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STANDPUNKT/095: Warum nur Gaddafi und nicht auch Bush & Co.? (Hans Fricke)


Warum nur Gaddafi und nicht auch Bush & Co.?

Von Hans Fricke, 23. Juni 2011


Weder der Generalbundesanwalt noch der Programmdirektor des Fernsehsenders ARTE haben damit rechnen können, daß die Einleitung eines Emittlungsverfahrens gegen den libyschen Staatschef Gaddafi durch den Generalbundesanwalt am gleichen Tag der Öffentlichkeit bekannt wurde, an dem ARTE zur Hauptsendezeit den 85-Minuten Beitrag der Investigativjournalistin Marie-Monique Robin "Folter - Made in USA" ausstrahlt. Und doch wollte der Zufall es so.

Ziel des Ermittlungsverfahren ist es laut Erklärung eines Sprechers der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, Gaddafi Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf der Grundlage des Völkerstrafgesetzbuches nachzuweisen und sie dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zur Verfügung zu stellen, und mit ihrer Sendung am 21. Juni 2011 in ARTE hatte sich Marie-Monique Robin die Aufgabe gestellt, Beweise dafür zu liefern, Bush&Co. wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Verletzung der Genfer Konvention und amerikanischer Gesetze wie dem War Crimes Act aus dem Jahr 1996, das den Einsatz von Folter mit der Todesstrafe beziehungsweise mit lebenslanger Haft ahndet, vor Gericht zu bringen.

Bereits einen Tag nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 leitete Vizepräsident Dick Cheney ein Geheimprogramm, das Folter als Verhörmethode legalisieren sollte, wobei sich die Bush-Regierung von Anfang an der Tatsache bewusst war, dass sie sich damit der Missachtung des Völkerrechts und der amerikanischen Gesetze strafbar macht. Um sich vor eventuellen Klagen oder gar vor einer Strafverfolgung im eigenen Land zu schützen, verließ sich die Bush-Regierung auf Dick Cheney und Donald Rumsfeld nahestehende Juristen, die den Einsatz von Folter mit stichhaltigen Argumenten "rechtfertigen" sollten. Zu den angewandten Foltermethoden gehört unter anderem die Technik des "Waterboarding", ein simuliertes Ertränken, sowie das Recht des US-Geheimdienstes CIA, Terrorverdächtige bis zu elf Tage wachzuhalten. Wie die "Los Angeles Times" unter Berufung auf Memos des US-Justizministeriums berichtete, mussten gefesselte Häftlinge teilweise auch tagelang stehen. Oftmals seien sie nur mit einer Windel bekleidet gewesen und hätten zudem nichts essen dürfen.

Bei "Waterboarding" handelt es sich um eine besonders grausame Foltertechnik, bei der Verhörbeamte den Kopf des Gefangenen unter Wasser drücken oder ihm Mund und Nase verbinden und dann Wasser über das Gesicht laufen lassen. Auf diese Weise wird dem Gefangenen jede Möglichkeit genommen, Luft zu holen und folglich glaubt er, ersticken oder ertrinken zu müssen. Dies führt wie bei einer Scheinexekution zu Verzweiflung, Panikzuständen und Todesangst. Die Anwendung solcher Methoden verursacht schwere physische Leiden und kann zu unerträglichen körperlichen Schmerzen führen sowie psychische Schäden über Jahre und sogar Jahrzehnte hervorrufen. Vizepräsident Cheney hatte als erstes Mitglied der Bush-Regierung zugegeben, dass im Falle des Gefangenen Khalid Shaikh Mohammed und anderer hochrangiger al-Quaida Mitglieder "Water Boarding" angewendet wurde.

Weitere Verhörtechniken wurden durch US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld am 2. Dezember 2002 auf Anfrage von US-Beamten in Guantanamo autorisiert. Dabei handelt es sich u.a. um die Anwendung von sogenannten Stresspositionen, wie dem "Longtime standing" für die Dauer von vier Stunden.

Mit kaum zu überbietendem Zynismus fügte Rumsfeld seinem Antwortschreiben handschriftlich hinzu: "Ich stehe zwischen acht und zehn Stunden pro Tag. Warum ist das Stehen mit vier Stunden begrenzt?"

Zum Schutz der eigenen Truppen beschloss das Pentagon, ein streng geheimes "Trainingsprogramm" mit dem Namen "Survival Evasion Resistance and Escape" (SERE) durchzuführen, das von Psychologen geleitet wurde. Vor allem in Fort Bragg, der Militärschule der "Sondereinheiten" sollte die Crème de la Crème der Offiziere ausgebildet und darauf vorbereitet werden, Folter zu widerstehen - für den Fall, dass sie in Kriegsgefangenschaft bei Feinden geraten, die sich wie die USA nicht an das Genfer Abkommen halten. Das Folterprogramm löste großen Widerstand im Außenministerium und bei den Militärchefs aus, die streng am Genfer Abkommen festhalten. Sie sträubten sich gegen diese "kriminelle Verschwörung", wie Michael Ratner, Vorsitzender des Zentrums für Verfassungsrechte, es nannte.

"Etwa 20 Verhörmethoden wurden laut "Washington Post" im April 2003 für al-Quaida-Gefangene auf dem US-Stützpunkt vor Kuba von ihm selber (Rumsfeld) und dem Justizministerium abgesegnet. Inhaftierte sollten durch Kälte und Hitze, laute Musik und grelles Licht mürbe gemacht werden. Auch Schlafentzug, Verlust des Zeitgefühls und persönliche Entwürdigung gehören zur Leidensskala. Für einige Methoden war die Genehmigung von Rumsfeld persönlich erforderlich." (Berliner Kurier, Internet-Ausgabe, 10.5.04)

"Bei der Misshandlung von Gefangenen im Irak haben US-Soldaten nach Informationen des Magazins 'The New Yorker' auf der Grundlage einer geheimem Weisung gehandelt, die von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld persönlich abgesegnet wurde. Im vergangenen Jahr habe Rumsfeld eine streng geheime Order des für Nachrichtendienste zuständigen Unterstaatssekretärs Stephan Cambone zu verschärften Verhörmethoden gebilligt (...) Aktive und pensionierte Geheimdienstoffiziere hätten die Anweisung mit den Worten zusammengefasst: 'Schnappt euch die, die ihr braucht und macht mit ihnen, was ihr wollt'... Ziel der Anweisung sei gewesen, 'die Grenzen eines streng geheimen Plans, der zunächst für (die Terrororganisation) al-Quaida gedacht war, auf irakische Gefangene auszuweiten'.

Dieser Plan habe zu 'körperlichen Druck und sexuellen Demütigungen ermuntert', um an Informationen über irakische Widerständler zu kommen." (www.orf.at 15.5.04) Die USA haben im Zuge des Krieges gegen die Taliban und während der Jagd auf al-Quaida eine neue Sorte von Menschen geschaffen, eine neue Sorte von "Vogelfreien" und "Rechtlosen", wie sie "Gegenargumente" aus Wien am 28.5.2004 bezeichnete. Dabei handelt es sich um Personen, die weder als Kriminelle verurteilt wurden, noch auf ihren Prozess warten, und die auch nicht als feindliche Soldaten dem Kriegsrecht unterliegen, d.h. für die die Genfer Konvention gilt. Leute, die den USA als "feindliche Kämpfer" in die Hände fallen, haben keinen rechtlichen Status, sie gehören nicht zu den Menschen, die in den Genuss der Menschenrechte gelangen, für die Amerika angeblich weltweit kämpft und seit 1945 immer neue Kriege anzettelt. Sie werden in KZ-ähnlichen Einrichtungen wie Abu Ghraib, Guantanamo und überall in der Welt inhaftiert und gefoltert. Die Idee, diese Einrichtungen - die bekannteste ist auf Guantanamo - bequemlichkeitshalber außerhalb der USA einzurichten, ist offenbar damit begründet worden, dass die Rechtslage in den USA hinter dem, was sie für politisch zweckmäßig und militärisch opportun halten, derzeit noch etwas hinterher hinkt. Deswegen haben sich Staatsorgane, die diese Lager unterhalten, zur Vermeidung juristischer Querelen, auch geographisch einen rechtsfreien Raum geschaffen.

"Black Site" bezeichnet das US-Militär im Sprachgebrauch geheime Gefängnisse, die außerhalb der USA betrieben werden und offiziell nicht existieren. Der Begriff wurde von den US-Geheimdiensten und später nach dem öffentlichen Bekanntwerden dieser Einrichtungen auch in die Berichterstattung übernommen. Amnesty International (ai) warf den USA 2002 vor, neben bekannten, aber rechtlich bedenklichen Einrichtungen wie dem Gefangenenlager Guantanamo, ein weltweites Netz von geheimen Gefängnissen zu betreiben, in denen Personen zum Teil rechtswidrig festgehalten und behandelt werden. Erst 2006 bestätigte der damalige US-Präsident George W. Busch indirekt, dass ein solches Netzwerk existiert. "Black Site - Wikipedia" zufolge befanden sich solche geheimen Gefängnisse in folgenden Ländern: USA, Diego Garcia (Vereinigtes Königreich), Serbien, Polen, Rumänien, Pakistan, Irak, Afghanistan, Thailand und Dschibuti.

Der Bundesnachrichtendienst (BND), das Bundeskriminalamt (BKA) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sollen nach Medienberichten auf diversen Ebenen an dem System der Geheimgefängnisse beteiligt gewesen sein. Die Behörden sollen Namen mutmaßlicher Terroristen und weiteres durch Abhörmaßnahmen gewonnenes Material an den US-Geheimdienst CIA weitergegeben haben. Des weiteren habe das BKA nicht nur Kenntnis von Geheimgefängnissen gehabt, sondern habe in ihnen auch Befragungen durchgeführt - so geschehen unter anderem (bei Murat Kurnaz) in Guantanamo und (bei Muhammad Haidar Zammar) in Syrien.

Nach SPIEGEL-Informationen soll der US-Geheimdienst mindestens 437 Mal mit getarnten CIA-Flugzeugen deutsche Flughäfen oder zumindest den hiesigen Luftraum für die Verschleppung von Terrorverdächtigen in geheime Lager genutzt haben. Die Generalsekretärin von "Amnesty International", Barbara Lochbiehler, erklärte 2005 gegenüber der "Frankfurter Rundschau": "Die Zuständigen müssten von den Flügen gewusst haben, zumal wir seit längerem auf die Verschleppungen durch die CIA hingewiesen haben." Während Mitglieder der Bundesregierung ihre Augen davor verschlossen, die etablierten Parteien sich offiziell für nicht informiert erklärten und heuchlerisch "rasche Aufklärung" forderten (Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach), schrieb SPIEGEL, dass der Bundesregierung detaillierte Listen von mehr als 400 Bewegungen und Landungen getarnter CIA-Flugzeuge vorliegen. Nachdem die Bush-Außenministerin Condoleeza Rice den deutschen Außenminister Steinmeier (SPD) über die CIA-Flüge "aufgeklärt" hatte - sie bestätigte völkerrechtswidrige CIA-Entführungen in "verschlüsselter Form" - wiesen alle bisherigen Fragmente der "CIA-Flüge" immer stärker auf eine internationale Verschwörung von Regierungen und Geheimdiensten innerhalb der EU zusammen mit dem atlantischen "Big Brother" gegen das internationale Völkerrecht hin.

Zum neuen Umgang mit der neuen Sorte von Menschen, die - noch als "feindliche Kämpfer' bezeichnet werden und - noch nicht - "Untermenschen" genannt werden dürfen, gehören offenbar auch neue Vorgaben für Verhörmethoden, wie sie im besetzten Irak und Afghanistan im großen Stil und nahezu flächendeckend praktiziert werden, um Aufständische und Widerständler - aus US-Sicht: Terroristen - auszurotten. Während der ARTE-Sendung äußerten sich William Taft, Rechtsberater des früheren Außenministers Collin Powell, und andere Kritiker der "kriminellen Verschwörung" der Bush-Regierung ausführlich zu den erhobenen Vorwürfen. Während einer der befragten früheren Mitarbeiter der Administration erklärte, angesichts der geschilderten Handlungsweisen von Bush, Cheney und Rumsfeld gegenüber Gefangenen schäme er sich, ein Amerikaner zu sein, meinte ein US-General, in dessen Verantwortungsbereich ebenfalls gefoltert worden war, sinngemäß, dass diejenigen, die die US-Armee dorthin gedrängt und in diese völkerrechtswidrige Lage gebracht hätten, noch immer nicht zur Verantwortung gezogen worden sind.

Obwohl die geschilderten Straftaten gegen Personen in den Lagern Abu Ghraib, auf Guantanamo und in vielen geheimen Gefängnissen der USA auf Weisung verantwortlicher Mitglieder der Bush-Administration und teilweise mit Unterstützung bzw. stillschweigender Duldung von Mitgliedern nationaler Regierungen verübt wurden und seit Jahren der Bundesregierung und den deutschen Strafverfolgungsbehörden bekannt sind, sucht man politische und juristische Reaktionen unseres Staates darauf vergeblich. Dabei stellen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen Verletzungen des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB), § 7 sowie §§ 8-12, dar. Das am 30. Juni 2002 in Kraft getretene Gesetz passt das deutsche materielle Strafrecht an die Regelungen des Rom-Statuts an und schafft damit die Voraussetzungen für die Verfolgung durch die deutsche Strafjustiz. Nach § 1 VStGB unterliegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen dem Weltrechtsprinzip. d.h. die Strafbarkeit nach deutschem Recht besteht unabhängig davon, wo, von wem und gegen wen sie begangen werden.

Umso unverständlicher ist für viele, dass der Generalbundesanwalt gegen den Libyschen Staatschef Muammar al Gaddafi ein deutsches Ermittlungsverfahren auf der Grundlage des Völkerstrafgesetzbuches einleitet, und die jahrelangen Verletzungen des Völkerstrafgesetzbuches durch die Bush-Administration auch auf deutschem Boden und ihre Unterstützer in der BRD so behandelt, als hätte es sie nie gegeben.

Im Januar 2002 wurde Manfred Nowak, damals Richter am international besetzten Obersten Gerichtshof Bosniens, Zeuge einer mysteriösen Verschleppung. Sechs Algerier waren in Sarajewo angeklagt worden, Teil des Terrornetzwerkes al-Quaida zu sein. Aus Mangel an Beweisen hatte sie das Tribunal in Sarajewo freigesprochen. Doch als die Männer das Gericht verließen, wurden sie von Unbekannten in ein Auto gezerrt. Noch heute sitzen sie im US-Gefangenenlager Guantanamo - ohne Anklage.

Es war eine Entführung durch US-Behörden, die in Stuttgart vorbereitet wurde. Das behauptet der damalige Richter Manfred Nowak gegenüber der ZEIT. Der renommierte Völkerrechtler, heute UN-Sonderberichterstatter über die Folter, ist nach eigenen Angaben im Besitz von vertraulichen US-Militärakten, die das deutsch-amerikanische Verhältnis erneut vor diplomatische Belastungen stellen. Nowak: "Aus den Akten geht klar hervor, dass die Entführungen auf dem Stützpunkt Eucom in Stuttgart geplant wurden." Eucom ist die Kommandozentrale für alle US-Streitkräfte in Europa und Nordafrika. Sie gilt als wichtiger Knotenpunkt im amerikanischen "Anti-Terror-Krieg".

Kann die deutsche Justiz nun gegen die amerikanischen Verbündeten vorgehen? Ja, sagt Nowak. Zwar sehe das Status of Force Agreement (es regelt die Präsenz amerikanischer Truppen auf deutschem Boden) vor, dass die deutsche Justiz für amerikanische Soldaten nur eingeschränkt zuständig sei. Doch bei grob menschenrechtswidrigen Aktionen, so habe erst jüngst ein vom Europarat in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten festgehalten, müssten die Behörden des Gastlandes aktiv werden.

Ob dabei etwas herauskommt? fragte ZEIT ONLINE im Dezember 2005 und antwortete: "Schon in den Fällen Kurnatz und El-Masri zeigten die US-Behörden, was sie von deutschen Ermittlern halten: nichts. Sie beantworten weder Rechtshilfeersuchen noch Ermittlungsanfragen. Doch vor allem die italienische Justiz zeigt dieser Tage, dass man auch fündig werden kann, wenn US-Behörden nicht kooperieren. Am Montag gaben Mailänder Staatsanwälte bekannt, dass sie Anklage erheben gegen den früheren CIA-Chef in Italien, den ehemaligen CIA-Büroleiter in Mailand und den mittlerweile gefeuerten Chef des italienischen Militärgeheimdienstes. Ein Dutzend CIA-Agenten wird noch per Haftbefehl gesucht. Die italienischen Agenten sollen mitschuldig sein an der Verschleppung des islamischen Predigers Abu Omar. Auch er wurde auf offener Straße in einen Wagen gezerrt, in Windeln und einen Overall gepackt - und über Frankfurt in ein ägyptisches Foltergefängnis verbracht. Italienische Ermittler hatten daraufhin mittels Handy Rufdatenrückerfassung ein Netzwerk von CIA-Entführern aufgestöbert. Dieselben Agenten sollen auch den Deutschen Khaled el-Masri in einen afghanischen Folterkeller verschleppt haben.

Nicht nur die Justiz, auch das Europaparlament zeigte sich vergangene Woche kämpferisch. Sein CIA-Untersuchungsausschuss präsentierte eine Liste der Staaten, die den USA bei Entführungen geholfen haben sollen - darunter auch Deutschland."

Weiter hieß es in ZEIT ONLINE: "Doch während Richter und Parlamentarier ihre Lust an bissigen Ermittlungen entdecken, sind aus den diplomatischen Zirkeln der EU ganz andere, konziliante Töne zu vernehmen. Auf politischer Bühne suchen EU-Politiker hinter gepolsterten Türen längst Kompromisse mit den USA, 'um fortgesetzte Missachtung von menschenrechtlichen Standards einzudämmen', wie ein EU-Diplomat der ZEIT erklärt. Denn der US-Regierung missfällt die Schnüffelei der europäischen Gerichte zutiefst. 'Wir müssen verdammt aufpassen, wie weit wir den USA entgegenkommen', so der Diplomat. 'Wir wollen ja noch in den Spiegel schauen können.' Wie weit dieses Entgegenkommen geht, zeigen geheime Gesprächsprotokolle, die der ZEIT vorliegen. Sie halten den Inhalt eines vertraulichen Treffens zwischen hochrangigen EU-Vertretern und US-Beamten sowie dem Rechtsberater der US-Außenministerin, John Bellinger, fest. Am 3. Mai dieses Jahres kamen die Diplomaten zusammen, um anlässlich des bevorstehenden Gipfeltreffens zwischen George W. Bush und dem damaligen Ratspräsidenten Wolfgang Schüssel den 'menschenrechtlichen Frühzustand' der USA zu diskutieren, wie es etwas süffisant in dem Papier heißt. US-Berater Bellinger machte gleich Druck. Sanft drohend stellte er fest, es bestünde 'die ernste Gefahr', dass die fortwährenden Untersuchungen der Entführungen durch die Europäer das transatlantische Verhältnis 'beschädigen' könnten. Und er räumte auch ein, dass es den USA (anders als den Europäern) nicht verboten sei, Gefangene in Länder auszuliefern, in denen gefoltert wird. Man würde auf diplomatischer Ebene schon für die Sicherheit der Ausgelieferten sorgen. In Zukunft, so hält das Gesprächsprotokoll fest, sollte also ein gemeinsamer Weg beschritten werden. Die Europäer (sie erlauben Auslieferungen nur, wenn sie richterlicher Kontrolle unterliegen und keine Folter droht) boten den Amerikanern an, ihnen ein Stück entgegenzukommen und 'einen gemeinsamen Rahmen' für die 'Überstellungen von Terrorverdächtigen zu entwickeln. Er solle 'so weit wie möglich' den europäischen Grundsätzen entsprechen."

"Mit anderen Worten:", so fast ZEIT ONLINE das Ergebnis der Gespräche zusammen, "Europa ist bereit, von seinen menschenrechtlichen Standards abzurücken, um Amerika ein wenig zu zähmen. Und die EU-Beamten hatten für die US-Kollegen auch noch einen Rat im Umgang mit den Medien parat: 'Der beste Weg, sich gegen Anschuldigungen zu verteidigen, besteht darin, nicht auf einzelne Vorfälle zu reagieren, sondern die Einhaltung gemeinsamer Werte zu betonen.'"

Damit beantwortet sich die eingangs gestellte Frage: "Warum nur Gaddafi und nicht auch Bush & Co.? auf eine Weise, die zwar den Wünschen und Interessen der transatlantischen Eliten entspricht, für die aber die überwiegende Mehrheit rechtsbewusster Menschen ebenso wenig Verständnis aufbringen wie Blut für libysches Erdöl.


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Quelle:
© 2011 Hans Fricke
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2011