf besinnen, dass Demokratie vor allem auch bedeutet, Menschen nicht in "wir" und "sie" aufzuteilen. Dass man keine Feindbilder aufgrund von Fremdartigkeit aufbaut, sondern wieder daran denkt, dass wir alle, ob in Europa und Ägypten, die gleichen Ziele und Vorstellungen für unser Leben und unsere Gesellschaft haben.

Und dann ist es vielleicht an der Zeit, einfach mal den Laptop zu zu klappen, unsere Facebook Seite nicht zum hundertsten Male am Tag auf virtuelle Neuigkeiten im Freundeskreis zu überprüfen, sondern hinaus in die reale Welt zu treten. Denn auch unsere Gesellschaft braucht den ägyptischen Funken im Kampf für ein besseres Morgen.


Vera Macht lebt und arbeitet seit April 2010 in Gaza. Sie ist Friedensaktivistin und berichtet über den täglichen Überlebenskampf der Menschen im Gazastreifen (Vera.Macht@uni-jena.de).


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Quelle:
© 2011 by Vera Macht
mit freundlicher Genehmigung der Autorin


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2011