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STANDPUNKT/321: Türkei - Wohin wollen Sie, Herr Ministerpräsident? (Nützliche Nachrichten)


Nützliche Nachrichten 9/2013
Dialog-Kreis

Wohin wollen Sie, Herr Ministerpräsident?

Von Andreas Buro



Viele haben geglaubt, Sie hätten einen großen Wurf im Auge, endlich die Türkei von der unsäglichen Last des Bruderkrieges zu befreien. Dazu wollten Sie die Politik der Zwangsassimilierung gegenüber den Kurden beenden und ihnen und auch den anderen Ethnien und Religionen in ihrem Lande gleiche Rechte und Pflichten nach Verfassung und Wirklichkeit einräumen. Das sogenannte Demokratie-Paket, das sie jetzt vorgelegt haben, erfüllt diesen Anspruch jedoch nicht. Es liest sich wie eine Absage an alle, die auf eine Politik der Aussöhnung hofften. Nein, schlimmer noch, es ist als eine erneute Kampfansage zu verstehen, da sie gleichzeitig die kurdischen Siedlungsgebiete in der Türkei mit etwa hundert neuen Kasernen und tausenden von Soldaten überziehen. Besetztes und beherrschtes Land! Wollen Sie wieder dem türkischen Militär mit seiner unseligen Putschvergangenheit eine große Rolle geben?

In Zeitungen geht die Vermutung um, Sie wollten durch diese Politik die Wahlen des nächsten Jahres gewinnen. Erhoffen Sie sich wirklich, Anerkennung aus der Bevölkerung der Türkei zu gewinnen, wenn Sie zum Machterhalt weitsichtige Strategie durch kurzfristige Taktik ersetzen? Ist diese nicht längst des sinnlosen Krieges gegen das in den 20er Jahren einstige Brudervolk der Kurden müde? Die überwiegende Mehrzahl der Gezi-Demonstranten und ihre vielen sympathisierenden Anhänger würden doch auch einer geradlinigen Friedenspolitik zustimmen.

Auch Ihre die Innenpolitik begleitende Außenpolitik lässt uns das wünschenswerte Ziel von regionaler Kooperation statt Konfrontation nicht erkennen. Sie bewaffnen und finanzieren islamistische Söldner und wohl auch Gruppen der sogenannten Freien Syrischen Armee und lassen diese vom türkischen Territorium aus kurdisch besiedelte Gebiete und Städte in Syrien angreifen. Wollen Sie sich da Öl-Förderstätten sichern oder führen Sie den Kampf nun auch gegen die Kurden in Syrien, weil sie Kurden sind? Das hat der syrische Diktator Assad vor Ihnen schon getan. Die Kurden in Syrien versuchen, ihr Siedlungsgebiet gemeinsam mit anderen dort ansässigen Ethnien aus dem mörderischen Stellvertreterkrieg herauszuhalten. Doch Sie bringen ihnen Krieg und trommeln sogar für ein militärisches Eingreifen gegen Assad auch ohne UN-Mandat - wozu? Ist die Türkei nicht auf sicheres internationales Recht angewiesen? Wäre es für die türkische Politik nicht viel weitsichtiger, die syrischen Kurden in ihrem Vorhaben zu unterstützen?

Selbstverständlich möchten die Kurden nach der willkürlichen Aufteilung ihrer Siedlungsgebiete durch die siegreichen Alliierten des Ersten Weltkrieges auf die Türkei, Syrien, Irak und Iran Gemeinsamkeiten herstellen. Noch überwiegen bei ihnen nicht die nationalistischen Rufe nach einem gemeinsamen Staat. Vielmehr scheint noch regionale Kooperation im Vordergrund zu stehen. Da könnte die Türkei ein Partner sein. Warum versuchen Sie dann die vorgesehene allkurdische Konferenz in Erbil zu behindern, statt sie zu begrüßen. Konfrontation wird doch nur kurdischen Nationalismus provozieren, während sich sehr viele Staaten der Welt aus dem bornierten Korsett des Nationalismus durch regionale Kooperation zu befreien versuchen.

Herr Ministerpräsident, Sie haben in der Türkei viel bewirkt. Viele haben gehofft, Sie würden auch dem Land Frieden bringen. Jetzt, so scheint es, haben Sie die Signale wieder auf Konfrontation gestellt. Trotzdem werden viele Türken und Kurden und viele Menschen in aller Welt, die sich für eine friedliche Lösung in ihrem Land seit Jahren einsetzen, weiter dafür eintreten, dass die militärische Barbarei überwunden und Kooperation in diesem Konflikt möglich wird. Wir geben nicht auf.

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Oktober 2013